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Bauchfrei-Verbot an SchulenKölner Schülerinnen kämpfen für Lockerungen und mehr Toleranz

Lesezeit 5 Minuten
Junge Frau trägt bauchfrei

An vielen Schulen ist bauchfrei Ermessenssache. Andere haben klare Regeln aufgestellt.

Wie viel Haut darf man in der Schule zeigen? Das sorgt für kontroverse Debatten zwischen Eltern, Lehrern und Schülerinnen.

Das Thema erhitzt die Gemüter: Mit den steigenden Temperaturen entbrennt alle Jahre wieder die Debatte darüber, welche Kleidung an Schulen angemessen ist: bauchfreie Mode, Spaghettiträger und Dekolletés sorgen für Diskussionen bei Lehrkräften, Schülerinnen und Eltern.

Wie viel Haut darf man in der Schule zeigen? Was ist angemessene Kleidung und in welchem Verhältnis steht das zum Selbstbestimmungsrecht, seine Kleidung selbst wählen zu dürfen? „Es ist ein schwieriges Thema, an dem man sich nur die Finger verbrennen kann“, heißt es unisono, wenn man Schulleitungen darauf anspricht.

Dabei gibt es in Köln mehrere Schulen, die mit Kleiderordnungen längst für klare Vorgaben gesorgt haben – zum Beispiel das Hansa-Gymnasium oder auch die Liebfrauenschule (LFS). In der Kleiderordnung des Hansa-Gymnasiums steht, dass „Oberteile stets den Bauch bedecken müssen“. Zudem muss der Rücken unterhalb der Schulterblätter bedeckt sein. Auch das Dekolleté müsse „angemessen“ bedeckt sein. Auch in der Liebfrauenschule hält die bislang gültige Kleiderordnung strikte Regeln fest: bauchfrei oder auch Spaghettiträger sind tabu.

Kölner Schülerinnen gehen pragmatisch mit dem Verbot um

Dabei ist es nicht so, dass sich alle daranhalten. Wer sich unter den Schülerinnen der Liebfrauenschule umhört, erfährt von einem pragmatisch an die jeweilige Lehrkraft angepassten Verhalten: Die meisten Lehrerinnen und Lehrer würden es nicht kommentieren, wenn Schülerinnen bauchfrei oder Spaghettiträger tragen. Aber es gebe auch Lehrer, die die Einhaltung der Kleiderordnung einforderten, erzählt eine Schülerin der LFS. Wer Unterricht bei einem dieser Kollegen habe, der ziehe sich dann eben für die Stunde was drüber.

Schulen können laut Schulgesetz Nordrhein-Westfalen zwar eine Empfehlung für eine bestimmte Schulkleidung aussprechen. „Eine zwangsweise Einführung, die für alle Schülerinnen und Schüler gilt, ist nicht möglich“, heißt es dazu im Gesetzestext. Genau diese fehlende Sanktionsmöglichkeit hält viele Schulen davon ab, in die Dauerauseinandersetzung zu gehen. Dort wird es vorgezogen, dass Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler einzeln darauf ansprechen, wenn die Kleidung als zu freizügig empfunden wird.

Wer mit Kölner Schülerinnen – ob an Schulen mit oder ohne Kleiderordnung – über das Thema spricht, dem kommt viel Empörung entgegen. Weil es für sie um ihr Selbstbestimmungsrecht geht. Aber vor allem, weil sie nach eigenem Bekunden immer wieder die eine, provozierende Begründung dafür hören, warum sie sich anders anziehen sollen: Es sind Sätze wie „Durch eure Kleidung werden Lehrer und Jungs abgelenkt“ oder „Es ist so kein konzentriertes Arbeiten möglich.“ „Das ist Sexismus“, konstatiert Tea Tvrtkovic (18), die als Teil des Schülersprecher-Teams am Hansa-Gymnasium, das Thema Kleidung mit auf die Agenda gehoben hat.

