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Interview

Cannabis-Legalisierung
„Wir bekommen in Köln für Suchtprävention keinen Euro mehr über dieses Gesetz“

Lesezeit 7 Minuten
Zwei Menschen rauchen einen Joint bei einer Demonstration in Berlin.

Laut einer Studie haben bereits zehn Prozent aller 12f- bis 17-Jährigen Erfahrung mit Cannabis gemacht.

Ralf Wischnewski leitet die Fachstelle für Prävention der Drogenhilfe. Im Gespräch erklärt er, was das Gesetz für Schulen und Eltern bedeutet und wo die Mängel liegen.

Wie hat sich der Cannabis-Konsum bei Jugendlichen entwickelt?

Ralf Wischnewski: Es gibt eine Drogenaffinitätsstudie, die regelmäßig von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung erhoben wird. Demnach haben zehn Prozent der 12- bis 17-Jährigen bereits Erfahrung mit Cannabis gemacht. Bei den 18- bis 25-Jährigen waren es 46,4 Prozent. Ein Zwischenbericht deutet darauf hin, dass die Zahl in dieser Altersgruppe inzwischen auf 51 Prozent gestiegen ist.

Dabei wird ja längst nicht jeder Jugendliche bei so einer Befragung zugeben, dass er Cannabis konsumiert. Die Dunkelziffer wird realistischerweise höher liegen.

Davon gehe ich auch aus. Dabei kann man das nicht an Schulformen festmachen. Es hängt vielmehr entscheidend von der Peergroup ab: Es gibt Klassen, in denen Cannabis-Konsum sehr stark Thema ist und andere, in denen die Peerleader eher die Braven sind, die weniger konsumieren und mehr an Selbstoptimierung interessiert sind. Aber insgesamt glaube ich, dass ein größerer Teil der älteren Jugendlichen inzwischen Konsumerfahrung hat. Jedenfalls ein größerer Teil als in den Studien dargestellt. Das ist natürlich nur eine Vermutung. Da Cannabis bis jetzt illegal war, konnten wir wenig Zahlenmaterial generieren.

Rauchen senkt die Schwelle zum Cannabis-Konsum

Nachdem Rauchen lange auf dem Rückzug war, ist der Anteil der jugendlichen Raucher in den vergangenen zwei Jahren stark angestiegen. Unter den 14- bis 17-Jährigen hat sich der Anteil der Raucher fast verdoppelt von 8,7 auf 15,9 Prozent. Bei den 18- bis 24-Jährigen stieg er von 36 auf 41 Prozent. In welcher Beziehung steht diese Entwicklung zum Cannabis-Konsum?

Rauchen senkt die Schwelle für Cannabis-Konsum. Denn: Die meisten Jugendlichen rauchen Cannabis noch klassisch als Joint. Von daher ist es problematisch, dass Rauchen sich wieder deutlich stärker verbreitet. Dabei ist nicht nur die klassische Zigarette wieder mehr en vogue. Problematisch ist, dass die E-Vapes dazugekommen sind, die bei Jugendlichen sehr beliebt sind. Selbst Influencer werben für diese Einweg-E-Zigaretten mit Geschmacksstoffen. Oder auch für Shishas. Da hat es die Industrie geschafft, dem Rauchen über das Zuführen von Geschmacksstoffen ein anderes Image zu verschaffen. Es schmeckt süß und wird über Social Media als Teil der Jugendkultur vermarktet. Das Rauchen von Vapes ist ein niedrigschwelliger Einstieg, der bei nicht wenigen bei der Zigarette endet.

Ralf Wischnewski von der Drogenhilfe Köln

Ralf Wischnewski ist Sozialpädagogie und Leiter der Fachstelle für Suchtprävention der Drogenhilfe Köln. Er ist zuständig für die Präventionsarbeit an den Kölner Schulen.

Welche Auswirkungen erwarten Sie durch die gesetzliche Cannabis-Legalisierung für die Schulen?

