Der Verein Mittendrin kämpft dafür, dass junge Menschen mit einer Behinderung in der Mitte der Gesellschaft leben können. Jetzt wurde er bei der Wirtschaftsnacht Rheinland ausgezeichnet.
„Plötzlich Randgruppe geworden“Verein Mittendrin ausgezeichnet – Ein Preis fürs lästig sein
Am Anfang war da Empörung. „Wir eher akademisch geprägten, weißen, mittelschichtigen Damen haben auf einmal mit unseren Kindern an der Hand eine Diskriminierungserfahrung gemacht“, sagt Tina Sander, Leiterin der Kulturprojekte beim Verein Mittendrin. „Wir haben Kinder bekommen, die eine Behinderung haben, und sind plötzlich zur Randgruppe geworden“, ergänzt Eva Thoms, die Vorsitzende des Elternvereins, der bei der Wirtschaftsnacht Rheinland des „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit dem „Sonderpreis Inklusion“ ausgezeichnet wurde.
Inklusion als Menschenrecht
Der Begriff war im Vereinsgründungsjahr 2006 noch nicht wie heute im Umlauf. Zwar wurde die UN-Behindertenrechtskonvention Ende 2006 auf der Uno-Vollversammlung verabschiedet, – drei Wochen vor der Gründung von Mittendrin – doch in Deutschland trat diese erst 2008 in Kraft. Darin wird „Inklusion“ als Menschenrecht für Menschen mit Behinderungen erklärt, sie sollen wie alle anderen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.
Sander und Thoms, beide Mütter von Töchtern mit Down-Syndrom, erleben das bis heute anders. Damals, als ihre Töchter eingeschult werden sollten, brodelte die Entrüstung nur so in ihnen. „Unser Anliegen, dass es einfach wichtig ist, dass unsere Kinder ein Teil der Kindergesellschaft in unserem Wohnviertel sind und deshalb gemeinsam mit den Nachbarkindern und den Geschwistern zur Schule kann, das hat überhaupt keine Rolle gespielt“, sagt Sander: „Das hat uns einigermaßen fassungslos gemacht.“
Sieben Eltern gründeten Verein Mittendrin
Sieben Eltern gründeten den Verein, sie erkannten in der Ungerechtigkeit, die sie persönlich mit ihren Kindern erlebten, ein strukturelles, ein gesellschaftspolitisches Problem. Das wollten sie ändern. Das wollen sie noch immer ändern. Wie das geht? „Wir sind den Leuten lästig“, sagt Thoms.
Zunächst war das Anliegen der sieben Gründungsmitglieder, ein öffentlich diskutiertes Thema daraus zu machen, dass Kinder mit einer Behinderung ein Recht darauf haben sollten, gemeinsam mit anderen Kindern aufzuwachsen und nicht „woanders hingepackt zu werden“, so formuliert es Tina Sander.
Das Team organisierte einen Kongress und traf einen gesellschaftlichen Nerv: Es gab bundesweite Aufmerksamkeit und innerhalb von drei Wochen hatten sich 1000 Menschen für den Kongress angemeldet. „Da war eine unheimliche Energie“, sagt Thoms. Und so blieb es nicht bei dem einen Kongress, sondern der Verein begann, andere Eltern von Kindern mit Behinderung zu beraten. Heute betreibt der Verein zudem politische Lobbyarbeit, Öffentlichkeitsarbeit und hat sein Themenspektrum um kulturelle Projekte und ein Modellprojekt zur dualen Ausbildung von jungen Menschen mit geistiger Behinderung erweitert.
Gemeinsames Lernen verändert alle Kinder – mit und ohne Behinderung
Das Grundproblem bei der Inklusion sei: „Wenn Kinder aus der normalen Kindergesellschaft herausgenommen werden, können sie nicht von denen lernen und sie lernen auch nicht, sich in einer Durchschnittgesellschaft zu bewegen“, sagt Thoms. „Wenn man in einem abgetrennten Raum geschützt vor der Gesellschaft aufwächst, dann bekommt man viele Kompetenzen nicht mit, die man mitkriegen würde, wenn man in der Mitte der Gesellschaft aufwachsen würde.“
Dazu komme: „Gemeinsames Lernen verändert ja nicht nur die Kinder mit Behinderung, sondern es verändert auch die Kinder ohne Behinderung“, betont Thoms. Ihnen müsse man nicht mehr erklären, wie man mit Menschen mit einer Einschränkung zusammenarbeitet. Sie hätten das ja in der Schule erlebt. „Das heißt also, es entwickelt sich auch ein völlig anderes Klima in der Gesellschaft. Das ist die Hoffnung.“ Und seit 18 Jahren der Antrieb für die Mitarbeiter und Mitglieder von Mittendrin.