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„Wilder Westen“ in KölnRockergruppen tragen Kampf in aller Öffentlichkeit aus

Lesezeit 5 Minuten

Einschusslöcher in einer Scheibe einer Spielhalle in Köln-Buchheim Foto: dpa

  1. Zwischen den Rockergruppen Hells Angels und Bandidos herrscht ein erbitterter Kampf. Ausgetragen wird er derzeit in aller Öffentlichkeit
  2. Im Konflikt zwischen den verfeindeten Gruppen folgt auf jeden Angriff ein Gegenschlag. Die Polizei will jetzt einen neuen Kurs einschlagen und mit Härte reagieren

Köln – „Es wird unkontrolliert durch die Gegend geballert. Mitten auf der Straße. Mit Waffen wie einer 357er Magnum. Es ist wie im Wilden Westen.“ Die Worte, mit welchen Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob den Kampf zwischen den Rockergruppen Bandidos und Hells Angels in Köln beschreibt, sind deutlich: Der Konflikt habe sich zugespitzt. Es bestehe die Gefahr, dass Unbeteiligte bei der nächsten Schießerei sterben könnten. „Nur mit Glück“ sei noch nichts passiert, sagt Jacob bei einer Pressekonferenz, zu der auch die Staatsanwaltschaft erschienen ist.

Vergangenen Freitag eskalierte die Lage zwischen Bandidos und Hells Angels gleich zweimal. Zuerst waren mittags zwei ranghohe Rocker in der Nähe des Hauptbahnhofs mit Pistolen aufeinander losgegangen. „Die Kugel flogen quer über die Straße“, sagt Klaus-Stephan Becker, Leiter der Direktion Kriminalität bei der Polizei. Abends hatten Unbekannte Duzende Schüsse auf eine belebte Spielhalle in Köln-Buchheim abgegeben. Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt.

Staatsanwaltschaft: „Wir werden rigoros Strafverfahren einleiten“

Polizei und Staatsanwaltschaft wollen sich jetzt neu formieren, einen anderen Kurs einschlagen, Härte zeigen. „Wir begegnen den Vorfällen von nun an mit einem massiven Polizeikonzept“, sagt Becker. Eine ganze Abteilung werde sich ausschließlich mit den Rocker-Clans befassen. Personen, Treffpunkte und Wohnungen sollen kontrolliert werden. Zudem ist geplant, dass Beamte verdeckt ermitteln. Auch Experten für Wirtschafts- und organisierte Kriminalität seien Teil des Spezialteams, über dessen personelle Größe die Polizei keine Angaben machen will.

Die Staatsanwaltschaft flankiert die Initiative. „Wir werden rigoros Strafverfahren einleiten“, kündigt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer an. Wichtige Einsatzgebiete würden – neben den Ringen – zunächst im Rechtsrheinischen liegen, in Kalk, Buchheim, Buchforst, Höhenberg, Vingst oder Mülheim. Viele Clan-Mitglieder hielten sich dort auf.

Schüsse in der Nähe des Hauptbahnhofs am 4.1.2019

Am Mittwoch durchsuchte die Polizei zunächst die Luxus-Wohnung des Kölner Bandidos-Chefs im Rheinauhafen. Die Ermittler wollten mit dem Mann über die Schießereien am Freitag sprechen. Doch der Gesuchte war nicht zu Hause. Laut Kriminaldirektor Becker wisse man auch nicht, wo er sich aufhält. Verdächtige Gegenstände fanden sie ebenfalls nicht. Laut Polizei dennoch ein Erfolg: Ein Nadelstich.

Bandidos fordern Hells Angels heraus

Die Bandidos versuchten derzeit die Macht in Köln an sich zu reißen, sagte Becker. Seit Jahren waren die Stadt und die Region Hoheitsgebiet der Hells Angels. Es gebe in Köln jedoch derzeit eine Art „Vakuum“, da die Hells Angels an Einfluss verlören. Die Zahlen des LKA bestätigen die Machtverhältnisse. Demnach stehen in NRW 287 Hells Angels 850 Bandidos entgegen.

