Gegen Nebel im KopfUniklinik Köln sucht Teilnehmer für neue Alzheimer-Studie
- Mit einem neuen Therapieansatz ist Anfang 2020 in Kanada, den USA und in Deutschland eine Alzheimer-Studie gestartet.
- Die Uniklinik Köln nimmt als eine von wenigen deutschen Kliniken an dieser „ADvance II-Studie“ teil.
- Die Teilnahme ist noch möglich.
Köln – Die Alzheimer-Erkrankung ist die häufigste Ursache einer Demenz. Es handelt sich um eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung, die zu einer unaufhaltsamen Beeinträchtigung des Gedächtnisses und anderer geistigen Fähigkeiten führt. Bisher ist es nicht möglich, die Krankheit zu verhindern, zu heilen oder zu verlangsamen.
Mit einem neuen Therapieansatz ist Anfang 2020 in Kanada, den USA und in Deutschland eine Studie gestartet. Sie soll aufzeigen, ob der Einsatz der Tiefen Hirnstimulation (THS) bei Patienten mit einem beginnenden Morbus Alzheimer zu positiven Ergebnissen führt. Die Uniklinik Köln nimmt als eine von wenigen deutschen Kliniken an dieser „ADvance II-Studie“ teil. Beteiligt sind die Klinik für Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie und die Klinik für Neurologie.
Bislang wurde der neurochirurgische Eingriff weltweit bei mehr als 60 Alzheimer-Patienten, in Deutschland bei fünf Patienten durchgeführt, davon vier Mal an der Uniklinik Köln. Dort fand die erste Operation im März statt. Die vier Studienteilnehmer – zwei Frauen und zwei Männer – sind zwischen 73 und 78 Jahre alt.
Alzheimer in der Familie
Brigitte Tofahrn aus Duisburg wurde am 25. Juni operiert. Die 73-Jährige kennt sich mit der Demenz-Erkrankung aus. „Meine Mutter litt an Alzheimer. Die Anzeichen und den Fortgang der Krankheit haben wir lange Zeit nicht bemerkt beziehungsweise nicht wahrhaben wollen. Als bei mir Dinge wie Schwindel und Nebel im Kopf und Gedächtnisstörungen auftraten, habe ich mich Ende letzten Jahres testen lassen.“ Am 2. Januar kam das Ergebnis. Brigitte Tofahrn lag richtig. Auch sie hat Alzheimer.
Ihrer Familie teilte sie nicht nur die Nachricht mit, sondern auch, wie es weiter gehen sollte. „Die Mama wollte in diesem Jahr noch zu Hause bleiben und dann in eine Demenz-WG umziehen“, erzählt ihre Tochter Sandra Lain. Davon ist ein Dreivierteljahr später keine Rede mehr, die Umzugspläne liegen bis auf weiteres auf Eis. Drei Monate nach der Hirn-Operation sitzen die beiden Frauen entspannt in der Bibliothek im Gebäude der Neurologie der Uniklinik Köln und unterhalten sich mit Professor Dr. Veerle Visser-Vandewalle, Direktorin der Klinik für Stereotaxie und Funktionelle Neurochirurgie, und mit Privatdozent Dr. Özgür Onur, leitender Oberarzt in der Klinik für Neurologie. Das Quartett kennt sich bereits aus vielen Gesprächen. „Wir sind von Anfang an sehr gut betreut und über alles informiert worden“, sagt Sandra Lain.
„Der Nebel im Kopf ist weg"
Heute geht es um die Frage, wie sich ihre Mutter aktuell fühlt. „Der Nebel im Kopf ist weg. Der Schwindel auch. Ob es an der Operation liegt, kann ich nicht sagen“, sagt Brigitte Tofahrn. Das können die behandelnden Ärzte auch nicht. Noch nicht. Dr. Özgür Onur erläutert das Ziel der Studie: „Wir möchten beweisen, dass wir tatsächlich mit der THS positive Ergebnisse erreichen können. Das bedeutet vor allem: Wir hoffen, dass das Weiterfortschreiten der Krankheit gebremst wird. Wir erwarten nicht, dass sie geheilt wird. Aber wenn es gelingt, die Auswirkungen, die Ausprägung zu verzögern, kann das die Lebensqualität der Patienten verbessern. Ob das gelingt und wenn ja, für wie lange, soll die Studie auch zeigen.“ Das Ganze ist kein Testballon ins Ungewisse. Eine Pilotstudie (ADvance I) in Toronto mit etwa 40 Patienten habe bereits positive Teilergebnisse gezeigt. Die aktuelle Studie soll auf breitere Füße gestellt werden. In den beteiligten Zentren in Kanada, Amerika und Deutschland sollen möglichst 200 bis 250 Patienten rekrutiert werden, auf jeden Fall müssen sich 150 Frauen und Männer finden, die der Tiefen Hirnstimulation zustimmen.
