Leben im SchattenWarum die Sonne für eine achtjährige Kölnerin der größte Feind ist
- Leia ist acht Jahre alt und leidet an der sehr seltenen Stoffwechselerkrankung Erythropoetische Protoporphyrie, kurz EPP.
- Dabei verbrennt die Sonne den Körper praktisch von innen. Bereits bei der geringsten Strahlung kommt es in der Unterhaut zu massiven Verbrennungen.
- Es ist ein Leben im ständigen Kampf zwischen Pest und Cholera: entweder soziale Isolation oder extreme Nervenschmerzen.
Köln – Leia hüpft unter den riesigen Bäumen von Schatten zu Schatten. Nur ein paar Minuten. Die gelbe Kappe tief ins Gesicht gezogen, lange Ärmel, lila Handschuhe schützen die Hände. Dann muss sie wieder zurück unter das schattige Dach. Was aussieht wie ein fröhliches Kinderspiel, ist für die Achtjährige ein Grenzgang. Ein paar Minuten Schattenspringen, das ist das Äußerste, was Leia einem Sonnentag abringen kann. Und buchstäblich ein Spiel mit dem Feuer. Denn das lebenslustige Mädchen hat einen Feind: die Sonne.
Sie leidet an der sehr seltenen Stoffwechselerkrankung Erythropoetische Protoporphyrie, kurz EPP, auch Schattenspringer-Krankheit genannt. Dabei verbrennt die Sonne den Körper praktisch von innen. Bei der Produktion des roten Blutfarbstoffs wird zu viel von einem Stoff produziert, der auf Licht reagiert – und zwar auf die blauen und roten Anteile des Lichts. Dann kommt es schon bei der geringsten Strahlung in der Unterhaut zu massiven Verbrennungen.
Unerträgliche Schmerzen unter der Haut
Selbst durch Fensterscheiben hindurch. „Es fühlt sich an wie Knallfrösche auf der Haut, die von der Sonne angezündet werden und dann explodieren“, erklärt die Achtjährige ihr Empfinden. Die so genannten Neuropathien lösen nach kürzester Zeit unter der Haut unerträgliche Schmerzen aus, die in einem späteren Stadium auch als massive Verbrennungen und Schwellungen außen auf der Haut sichtbar sind.
Von der Krankheit EPP ist nach Auskunft von Elke Hauke einer von 100.000 Menschen betroffen. „Unseres Wissens leben in Köln und Umgebung zehn Betroffene, davon drei Kinder“, sagt Hauke. „Aber die Dunkelziffer ist vermutlich sehr hoch.“ Da viele Betroffene zwar Qualen leiden und sich in den Schutz des Hauses zurückziehen, aber wenige Ärzte die Krankheit kennen und den entsprechenden Bluttest veranlassen.
Ein Leben im ständigen Kampf zwischen Pest und Cholera
Hauke ist selbst Mutter einer Tochter mit EPP und Vorsitzende der „Selbsthilfe EPP e.V.“, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Krankheit bekannter zu machen und Betroffenen die Möglichkeit zu geben, Leidensgenossen kennenzulernen. Denn was es bedeutet, mit der Erkrankung zu leben, vermögen Außenstehende nicht zu ermessen. Es ist ein Leben im ständigen Kampf zwischen Pest und Cholera: entweder soziale Isolation oder extreme Nervenschmerzen.
Jetzt in Zeiten von Corona hätten manche vielleicht auf Zeit die Erfahrung gemacht, wie es ist, nicht einfach raus zu können, wenn einem danach ist, sagt Hauke. Bei EPP ist das ein Dauerzustand. Ihre Tochter Clara begann als Zweijährige bei einem Griechenlandurlaub bei einem Strandaufenthalt vor Schmerzen zu schreien und hörte nicht mehr auf. Sie wand sich tagelang in Schmerzen, ehe auch die schweren Verbrennungen nach außen sichtbar wurden. Danach begann eine vierjährige Ärzteodyssee bis der Befund EPP Gewissheit brachte und das Leid eine Erklärung fand.
