In unserer Serie Nachrufe erinnern wir an Kölner, die in jüngerer Vergangenheit verstorben sind.
Theodor Wanja Michael starb am 19. Oktober im Alter von 94 Jahren. Er überlebte den Nationalsozialismus und wurde mit seiner Haltung zum Vorbild.
Die Geschichte eines bewegenden Lebens.
Köln – Fremd fühlte sich Theodor Wonja Michael immer dann, wenn andere ihn fremd machten. Wenn er beim Jungvolk der Hitlerjugend weggeschickt wurde und nicht wusste, warum. Wenn man ihn im Luftschutzbunker anstarrte und er lieber zurücklief auf die brennende Straße, als sich von Blicken töten zu lassen.
Wenn ihm im Theater und beim Film nur die Rolle des Schwarzen zugewiesen wurde, wie als Kind, bei den Völkerschauen, als er sich im Baströckchen von den Besuchern betatschen lassen musste. Wenn er wie noch vor wenigen Jahren im Kölner Hauptbahnhof neben sich eine Stimme fauchen hörte: „Geht zurück nach Afrika, ihr Nigger.“ Er lachte die Stimme aus und ging weiter.
Andere hatten oft Probleme mit Michael – auch in Köln
Theodor Wonja Michael erlebte oft, dass andere ein Problem mit ihm hatten. Aber er wollte nie dereinst von sich sagen, fremd geblieben zu sein. Er wollte auch nicht sagen, Opfer gewesen zu sein – gegen die Vernichtung von Millionen Juden und mehreren Hunderttausend Sinti und Roma sei ein Schicksal wie seines „gar nichts“.
Lieber lebte der Sohn eines Kolonialmigranten aus Kamerun und dessen deutscher Ehefrau, aufgewachsen im Dritten Reich, etabliert im kleinbürgerlichen Deutschland der 50er und 60er, alt geworden in einer Zeit erneut aufkeimenden Nationalismus’ und Rechtspopulismus’, gegen Vorurteile an. Als Schauspieler, evangelischer Christ und Journalist, als Buchautor („Deutsch sein und schwarz dazu“ lautet der Titel seiner Autobiografie), gefragter Interviewpartner und langjähriges Mitglied der Kölner SPD. So wurde er vielen zum Vorbild – gerade Menschen, die seine Erfahrungen mit dem „Fremdgemachtwerden“ teilten.
Trauerfeier in Köln: Wünsche auf Michaels Sarg hinterlassen
Als die Kölner Trauergemeinde bei seiner Beisetzung Wünsche auf seinem Sarg hinterlassen durfte, schrieb ein junger Mann mit afrikanischen Wurzeln: „Du hast mir Identität gegeben.“ „Ich habe so viel von dir gelernt … vor allem, der Welt mit Zuversicht und Stärke zu begegnen und das Leben zu leben und zu lieben“, schrieb Mona Massumi, eine Gefährtin der letzten Jahre, die sich als „Enkelin im Geiste“ bezeichnet.
„Es ging Theo um eine Vergewisserung seiner Daseinsberechtigung, die ihm lange verweigert wurde“, sagt Massumi. Ein tiefes Freiheitsbedürfnis habe ihn angetrieben. „Theo hat auch deswegen für die Gleichheit und Würde jedes Menschen gekämpft, weil sie ihm eine Zeit lang genommen wurde.“ In Erinnerung ist Massumi eine Lesung an der Uni Köln im Januar 2015 – im Oktober 2014 hatte sich die rechtspopulistische Bewegung Pegida gegründet. „Wir hatten mit 50 oder 60 Studenten gerechnet, aber es meldeten sich so viele an, dass wir den größten Hörsaal brauchten.“ Auch hier reichten die Sitzplätze nicht.
Theodor Michael bewegte Studenten in Köln
Viele Studenten mit afrikanischem Hintergrund waren da, die Beunruhigung über die Entwicklungen im Osten beschäftigte die Community. Theodor Michael erschreckten die nationalistischen und rassistischen Strömungen nicht. Sie empörten ihn allerdings zutiefst. Er riet den Studenten, sich zu engagieren, zu diskutieren, hassgetränkte Weltbilder in Gesprächen zu entzerren. Der alte Mann rief in den Hörsaal: „Lasst uns die Stimme erheben!“ Die Jungen klatschten.