Professor Dr. Veerle Visser-Vandewalle erläutert das Verfahren, die Implantation des THS-Systems, das die Studienteilnehmer erwartet. Es gehe um zwei Operationen. Zuerst werde in jeder Hirnhälfte jeweils eine Elektrode implantiert. „Diese Elektroden werden über zwei kleine Bohrlöcher im Schädel, jeweils mit einem Durchmesser von sechs bis acht Millimeter, platziert.“ Mit dieser minimal-invasiven, operativen Behandlungsmethode „ist es uns möglich, jeden beliebigen Punkt innerhalb des Gehirns hochpräzise zu erreichen. Etwas später wird bei der zweiten, kleineren Operation ein Schrittmacher subkutan, also unter der Haut, implantiert. Die Verbindungskabel zwischen Impulsgeber und Hirnelektroden verlaufen ebenfalls unter der Haut.“ Seit einigen Jahrzehnten wird das Verfahren der THS unter anderem bei Patienten mit Bewegungsstörungen wie Parkinson angewandt.
Impulse an das Gehirn
Die Elektroden werden bei den Alzheimer-Patienten in die Nähe des sogenannten Fornix eingebracht. Das ist eine wichtige Nervenbahn im Gehirn, die unter anderem für Gedächtnis- und Lernleistungen verantwortlich ist. Wissenschaftliche Studien deuten darauf hin, dass dieser Bereich schon in der Anfangsphase der Alzheimer-Krankheit betroffen sein könnte. In dieser Region soll mit den elektrischen Stromimpulsen das Gedächtnissystem aktiviert werden. Die elektrische Stimulation des Fornix erfolgt kontinuierlich über 24 Stunden am Tag.
Bevor Professor Visser-Vandewalle und ihr Team in der Klinik für Stereotaxie aktiv werden, sieht Dr. Özgür Onur in der Klinik für Neurologie die Patienten. „Ob jemand für die Studie in Frage kommt, entscheiden viele Faktoren. Zunächst einmal muss zweifelsfrei feststehen, dass eine Alzheimer-Erkrankung vorliegt. Durch die Untersuchung des Nervenwassers sehen wir, ob im Gehirn die für eine Alzheimer-Erkrankung typischen Veränderungen erkennbar sind. Viele Tests und Interviews geben Aufschluss darüber, wie gut das Gedächtnis noch funktioniert oder wie der Alltag bewältigt wird.“ Für die Studie sind Personen geeignet, deren Krankheit noch nicht sehr weit fortgeschritten ist, die schon erste Defizite spüren, aber ihren Alltag noch gut bewältigen können. „Wir denken an Menschen, die eine leichte kognitive Beeinträchtigung haben. Und sie müssen über 65 Jahre alt sein und keine anderen schweren Erkrankungen haben.“
Viel selbstbewusster als zuvor
Im Rahmen der Studie werden die Patienten in drei Gruppen eingeteilt. Bei einem Drittel wird der Impulsgeber mit einer hochfrequenten Stimulation eingeschaltet, bei einem Drittel arbeitet er mit einer niedrigeren Frequenz, bei einem Drittel ist der Impulsgeber ausgeschaltet. Allerdings werden nach zwölf Monaten die Impulsgeber bei allen Studienpatienten eingeschaltet. Die Zuteilung zu einer Gruppe erfolgt zufällig (randomisiert). Keiner der Studienteilnehmer weiß, in welcher Gruppe er ist. Es handelt sich um eine sogenannte Doppelblind-Studie. Das heißt: Weder der Patient, noch der Studienarzt kennen den Stimulationsstatus.
Das könnte Sie auch interessieren:
Alle Patienten werden im Zentrum für Gedächtnisstörung in regelmäßigen Abständen über vier Jahre nachbeobachtet. Für konkrete Ergebnisse ist es zu früh, sagen Dr. Onur und Professor Visser-Vandewalle. Es gibt aber schon erste Reaktionen der Patienten. „Allen bisher operierten Frauen und Männern geht es gut. Mir fällt auf, wie positiv sie gestimmt sind. Ein Patient hat gesagt, er sei froh, dass er sich diese Chance selbst gegeben hat“, sagt Visser-Vandewalle. Sandra Lain beurteilt das mit Blick auf ihre Mutter ähnlich. „Sie ist viel agiler und selbstbewusster. Sie kocht auch häufig wieder selber, hat an vielen Dingen einfach mehr Freude. Die Entscheidung war offensichtlich richtig.“ „Ich wollte nicht warten, bis alles zu spät ist“, ergänzt Brigitte Tofahrn.
An der Studie teilzunehmen, ist noch möglich. Kontakt: Studienkoordinatorin Elfriede Stubbs, Universitätsklinikum; Telefon 0221-478 98 84 4 oder Mail an elfriede.stubbs@uk-koeln.de