Tea Tvrtkovic ist wichtig, für diese Dimension des Themas zu sensibilisieren, weil das den Lehrkräften, die so was sagen, oft gar nicht bewusst sei. Es gebe an ihrer Schule einen Lehrer, der regelmäßig Schülerinnen, die freizügiger gekleidet seien, vor der ganzen Klasse zum Aufstehen auffordere. „Was ist hier jetzt falsch?“ frage er dann in den Raum. Solche Formen der Diskriminierung wolle die Schülerschaft nicht mehr einfach hinnehmen. Gleichzeitig fühlen sich Lehrer unwohl in ihrer Haut, wenn Schülerinnen mit tiefem Dekolleté vor ihnen sitzen. „Männliche Kollegen sind da ganz schnell dem Verdacht grenzüberschreitender Blicke ausgesetzt“, schildert ein Schulleiter der ungenannt bleiben möchte, die männliche Sicht.

Schülerschaft will neue Kleiderordnung

Am Hansa-Gymnasium hat das Schülersprecherteam der SV in diesem Schuljahr einen Gesprächsprozess angestoßen. Ziel ist es einerseits, die strenge Kleiderordnung zu reformieren. Vor allem aber wolle man einen konstruktiven Debattenprozess anregen – darüber, was angebrachte Schulkleidung sei. Dabei ist es nicht so, dass die Schülerinnen und Schüler Regeln per se schlecht finden. „Aber sie müssten halt sinnvoll begründet sein – und frei von Sexismus“, fordert Tea. Im Zentrum müsse die Leitfrage stehen, für wen die Kleiderordnung eigentlich sein solle.

Alle sind hier doch unterm Strich moderat gekleidet. Noch niemand hat hier die Schule mit einem Club verwechselt
Tea Tvrtkovic vom Schülersprecherteam am Hansa-Gymnasium

Einerseits erwartet die Schülerschaft mehr Toleranz: „Alle sind hier doch unterm Strich moderat gekleidet. Noch niemand hat hier die Schule mit einem Club verwechselt“, konstatiert Tea. Gleichzeitig sei wichtig, in der Schule unbedingt auch über die Wirkung von Kleidung zu reden. Bei Achtklässlerinnen, die sich sehr freizügig kleiden, müsse ein Bewusstsein dafür geweckt werden, dass Kleidung Reaktionen auslösen könne. „Etwa, wenn diese abends allein in der Bahn unterwegs sind.“ Darüber zu reden, habe eine wichtige Schutzfunktion. Aber in der Oberstufe könne man das einschätzen. Gleichzeitig fordert sie, anerkennen, „dass Spaghettiträger und moderate bauchfreie Kleidung inzwischen Teil der normalen Standardmode sind.“

Schulleiter Moritz Magdeburg unterstützte die Initiative der Schülerschaft, die Kleiderordnung zu diskutieren. Er ist beeindruckt, wie reflektiert und alles andere als pauschal die Jugendlichen zu dem Thema argumentieren. Ziel sei jetzt, in einer partizipativen Debatte einen neuen Entwurf zu entwickeln, über den die Schulkonferenz dann entscheide.

Reformierte Kleiderordnung in der LFS für das neue Schuljahr

Auch an der Liebfrauenschule hat die Schülervertretung eine Initiative gestartet, weil sie die strenge Kleiderordnung für nicht mehr zeitgemäß hielt. In ihrem Entwurf forderte sie, dass gerade geschnittene Dekolletés erlaubt werden, ebenso wie eine „ein bis drei Finger breite unbedeckte Zone am Bauch“. Der Entwurf wurde in der Elternpflegschaft breit und sehr kontrovers diskutiert.

Es sei wichtig, in einen solchen Prozess Schülerschaft, Eltern und Kollegium einzubeziehen, erläutert Schulleiter Achim Strohmeier. Unmittelbar vor Schuljahrsende habe man sich in der Schulkonferenz auf einen Kompromiss für eine neue Ordnung geeinigt. Wie der konkret aussieht, wollte er noch nicht sagen. Zunächst würden jetzt die Eltern informiert. Nur so viel verriet er: „Leicht bauchfrei“ werde künftig okay sein.

Für das Hansa-Gymnasium steht ein solcher Schulkonferenzbeschluss noch aus. Und wünscht sich Schulleiter Magdeburg insgeheim, dass der vielleicht gar nicht mehr nötig ist, weil die ausführliche, differenzierte Debatte der Schulgemeinde über Selbstbestimmung und die Wirkung von Kleidung eine Kleiderordnung diese obsolet mache. „Denn eigentlich können wir ja nicht an der Schule Diversität fördern und gleichzeitig eine rigide Kleiderordnung aufrechterhalten."