Beginn der Imfpungen am SonntagGertrud Vogel wird als erste Kölnerin geimpft
Köln – Was denken alte Menschen über die Corona-Krise? Vier Bewohnerinnen und Bewohner aus Seniorenheimen erzählen. Darunter auch Gertrud Vogel, die am kommenden Sonntag als erste Kölnerin offiziell geimpft wird.
Gertrud Vogel (92), Riehler Heimstätten:
Ich mache mir wegen der Pandemie große Sorgen, aber nicht um mich. Corona ist eine Tragödie für die jungen Menschen. Mir tun die Kinder und Jugendlichen so leid, die für eine so lange, so wichtige Zeit nicht leben dürfen, wie sie möchten. Und die vielen, die ihren Job verloren haben, deren Existenzen durch das Virus vernichtet werden. Und die schlecht Gestellten, die Geringverdiener, die Alleinerziehenden, die es jetzt noch schwerer haben. Für mich selbst ist das Virus keine Bedrohung: Ich bin 92 Jahre alt, sitze im Rollstuhl und werde blind. Auch als es hier im Heim einen Ausbruch gab, hatte ich keine Angst – ich habe mich gut aufgehoben gefühlt. Wenn ich das Virus bekommen sollte, möchte ich nicht wiederbelebt werden – das wurde ich vor eineinhalb Jahren schon mal, nach einem Nieren- und Blasenversagen.
Ich möchte auch nicht beatmet werden. Mein Intensivbett soll ein jüngerer Mensch haben. Ich genieße mein Leben hier, alle sind gut zu mir, wir dürfen uns auch wieder in Kleingruppen treffen, kegeln im Kreis mit 1,50 Metern Abstand. Es gibt viele liebe Menschen, die sich um mich kümmern, das ist wunderbar.
Immer gut gemeint hat es das Leben mit mir nicht: Als Mädchen habe ich erlebt, wie der Hitler an die Macht kam, meine Eltern waren in der SPD und haben oft gesagt, wie schrecklich der ist. In Mülheim kannte ich einen jüdischen Schuhverkäufer und einen jüdischen Jungen, der behindert war, dem ich auf der Straße immer die Hand gab und fragte, wie es ihm geht – irgendwann trug er einen gelben Stern. Und wenig später war er einfach weg. Als Kind habe ich das nicht verstanden, traurig macht mich der Holocaust bis heute. Und verstehe es nicht, wie das möglich wurde. Einen meiner Söhne hätten die Nazis auch ermordet.
Von meinen drei Kindern sind zwei gestorben – die Tochter mit 55 an Organversagen, der Sohn nach einem Nervenleiden. Mein drittes Kind ist schizophren – seit ich vor eineinhalb Jahren im Sterben lag, glaubt es, ich sei tot – sehen werde ich es nicht wieder, weil es nicht glaubt, dass ich noch lebe, und weil es ihm nicht gut geht. Einsam war ich oft in meinem Leben, alle meine Verwandten sind inzwischen tot. Aber ich wollte trotzdem immer leben: Ich habe nach dem Krieg als junge Trümmerfrau beim Wiederaufbau geholfen, Kleider genäht, tapeziert, aus Nichts etwas gemacht. Heute recycle ich alles, fülle Yoghurtbecher mit Süßigkeiten, binde ein Schleifchen drum und verschenke es an Bewohner. Meine Einstellung ist, dass man immer etwas machen kann. Vielleicht bringt Corona die Menschen näher zusammen, ich würde es mir wünschen. Vor allem wünsche ich mir das für die jungen Menschen – sie sollen ihr Leben nicht mit Kriegen und nicht mit einem bedrohlichen Virus verbringen müssen.
Leonardo Martinez Ugarte (86), Caritas-Altenzentrum St. Maternus, Rodenkirchen:
In der Pandemie waren wir plötzlich isoliert. Allein waren wir zum Glück nicht. Jeder hat die gleichen Ängste und Sorgen. Die Ärzte, die Pflegerinnen, die Bewohner, alle fühlen sich wie auf einer Insel. Insel trägt das Wort Isolation in sich. Mein Vater ist zwei Monate vor meiner Geburt gestorben, das war die erste Bruchstelle in meinem Leben. Längst bin ich der letzte Überlebende meiner Familie – abgesehen von meiner Tochter, zu der ich keinen Kontakt habe, eine graue Stelle in meinem Leben.
