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Virtuelle Zugfahrt„TimeRide“ bietet Zeitreise ins Köln der Goldenen Zwanziger

Lesezeit 5 Minuten
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3D-Artists lassen das Köln von 1926 mit hunderten von Gebäuden und Menschen wieder auferstehen.

Köln – Nach langer Enthaltsamkeit sehen die Jecken im Februar 1926 Licht am Ende des Tunnels. Die britischen Besatzer, die nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur den Rosenmontagszug verboten, sondern auch Unterordnung von den Kölnern verlangten, sind einen Monat zuvor abgezogen.

Der Straßenkarneval ist zwar in den Wochen danach noch immer verboten. Prinz Adalbert Oster, auch „Befreiungsprinz“ genannt, lässt es sich aber nicht nehmen, mit Bauer und Jungfrau in der offenen Kutsche durch die Stadt zu fahren. Die Polizei drückt ein Auge zu.

Es ist eine lange Durststrecke für die Kölner, die damals zu Ende geht, schließlich mussten sie auch während des Ersten Weltkriegs auf Rosenmontagszüge verzichten. Jetzt ist die Zeit der Neuanfänge gekommen, es tut sich viel in Köln in den späten 1920er Jahren. Vor allem Oberbürgermeister Konrad Adenauer sorgt in Wirtschaft und Städtebau für einen Modernisierungsschub.

Zugfahrt mit VR-Brillen

Die Firma „Timeride“ arbeitet nun daran, diese knisternde Ära zumindest am Bildschirm wiederauferstehen zu lassen. Seit 2017 nahmen die Mitarbeiter die Besucher zunächst mit auf eine digitale Straßenbahnfahrt durch das Köln von 1909. Die Zeitreisenden setzten sich dabei in den Nachbau einer alten elektrischen Straßenbahn und wurden dort mit Hilfe von Virtual-Reality-Brillen in die Vergangenheit gebeamt, wo sie sich nach Lust und Laune umschauen konnten. Das Konzept kam gut an, bisher kauften mehr als 300 000 Besucher ein Ticket für eine Fahrt ins Gestern. Dann kam Corona. Seit einem halben Jahr ist die Kölner „Timeride“-Filiale nun geschlossen.

Die erzwungene Pause nutzt das Team nicht nur für einen Umbau der Räumlichkeiten am Alter Markt, sondern auch für einen Zeitsprung. Die Straßenbahnbahn ist geblieben, das Jahrzehnt ändert sich. Falls es die Pandemie zulässt, sollen ab dem Sommer die ersten virtuellen Züge durch die Kölner Innenstadt rollen, wie sie – annähernd zumindest – an Rosenmontag 1926 ausgesehen hat. „Damals hat das Leben in Köln einen tiefen Atemzug genommen“, sagt „Timeride“-Gründer Jonas Rothe.

Die Kölner Innenstadt von 1926 entdecken

Mit dem Abzug der britischen Besatzer und ihrer Maßregelungen geht für die Kölner der Erste Weltkrieg mit all seinen Nachwirkungen quasi erst jetzt zu Ende. „Der Blick in die Kölner Geschichte zeigt uns sehr deutlich, dass selbst nach den schwersten Krisen wieder bessere Zeiten anbrechen, wenn man nur nicht aufgibt“, so der Geschäftsführer in Anspielung auf die aktuelle Corona-Krise.

Die digitale Straßenbahnfahrt soll am Alter Markt starten und am Neumarkt enden. Unterwegs geht es durch die Bechergasse, am prachtvollen Domhotel vorbei, an der Ostseite des Doms, am Hauptbahnhof, dem Wallrafplatz, durch die Glockengasse, um schließlich im jecken Treiben auf dem Neumarkt zu enden. Die Tour durch die Innenstadt ist schon weit gediehen, 3-D-Entwickler Jonas Blum kann am PC schon sämtliche Straßenzüge durchfahren, wobei einige Gebäude noch als gesichtslose Blöcke ohne Wiedererkennungswert dargestellt sind.

Animationen sollen authentisch wirken

Der Alter Markt mit seinen teils barocken Gebäuden gehört zu den fertigen Abschnitten, der Dom ebenfalls und auch der Hauptbahnhof mit seinen Kuppeldächern und dem 42 Meter hohen Turm, in dem einst Kaiser Wilhelm II. empfangen wurde, erlebt eine dreidimensionale Renaissance. „Köln war damals architektonisch schöner als heute“, sagt Jonas Blum. Wobei Köln ja seit jeher vor allem durch seine Bewohner strahle.

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So schön ist der Kölner Hauptbahnhof in den Goldenen Zwanzigern gewesen. 

Die Menschen werden auch im animierten Jahr 1926 eine Rolle spielen. Ständige Begleiter auf der rund 15-minütigen Reise sind Pitter, der Straßenbahnfahrer, und Hutmacherin Tessa, die ihren Mann im Krieg verloren hat und das Geschäft nun irgendwie weiterführen muss. „Wir zeigen durchaus auch das harte und schwierige Leben“, sagt Jonas Rothe. Kriegsversehrte gehörten ebenso zu den kleinen Geschichten am Rande wie das Thema Alkoholismus. Die 1920er Jahre waren eben keineswegs nur golden.

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Die Historiker von „Timeride“ kümmern sich darum, dass Menschen und Kulissen möglichst authentisch wirken. Julia Vreden hat auf ihrem Schreibtisch den Fotoband „Menschen des 20. Jahrhunderts“ von August Sander aufgeschlagen. Er zeigt Porträts von Menschen aus dem prallen Leben der damaligen Zeit. „Eine tolle Quelle“, sagt die 27-Jährige. Solche Aufnahmen helfen den Entwicklern, die Begegnungen am Straßenrand möglichst realistisch darzustellen. Julia Vreden und ihre Kollegen versorgen sie auch mit Daten und Fotomaterial zu den Gebäuden am Wegesrand.

3D-Artists bauen Gebäude nach

Für das Jahr 1926 sei die Stadt zwar relativ gut dokumentiert, sagt die Historikerin. Hier und da müsse aber auch improvisiert werden. Weil nicht jeder Hauseingang fotografisch überliefert sei, werde einem Gebäude in Ausnahmefällen schonmal eine Fassade verpasst, wie es sie hätte geben können, aber tatsächlich nicht gegeben hat. „Ich würde es nicht Fiktion nennen, aber ein bisschen Interpretationsspielraum ist schon gegeben“, so Julia Vreden.

Anders als etwa die Bechergasse, wo wegen der ärmlichen Verhältnisse damals wenig fotografiert worden sei, sei der Hauptbahnhof ein dankbares Objekt. Material dazu gibt es in Hülle und Fülle. „Allein das Fürstenzimmer im Turm finde ich sensationell“, sagt Julia Vreden. Jonas Blum hat ihn nach den fotografischen Vorlagen am PC binnen acht Tagen Stück für Stück so nachgebaut, wie er bis zum Zweiten Weltkrieg stand. Erst in groben Formen, dann in all seinen Details. Bildschön sei der Bahnhof einmal gewesen, sagt der 25-Jährige: „Es ist erstaunlich, wie Köln sich verändert hat.“