Theodor Michael wurde am 15. Januar 1925 in Berlin geboren. Er wusste, was passieren kann, wenn hassgetränkte Weltbilder nicht entzerrt und bekämpft werden. Überlebt hatte er die Nazi-Zeit nur mit viel Glück.
Kölner Theodor Michael: Als Kind war er Teil der Völkerschau
In den 30er Jahren trat sein Vater mit ihm und den Geschwistern bei Völkerschauen auf. Die Menschen begafften die Andersfarbigen, die – um das Klischee zu bedienen – Baströcke trugen, fassten sie an, fuhren ihnen durch die Haare. „Es war entwürdigend, aber wir brauchten das Geld“, sagte Michael später. Er spielte auch in „Münchhausen“ mit Hans Albers mit, auch dort brauchten sie „Mohren“. „Nur als Dekoration“, sagte Michael. „Wir waren Staffage. Immerhin ein Beiwerk, das uns vor dem Tod bewahrt hat.“
Während der Nazi-Herrschaft musste er das Gymnasium verlassen, in einem „Fremdenpass“ wurde er für staatenlos erklärt, besondere Kennzeichen: „Neger“, hieß es dort. Er kam in ein Zwangsarbeiterlager, hörte von Zwangssterilisationen von afro-deutschen Kindern und Jugendlichen, es hieß, die Operationen würden heimlich vorgenommen, wenn die Heranwachsenden ins Krankenhaus müssten. „Also wurde ich noch vorsichtiger und versuchte, nicht ins Krankenhaus zu kommen.“
Kölner Theodor Michael war integriert und verdächtig
Nach dem Krieg erfuhr Michael, dass nicht nur Nazis Rassisten sind. Bei einem Tanzcafé wurde er von zwei weißen amerikanischen Militärpolizisten gewaltsam aus dem Saal gedrängt. Als Schauspieler erlebte er, wie die meisten schwarzen Rollen in der Bundesrepublik mit schwarz geschminkten Weißen besetzt wurden. Als er im Staatsdienst beim Bundesnachrichtendienst (BND) arbeitete, schrieb ein Vorgesetzter freundlich gemeint in eine Beurteilung: „...dass er anfängliche Probleme mit den Kollegen überwunden hat...“
Die meisten Probleme, schrieb Michael später in seinen Erinnerungen, „wurden von außen an mich herangetragen, weil ich so war, wie ich war, und dann mir zugeschrieben“. Während seiner Zeit beim BND habe ihn ein nie ausgesprochener Satz begleitet: „Integriert, qualifiziert, aber immer verdächtig.“ Trotzdem wurde Michael laut seiner Biografie zum ersten schwarzen Bundesbeamten im höheren Dienst.
Es ist ein immer wieder auftretendes Kennzeichen dieser Jahrhundertbiografie, dass sich Theodor Michael gegen mehr oder weniger subtile Widerstände durchgesetzt hat. Bei Bewerbungen, wenn es um die Miete einer Wohnung ging, bei Behördengängen und Einstellungsverfahren. Bis zuletzt setzte er sich öffentlich für Menschen mit afrikanischem Hintergrund ein.
Theodor Michael: „Alles zu Kölsch verarbeitet“
Leichter als eine nationale Zugehörigkeit zu entwickeln, machte es ihm die Stadt Köln. Hier, sagte Michael, „wird alles zu Kölsch verarbeitet, sogar die Heiligen drei Könige. Wirklich alles, was nach Köln kommt, wird Kölsch – außer das Bier“. Michael, der seit 1963 in Heimersdorf lebte, sagte das in einem späten Interview mit Sympathie in der Stimme, fast verklärt. „Theo kannte in Köln jede Stadtmauer“, sagt Mona Massumi. Jahrzehntelang engagierte er sich im Ortsverband der SPD und in der evangelischen Gemeinde.
Als Kölner hat der Sohn einer Preußin und eines Kameruners sich immer verstanden. Köln war ihm nah. Als Deutscher verstand er sich auch. Aber Theodor Michael definierte sich so wenig über die Nation wie über die Hautfarbe. Das taten Andere.