Das Schicksal von Kindern, die an EPP leiden
„Eigentlich sind wir eine Outdoor-Familie gewesen“, sagt Hauke. Aber all das war vorbei: wenn die Familie sich fortan mal im Urlaub an den Strand begab, dann um 6 Uhr morgens oder um 23 Uhr abends. „Am besten ist tiefer Wald, weil Baumschatten viel Blaulicht schlucken.“ Drinnen hocken, wenn alle anderen Kinder draußen toben, das ist das Schicksal von Kindern, die an EPP leiden.
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Genauso schlimm ist oft das mangelnde Verständnis der Umwelt: „Man hört einfach viele blöde Sprüche und wird nicht ernst genommen“, erzählt Leias Mutter Petra Schlemenat. Da gebe es gute Tipps, wie doch gute Sonnenmilch zu nehmen – dabei filtert Sonnenmilch UV-Strahlen, die gar nicht das Problem sind, aber eben nicht das Blaulicht.
Sobald es wärmer wird, beginnt die besonders schlimme Zeit
Viele wüssten einfach nicht, wie schlimm das ist, weil man sich total zurückziehe und sich nicht zeige, wenn man zuviel Sonne abbekommen habe, sagt Clara. Dann sind die Schmerzen auf der Haut so groß, dass man selbst die körperliche Nähe von Menschen, die einen trösten möchten, physisch nicht aushalten könne. Sobald es wärmer wird, beginnt für Leia die besonders schlimme Zeit: „Alle gehen in der Pause raus. Ich bin die einzige, die drinnen bleiben muss. Gott sei Dank habe ich eine tolle Freundin, die mit mir drin bleibe“, erzählt die Zweitklässlerin. „Ich hasse es, die spielenden Kinder durchs Fenster zu sehen, die Spaß haben.“
In der Pubertät war es für die heute 26-jährige Clara am schlimmsten: Der riesige Sonnenhut, den sie zum Schutz aufhatte, die langen Ärmel, die Handschuhe, der Schirm. Eigentlich will ein Teenager vor allem eines nicht: anders sein als die anderen und auffallen. Das ist mit der Krankheit nicht möglich, da man beim Rausgehen alle Hautflächen bedecken muss. „Dann habe ich halt doch auch oft Sachen mitgemacht und dafür bitter bezahlt.“ Sie erinnert sich an eine Klassenfahrt als Jugendliche, die sie unbedingt mitmachen wollte. „Da habe ich dann fast nicht geschlafen, höllische neuropathische Schmerzen gehabt und alle vier Stunden Morphin genommen.“
Neu entwickeltes Hormonimplantat regt Melaninproduktion an
Für Clara hat das Martyrium seit 2016 ein Ende: Seit der Zeit können sich Erwachsene in Deutschland in der Berliner Charité ein neu entwickeltes Hormonimplantat einpflanzen lassen. Dieses regt die Melaninproduktion an und schafft einen natürlichen Schutz vor dem Blau- und Rotlicht. Das Implantat muss alle zwei Monate erneuert werden. Seit Clara das bekommt, hat für sie ein neues Leben begonnen: Sie kann stundenweise in die Sonne und ist als Intensivkrankenschwester auch in ihrem Beruf wieder arbeitsfähig, da das Licht durch die Scheiben in dem Krankenhaus nun von ihr vertragen wird.
Für Leia ist diese Therapie noch in weiter Ferne, da das Präparat erst ab 18 Jahren zugelassen ist. Aber sie alle haben den Wunsch: Sie wollen über die Krankheit aufklären und dadurch andere Betroffene finden, die seit vielen Jahren leiden, aber keinen Namen für ihr Leiden haben. „Wenn wir durch Öffentlichkeitsarbeit auch nur einen Menschen aus der Region finden, der so erfährt, dass er vielleicht EPP hat und der damit auch Aussicht auf Linderung durch ein solches Implantat bekommt, dann sind wir super glücklich“, sagt Elke Hauke