Immer weniger Abiturienten wollen Lehrer werden, obwohl die so dringend gebraucht werden. Ein Plädoyer für einen Beruf, der einen zur Verzweiflung treiben kann, aber auch sinnstiftend ist.
„Das tägliche Trotzdem“Warum Kölner Lehrkräfte ihren Beruf lieben, obwohl sie am System verzweifeln
Lehrermangel ist das drängendste Problem des Bildungssystems. Gleichzeitig wollen immer weniger Abiturienten Lehrer werden. Fehlende Wertschätzung, ein System am Anschlag, in das immer mehr Aufgaben hineingedrückt werden, und der Fetisch um Lernstoff und Noten, den Lehrkräfte in ihrer Schulzeit erlebt haben, schrecken viele ab.
Dabei gibt es wohl wenig Berufe, in denen man die Auswirkungen seines Handelns so direkt ablesen kann. Lehrerinnen und Lehrer erzählen, warum sie ihre Arbeit sinnvoll und erfüllend finden. Trotz allem.
Barbara Wachten, Schulleiterin am Kölner Dreikönigsgymnasium
Wenn ich nach der so unglaublich schwierigen Corona-Zeit heute hier bin und dieses lebendige Schulleben spüre, macht mich das immer noch einfach froh. Wenn uns Corona eins deutlich gemacht hat, dann doch das: Wie wichtig die Instanz Schule ist, und dass sie viel mehr ist als ein Ort des Lernens.
Das entscheidende an Schule sind Beziehungen. Hier erleben sich Kinder in der Gruppe, hier erfahren sie soziales Lernen und Respekt. Hier erleben sie uns Lehrerinnen und Lehrer als wichtige Bezugspersonen und Ansprechpartner, die eben nicht die Eltern sind und denen sie sich quasi als Instanz in der zweiten Reihe anvertrauen können.
Der Beamteneid bedeutet eine hohe Verpflichtung
Ich liebe meine Arbeit, weil die Kinder toll sind. Mein Tun hat eine Auswirkung und es kommt auf mich an. Man kann viele Argumente gegen die Verbeamtung anführen. Aber für mich ist dieser Eid, den ich geschworen habe, sehr wichtig. Er bedeutet für mich eine hohe Verpflichtung und Verantwortung gegenüber den uns anvertrauten Kindern. Auch wenn das groß klingt: Für mich ist es eine Ehre, mit meiner Arbeit zukunftsprägend an der nächsten Generation mitzuwirken. Wenn wir hier an einer Schule, an der viele Kinder aus wenig privilegierten Familien lernen, einen Israelaustausch ermöglichen können. Wenn wir mit den Jugendlichen Auschwitz besuchen und sehen, dass aus solchen Reisen prägende Erfahrungen werden. Wenn die Sechstklässler ihre Revue auf die Bühne bringen und ich sehe, wie sie daran wachsen und Selbstwirksamkeit erfahren, dann ist das so viel.
Natürlich gibt es auch das Schwarzbrot des Lernens. Es gehört unbedingt dazu, den Kindern zu vermitteln, dass man durch ein solches Pflichtprogramm durchmuss. Dass man sich auch manchmal durchbeißen muss. Ich will, dass meine Schülerinnen und Schüler vernünftige Texte schreiben können. Ich will, dass sie Mathe können. Und im Idealfall möchte ich ihnen sogar den Spaß daran vermitteln.
Aber es stimmt ja: Manchmal verzweifelt man. Denn es ist ja auch zum Verzweifeln. Es gibt immer mehr statt weniger Vorgaben, eng getaktete Lehrpläne, die nie entschlackt werden, obwohl sich alle so danach sehnen. Dazu fehlende Ressourcen durch zu wenig Personal und gleichzeitig immer neue Anforderungen. Das System läuft am Limit und es muss sich etwas ändern. Aber auf die Veränderungen von außen zu warten, scheint mir zunehmend aussichtslos.
Verändern kann man das System nur von innen, durch unsere Arbeit vor Ort. Wir sind dazu da, mutige und angstfrei Entscheidungen zu treffen. Entscheidungen, welche Schwerpunkte man setzt und was man weglässt, was einem wichtig ist. Dazu ermutige ich mein Kollegium ausdrücklich.
Dabei muss ich sagen, auch unsere Schülerinnen und Schüler machen ein gutes Abitur. Und wenn man mal wieder einen Tag mutlos ist, muss man rausgehen, tief durchatmen und am nächsten Tag weitermachen. Was wir hier praktizieren, ist ein tägliches „Trotzdem“. Dabei muss man immer gut schauen, dass man selbst nicht krank wird.
Wir können hier vor Ort nicht das System retten. Aber ich kann hier als Schulleiterin einen angstfreien Raum schaffen, in dem alle lernen und sein können. Ich kann für meine Klasse einen Raum des Vertrauens schaffen, in dem Lernen möglich ist. Wir können als einzelne Schule eine kleine Gemeinschaft sein, in der man auf sich achtet und aufeinander eingeht.
Und das, was ich gebe, bekomme ich an anderer Stelle zurück. Ich muss nur aufmerksam dafür sein. Genauso wie wir umgekehrt aufmerksam sein sollten: Schule ist eine Abbildung der Gesellschaft. Die Kinder zeigen uns, woran unsere Gesellschaft gerade krankt: Die Bildungsungerechtigkeiten, die vielen sozialen Probleme und auch der gesellschaftliche Fokus auf Vergleichbarkeit durch Noten und der damit verbundene Druck prägen die Kinder. All das kann man hier erfahren – wenn man hinschaut.