In den Schulen selbst wird sich nicht viel ändern, weil der Besitz unter 18 Jahren ja weiter verboten ist. Der Konsum findet hauptsächlich außerhalb der Schule statt. Für die unter 18-jährigen Schüler werden sich die Zugangswege nicht ändern: Genauso wie sie vorher über den illegalen Markt an Substanzen gekommen sind, werden sie nun entweder über den legalen Markt von den über 18-Jährigen Cannabis beziehen oder weiter auf dem illegalen Markt kaufen. Das neue Gesetz stellt die Weitergabe und den Verkauf von Erwachsenen an Jugendliche aber explizit unter Strafe. Gleichzeitig sendet die Teil-Legalisierung aber das Signal aus, dass Cannabis-Konsum unproblematisch sei. Wir erwarten daher, dass die Zahl der probierkonsumierenden Schülerinnen und Schüler steigen wird. Wir gehen auch von einem Anstieg bei den problematisch Konsumierenden aus.

Grundbotschaft bleibt: Cannabis hat an Schulen nichts zu suchen

Auch wenn der Konsum in aller Regel nicht an den Schulen selbst stattfindet: Wie muss Schule angesichts der Legalisierung mit dem Thema Cannabis umgehen?

Schulen müssen klar machen, dass sich an der Botschaft nichts geändert hat: Cannabis hat an Schulen weiterhin nichts zu suchen. Es sollte in jeder Schule einen klaren Handlungsleitfaden und Konzepte geben, wie Schule mit Konsum, Besitz und drogenbedingten Auffälligkeiten umgeht. Schule sollte aber auch ein Konzept haben, ob und wann neben den pädagogischen Maßnahmen auch schuldisziplinarische oder gar rechtliche Maßnahmen eingeleitet werden. Es gibt Schulen, die Auffälligkeiten gezielt ansprechen, und es gibt solche, die eher wegschauen.

An vielen Schulen wurde das Thema bislang nicht intensiv angegangen, weil Angst davor herrschte, wie man damit umgeht, wenn sich Schüler outen. Oft ist auch die Angst bei Lehrern groß, dass Schüler sie nach den eigenen Erfahrungen fragen und Lehrer sich dann positionieren müssen. Es gibt an vielen Schulen immer noch eine Tabuisierung. Es gibt allerdings auch viele Schulen, mit denen wir mit unseren Präventionsschulungen sehr erfolgreich zusammenarbeiten.

Wie funktioniert denn wirksame Präventionsarbeit? Der erhobene Zeigefinger und Abschreckung allein reichen ja nicht…

Natürlich ist ein wichtiger Teil, die Schüler über die Risiken und Schädigungen aufzuklären, etwa dass Cannabis in einem noch nicht ausgereiften Gehirn Veränderungen anrichten kann. Oder aber über das durch Cannabis erhöhte Risiko von Psychosen. Dazu kommt das Abhängigkeitspotenzial bei regelmäßigem Konsum. Einseitige Abschreckung funktioniert vielleicht für Schüler, die Cannabis gegenüber kritisch eingestellt sind.

Wer schon Konsumerfahrung hat und bisher keine negativen Folgen gespürt hat, für den funktioniert einseitige Abschreckung nicht. Da ist es wichtig, auch den Reiz des Cannabiskonsums zu besprechen und darüber ins Gespräch zu kommen, was die Jugendlichen darin suchen. Wenn man dem Raum gibt, dann ist bei den Jugendlichen danach auch immer ein viel differenzierterer Blick auf die Risiken möglich.

Mentale Gesundheit ist an den Schulen zu einem großen Thema geworden. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen etwa mit Depressionen oder Angststörungen nimmt deutlich zu. Wie sehen Sie hier den Zusammenhang auch mit dem Reiz von Cannabis?