Diese Phase der Schwäche versuchten die Bandidos zu nutzen, um Reviere und kriminelle Geschäfte des Rivalen zu übernehmen. Eine Gewaltspirale setze sich in Gang: Aktion, Reaktion, Gegenreaktion. Dass der Konflikt derart brutal und in aller Öffentlichkeit ausgetragen werde, sei dennoch ungewöhnlich und ein ausschließlich Kölner Phänomen, so Becker: Nicht nur in NRW, auch „bundesweit herrscht in der Rockerszene zurzeit relative Ruhe“.

Die Struktur der Rockerbanden hat sich laut Behörden in den vergangenen Jahren stark verändert. Um den Mitgliederschwund aufzufangen, hätten sich viele Gruppen Menschen mit Migrationshintergrund geöffnet. Die Kölner Mitglieder beider Clans stammten vorwiegend aus der Türkei, dem Kosovo und Nordafrika, sagt Becker. Was früher in der Szene als Hochverrat galt, ist heute beinahe gängig: Das Überlaufen zum Erzfeind. „Einmal Hells Angel, immer Hells Angel – das gibt es nicht mehr“, sagt Becker. Auch mit dem klassischen Bild des Rockers mit Kutte und schwerer Maschine hätten die in Köln gut 100 Mitglieder beider Clans kaum mehr etwas zu tun, die meisten hätten nicht einmal ein Motorrad.

„Es sind einfach kriminelle Banden, die ihre wirtschaftlichen Interessen verfolgen“, sagt Jacobs. Es gehe um Drogenhandel, Zuhälterei, Schutzgelderpressung und den Betrieb von Shisha-Bars. Eines jedoch ist bis heute unverändert: Wenn die Ermittler Zeugen befragen, herrscht Stille. „Es gibt eine Mauer des Schweigens“, sagt Becker. Die Polizei in NRW konzentriere sich deshalb auch auf verwaltungstechnische Ermittlungsansätze, sagt Frank Scheulen, Sprecher des LKA. Die Strategie ähnelt der Zermürbungstaktik bei der Bekämpfung der Clan-Kriminalität: Kontrolle von Bars, Überprüfung von Luxusautos, Lauern auf Ordnungswidrigkeiten.

Polizeipräsident nimmt Rockerkonflikt beinahe persönlich

Das Schweigen sei für Ermittler und Staatsanwälte noch immer das größte Problem, sagt Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter NRW. Nicht immer habe man so viel Glück wie bei Satudarah. Damals hatte ein ehemaliges Mitglied der ursprünglich aus Holland stammenden Rockergruppe, die sich auch in NRW ausgebreitet hatte, als Kronzeuge ausgesagt und damit ein bundesweites Verbot möglich gemacht. Bei Hells Angels und Bandidos aber sei man über das Verbot einzelner Charter nicht hinausgekommen.

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Das liege allerdings keinesfalls an der Kompetenz der Ermittler. „Da, wo wir Ermittlungskommissionen bilden, haben wir auch gute Erfolge“, sagt Fiedler und verweist auf ein bekanntes Problem. „Wir alle wissen, was die Banden treiben. Aber wir haben in ganz NRW nicht einmal 500 Ermittler für den Bereich Organisierte Kriminalität. Und die sollen alles abdecken: Russisch-eurasische Kriminalität, italienische Mafia, Clans und Rocker. Das kann nicht funktionieren.“

Polizeipräsident Jacob nimmt den eskalierenden Rockerkonflikt derweil schon fast persönlich. „Es macht mich zornig, mit welcher Ignoranz durch die Gegend geballert wird“, zürnt er, und dass „Berufskriminelle den Rechtsstaat mit Füßen treten“. Es müsse aufhören, dass die Rocker in Köln Waffen tragen und damit Unbeteiligte gefährden. „Die Bandidos“, sagt Polizeipräsident Jacobs grimmig, „dürfen das ruhig als Ansage verstehen“.