Numan Sarrac, Lehrer an der Kölner Katharina-Henoth-Gesamtschule
Dass ich Lehrer geworden bin, hat viel mit meinem eigenen Weg und meiner eigenen Erfahrung zu tun. Ich habe selbst Migrationshintergrund – so wie 90 Prozent meiner Schülerinnen und Schüler an der Katharina-Henoth-Gesamtschule in Höhenberg. Dort bin ich Lehrer für Geschichte und Philosophie. Ich habe als Lehrer das Gefühl, dass ich etwas Sinnvolles tun kann - und dass es wichtig ist, dass ich das als jemand mache, der weiß, was Migrationshintergrund bedeutet.
Meine Eltern sind in den 70er Jahren aus der Türkei eingewandert. Ich bin zwar 1982 in Köln geboren, aber dann später zurück in die Türkei gegangen. Als ich zurückkam, fehlte mir ein etwas Zeit im Kindergarten. Daher musste ich in der Grundschule sehr kämpfen, zumal bei uns zu Hause Türkisch gesprochen wurde. Am Ende schaffte ich trotzdem eine Realschulempfehlung. Aber die Lehrerin empfahl meiner Mutter die Hauptschule, weil ich ja zu Hause keine Unterstützung habe.
Das hat bei mir Trotz geweckt. Ich habe dann sogar die Qualifikation für das Abi geschafft und an der Willy-Brandt-Gesamtschule Abitur gemacht. Ich habe das aber auch deshalb geschafft, weil es dort tolle Lehrer gab, die mich gestärkt und wertgeschätzt haben. Einem von ihnen verdanke ich, dass ich Philosophie studiert habe. Er ist heute mein Schulleiter.
Dankbarkeit von Schülern gibt es erst im Nachhinein
Anders bewertet zu werden, weil man Migrationshintergrund hat, ist aber auch heute noch eine Realität für ganz viele Kinder. Auch deshalb bin ich Lehrer geworden – um diesen Kindern etwas zuzutrauen. Klar ist der Lehrerberuf kein Beruf wie Dachdecker, wo man am Ende sein fertiges Dach bewundern kann. Es ist die langfristige Perspektive: Ich investiere viel Zeit und Energie in die Kinder. Wenn am Ende der 10. Klasse die Hälfte der Klasse in die Oberstufe geht und die andere eine Ausbildung anfängt oder auf ein Berufskolleg geht, ist das ein riesiger Erfolg. Am schönsten ist, wenn man die Jugendlichen eine Zeit nach dem Abschluss nochmal trifft. Dann merkt man die Dankbarkeit, die sie im Nachhinein spüren.
„Sie haben uns gezeigt, dass das Leben kein ruhiger Fluss ist, sondern ein Meer, in dem man untergeht, wenn man nicht selbstständig schwimmen kann“, hat mir mal einer gesagt. Das geht runter wie Öl. Klar geht es in der Schule um Inhalte. Aber was ich meinen Schülerinnen und Schüler vor allem vermitteln will, ist eigene Urteilskompetenz. Sie sollen selbst denken und nicht hinnehmen, was ihnen vorgekaut wird. Ich möchte ihnen vermitteln, dass sie etwas wert sind. Und sie motivieren, auch nach Rückschlägen weiterzumachen.
Ich will in ihnen die Fähigkeit wecken, eine Idee von sich selbst zu entwickeln. Natürlich habe ich dabei sehr viel Glück mit meinen Fächern, in denen ich genau solche wesentlichen Fragen stellen kann. Etwa wenn wir in Philosophie Antworten auf die Fragen suchen, wer ich bin und was der Sinn meines Lebens ist. Das interessiert doch jeden.
Ich glaube, als Lehrer ist es am wichtigsten, Beziehungen aufzubauen und seine Schülerinnen und Schüler ernst zu nehmen. Dabei macht Sinn, dass gerade an Schulen, an denen viele Kinder mit multikulturellem Hintergrund lernen, Lehrkräfte Migrationshintergrund haben. Ich kann die Probleme nachvollziehen, die meine Schülerinnen und Schüler haben. Ein großer Teil von ihnen hat zwei Identitäten: eine türkische und eine deutsche. Denn eine Sprache ist nicht nur eine Sprache. Eine Sprache bedeutet eine Persönlichkeit. Es ist ein Sein damit verknüpft. Wer bilingual ist, hat zwei Persönlichkeiten. Es bedeutet Zerrissenheit und die Herausforderung, in zwei Welten zu Hause zu sein und doch in keiner gänzlich.
Lehrer mit Migrationshintergrund erleben auch Rassismus
Ob Kopftuch oder Ramadan: Ich versuche, jeden Menschen ohne Wertung sein zu lassen. Wenn die Klasse applaudiert, wenn ein Mädchen das Kopftuch abgelegt hat, versuche ich deutlich zu machen, dass auch das eine Wertung ist – und eine Abwertung all derer, die das nicht tun. Dazu kommen die Erfahrungen mit Rassismus, die viele meiner Schülerinnen und Schüler machen. Jede Lehrerin, jeder Lehrer mit Migrationshintergrund hat die auch selbst gemacht: Wenn etwa an einer Kölner Schule Eltern auf die Barrikaden gehen, weil ihre Kinder eine Lehrerin mit Migrationshintergrund als Deutschlehrerin haben, dann ist das auch heute eine Realität. Ich bin auch deshalb Lehrer geworden, um diesen Vorurteilen gesellschaftlich etwas entgegenzusetzen.