Wenn man die Jugendlichen fragt, was der Reiz daran ist, gibt es in der Antwort oft genau diesen Zusammenhang: Angesichts multipler Krisen und hohem Druck, den die Jugendlichen empfinden, sagen sie dann, sie können durch den Cannabis-Konsum besser entspannen oder besser einschlafen. Cannabis wird von Menschen mit psychischen Problemen oft als Selbstmedikation genutzt. Durch den Konsum spüren sie erst einmal eine subjektive Erleichterung ihrer Probleme. Eine dauerhafte Selbstmedikation von akuten psychischen Problemen birgt gerade bei Jugendlichen erhebliche Gefahren. Vorhandene Probleme können sich massiv verstärken und auch das Abhängigkeitsrisiko steigt. Krisenzeiten sind Nährboden für Drogenkonsum. Und wenn Jugendliche unter massivem gesellschaftlichen Druck stehen, versprechen Drogen leider oft eine scheinbar einfache Lösung. Da ist es hilfreich, wenn sie Strategien entwickeln, wie sie mit Druck konstruktiv umgehen können.

Drogenhilfe schult Lehrkräfte

Wie arbeiten Sie in der Präventionsarbeit an Schulen und wie ist die Nachfrage?

Die Nachfrage an unseren Unterrichtseinheiten in Schulen ist sehr groß und wird stetig größer. Daher haben wir Methoden entwickelt, die wir in Kurzschulungen gut und schnell an Lehrkräfte weitergeben können. So haben wir zum Beispiel den Methodenkoffer „Stark statt breit“. Der Koffer enthält interaktive Methoden, die von den Lehrkräften eingesetzt werden können. Da wir nicht überall vor Ort sein können, können uns auch Schulen buchen, die mehrere Lehrkräfte an dem Koffer schulen möchten. Wir setzen auf Multiplikatorenschulungen, da wir sonst den großen Bedarf gar nicht ausreichend bedienen können.

Mit der Legalisierung von Cannabis war die Zusage von Gesundheitsminister Karl Lauterbach verbunden, auch die Prävention – gerade an den Schulen – zu stärken und dafür Mittel bereitzustellen. Sehen Sie diese Zusage eingelöst?

Leider nein. Es wird Geld investiert in die Erstellung neuer Aufklärungsmaterialien und für mediale Kampagnen auf Social Media. Aber Kampagnen und Materialien allein helfen nicht. Prävention ist erfolgreich, wenn sie vor Ort von Mensch zu Mensch stattfindet. An dieser Stelle fördert das Gesetz gar nicht. Es werden keine Personen vor Ort gefördert, die mehr Jugendliche erreichen oder mehr Lehrkräfte schulen könnten. Wir bekommen hier in Köln für die Suchtpräventionsstellen keinen Euro mehr Geld über dieses Gesetz. Und die Stadt Köln sieht zwar Bedarf an mehr Prävention, setzt aber bisher auch keine zusätzlichen städtischen Mittel zu. Wenn der Gesetzgeber mehr Prävention fordert, dann muss er diese auch vor Ort fördern. Genau das passiert nicht. Wir bekommen Anfragen über Anfragen und haben schon jetzt viel zu wenig Ressourcen. Und es gibt ja nicht nur Cannabis: Neben Nikotin und Alkohol ist auch der riesige Bereich der Medienabhängigkeit ein rasant wachsendes Problem, das Präventionsarbeit erfordert.

Die nächste Schulung für Lehrkräfte und Pädagogen an Schulen und Jugendeinrichtungen zum Methodenkoffer „Cannabis – stark statt breit“ findet am 11. April von 14 bis 18 Uhr in der Fachstelle für Suchtprävention in Hürth statt. Die nächste Methodenschulung „Wenn Finn kifft“ zur Cannabis-Prävention im Jugendalter für dieselbe Zielgruppe findet am 16. April von 14.30 bis 17 Uhr dort statt. Außerdem gibt es es ein Elternseminar „Mein Kind kifft, was kann ich tun“ am 14. Mai von 16 bis 18.30 Uhr in der Außenstelle in Bergheim. Anmeldung unter ansprechbar@drogenhilfe.koeln. Weitere Informationen zu den Veranstaltungen und Seminaren unter www.sucht-bildung.de