Ich habe gelernt, mit Verlust zu leben – das ist unser Schicksal. Trotzdem fällt Verlust natürlich schwer – vor zwei Tagen ist mein Zimmernachbar gestorben, nicht an Corona, einfach, weil er alt war, und so ein Verlust ist jedes Mal schwer. Hier im Haus haben wir versucht, uns in der Zeit der Isolation zu verbinden. Mir hat dabei eine Virtual-Reality-Brille geholfen, damit konnte ich sogar mein Geburtshaus sehen in der Wüstenstadt Antofagasta in Chile, das war unglaublich. Mit den digitalen Möglichkeiten von heute kann man durch die ganze Welt und in seine eigene Vergangenheit reisen. Ich habe in der Zeit des Alleinseins den wohl letzten Teil meiner Lebensgeschichte aufgeschrieben – jenen über die Corona-Zeit. In jedem Zimmer gab es ein Schicksal, jeder Beschäftigte hier hat Schicksal. Das Schicksal ist die Ungewissheit über die Zukunft.
Was fehlt, ist die körperliche Nähe, die verboten ist. Ich habe lange am Theater und an Schulen gearbeitet. Ohne menschliche Nähe zu leben, das konnte ich mir nie vorstellen. Aber wenn es alle müssen, geht es. Das Schicksal hat uns vereint – hoffentlich bleibt die Solidarität, diese Gewissheit, dass es uns irgendwann allen gleich geht. Ich denke, das kann das Gute an so einer Tragödie sein: Mit dem eigenen Leben so konfrontiert zu werden, dass wir erkennen, dass wir alle gleich sind und annehmen müssen, was passiert. Ich habe meine Zukunft organisiert: Einen Platz auf dem Friedhof reserviert, entschieden, in Köln zu bleiben. Mich rettet die Literatur – das Lesen und das eigene Schreiben – und der Glaube an den Zusammenhalt. Ich kann seit einem Jahr nicht mehr laufen, aber anderen geht es viel schlechter hier – und ich versuche, ihnen zu helfen. In schweren Situationen hilft es am meisten, für andere da zu sein – und anzunehmen, was ist.
Marlies Maehler (90), Marie-Juchacz-Zentrum der Awo, Chorweiler:
Psychisch belastet mich die Krise sehr. Ich bin ein geselliger Mensch und habe noch relativ viele Kontakte: Im Café unserer Einrichtung habe ich mich regelmäßig mit früheren Kolleginnen getroffen – das geht seit März nicht mehr, das Café ist geschlossen. Auch die Treffen mit meiner Zwillingsschwester und mit einem befreundeten Ehepaar sind weniger geworden – auch wenn sie zum Glück wieder möglich sind und das hoffentlich so bleiben wird. Es ist schwer, die ganze Zeit in seinem Zimmer zu sein – aber mir geht es zum Glück noch gut: Ich lese die Tageszeitung und nähe viel, als gelernte Schneiderin habe ich auch viele Masken genäht, als die im Frühjahr knapp waren.
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Von der Nadel bin ich nie losgekommen. Ängstlich bin ich nicht – ich sage mir, dass alles in Gottes Hand liegt. Aber es fehlt mir, in die Stadt zu fahren und mich im Kaufhof mit meiner Schwester zu treffen – ich meide Bus und Bahn und überhaupt Orte, an denen sich viele Menschen treffen. Ich habe in meinem Leben viele Krisen erlebt – mein Vater ist 1943 im Krieg gefallen, ich habe alle schlimmen Facetten des Kriegs erlebt. Unter der Krise im Moment leidet jeder – man muss das hinnehmen und weitermachen. Es hilft ja nichts.
Magdalena Oxé (100), Seniorenzentrum St. Maternus, Rodenkirchen:
Ich habe immer gedacht: Hier im Haus hat man das Virus im Griff. Das Virus ist da, und es wird wohl bleiben, aber ich vertraue darauf, dass alle Maßnahmen ergriffen werden, dass es uns gut geht. Ich bin froh, dass meine zwei Söhne mich wieder regelmäßig besuchen können, eine Zeit lang konnten wir nur telefonieren, das war schwer. Meine Söhne sind das wichtigste in meinem Leben, ich bin sehr stolz auf sie. Schön fand ich die Garten-Konzerte, die ich vom Balkon aus verfolgt habe. Das war eine nette Abwechslung. Ich kann nicht mehr laufen und bin fast blind: Viel machen kann ich also nicht mehr. Angst vor Corona habe ich auch nicht. Aber es ist schön, hier gut aufgehoben zu sein, und meine Kinder zu treffen.