Junge, gewaltbereite Männer haben die meisten „Old-School-Motorradrocker“ aus den Clubs gedrängt.
Nach Schüssen in MülheimSo tickt die Kölner Rockerszene – Polizei spricht von gestiegener Gewaltbereitschaft
Die beiden mutmaßlichen Todesschützen von Köln-Mülheim hatten es offenbar eilig, wegzukommen – nicht nur vom Tatort am Clevischen Ring, sondern aus Deutschland. Obwohl die Polizei schon kurz nach den Schüssen auf einen Ex-Rocker (35) und seine Freundin am Nachmittag des 27. Mai erste Hinweise auf die Tatverdächtigen hatte, bekam sie die Männer nicht mehr zu fassen. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie sich zeitnah ins Ausland abgesetzt haben. Inzwischen fahndet die Staatsanwaltschaft mit internationalen Haftbefehlen wegen Mordes und versuchten Mordes nach ihnen.
Die Gesuchten sollen wie der Getötete einem schon vor Monaten aufgelösten Kölner Charter der Hells Angels angehören. Die Freundin (28) des Opfers hat die Schüsse schwer verletzt überlebt und steht seitdem unter Polizeischutz. Das Motiv der Täter liegt noch im Dunkeln, möglicherweise ging es um Geldschulden.
Nach Schüssen in Mülheim: Rockerkriminalität wieder im Fokus
Die Aufsehen erregenden Mordanschläge an jenem Wochenende, mitten am Tag und unmittelbar vor einem gut besuchten Biergarten, haben das Thema Rockerkriminalität in Köln wieder in den Vordergrund gerückt. Die Tat wirft Fragen auf: War die Tat der Schlusspunkt eines lange schwelenden Konflikts? Oder vielmehr der Auftakt zu mehr? Wie gefährlich ist die Rockerszene in der Stadt?
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Polizeipräsidium in Kalk, fünfte Etage. Kriminaldirektor Dirk Schuster sitzt an einem langen Besprechungstisch, vor sich eine Kladde mit Ermittlungsergebnissen über Kölner „Motorcycle Gangs“, dem Fachbegriff für die umgangssprachlichen Rockerclubs. Fünf verschiedene gibt es aktuell in der Stadt, sagt Schuster: Brothers, Gremium, Red Riders, Iron Bulls und Hells Angels. Letztere geben den Ton an. „In Köln sind aus Rockerperspektive die Hells Angels ganz klar vorherrschend.“
Köln: Drei verschiedene Hells-Angels-Charter in der Stadt
Drei so genannte Charter unterhalten die Hells Angels nach Erkenntnissen der Polizei in der Stadt, es seien Ortsgruppen mit jeweils um die zehn Mitgliedern: Rhine City, CGN Cologne City und Honorfield, in Anlehnung an den Stadtteil Ehrenfeld. Dazu gibt es zwei weitere Charter im Oberbergischen und eines in Pulheim. Auch die übrigen vier genannten Rockerclubs in Köln haben laut Polizei jeweils zwischen zehn und 20 Mitglieder, spielten aber nur eine Nebenrolle.
„Vor 10 bis 15 Jahren gab es einen Umbruch in der Rockerszene, auch hier in Köln“, sagt Kriminaldirektor Schuster. Die so genannten Old-Schoolers seien nach und nach rausgedrängt worden. „Wir haben es heute mit einem höheren Migrantenanteil zu tun, meist junge Männer zwischen Ende 20 und Ende 30. Das Motorrad steht für sie nicht mehr im Mittelpunkt.“ Zum ‚World Run‘ etwa, einem jährlichen Treffen internationaler Hells-Angels-Charters, reisten Anfang Juni zahlreiche Mitglieder im Auto an. „Es geht mehr um den äußeren Schein, den Zusammenhalt, die Hierarchien“, sagt Schuster.
Köln: Keine Gebietskämpfe mehr, aber interne Konflikte
Der Umbruch in der Szene ging mit einer gestiegenen Gewaltbereitschaft einher, die sich auch im öffentlichen Raum abspielt. „Ich will es mal bildlich formulieren“, sagt Schuster. „Früher hat man sich mit Fäusten und Baseballschlägern auseinandergesetzt, und heute wird auf der Straße geschossen. Das ist natürlich auch mit einer höheren Gefährdung für Unbeteiligte verbunden.“
Aber dennoch: Seit die Bandidos sich 2019 aufgelöst haben und ihre Neugründung 2021 verboten wurde, sei wieder „ein stückweit Ruhe“ eingekehrt, zumindest im öffentlichen Raum. Es gebe keine Gebietsstreitigkeiten mehr. Dafür dringen mitunter interne Konflikte an die Öffentlichkeit. Eine mutmaßliche Auseinandersetzung im Charter Honorfield gipfelte im Herbst 2021 in Schüssen auf einen 31-Jährigen ehemaligen Hells Angel vor seiner Wohnung am Thürmchenswall in der Innenstadt.
Wenn sich auch die Zusammensetzung der Gruppen geändert hat, die kriminellen Geschäftsfelder sind laut Polizei dieselben geblieben: Sicherheitsdienst (und damit die Kontrolle darüber, wer und was zum Beispiel in eine Diskothek hinein gelangt), Rauschgifthandel und Prostitution. „Es gibt auch schon mal Betrugshandlungen, wenn sich die günstige Gelegenheit ergibt“, sagt Schuster. „Man könnte sagen: Wenn irgendwo Geld zu verdienen ist, und sei es mit Betrugsstraftaten im Zusammenhang mit Corona, dann wird das gerne mitgenommen.“ In den Rockerclubs hätten sich „teils über Bekanntschaften“ Kriminelle zusammengetan, um Geld zu verdienen, „und das alles unter dem Nimbus des Rockers“.
Mit verdeckten wie offenen Ermittlungen, mit Razzien und Strafverfahren versucht die Polizei, dagegen zu steuern. Nicht immer mit Erfolg – die Aussagebereitschaft innerhalb der Szene ist gering. Auch Opfer wenden sich nur selten an die Polizei.
Die tödlichen Schüsse in Mülheim sind allerdings nach Erkenntnissen der Polizei eher als ein singuläres Ereignis zu betrachten. Nach allem, was bekannt ist, sagt Dirk Schuster, waren sie nicht der Auftakt zu weiteren bevorstehenden Gewalttaten.