„Ich habe Angst“Kölner Intensivpfleger hat Covid-19-Patienten bis zum Tod begleitet
- Dominik Stark, 28 Jahre alt, ist Gesundheits- und Krankenpfleger an der Kölner Uniklinik.
- In den letzten Monaten hat er sich auf einer operativen Intensivstation, die zur reinen Covid-19-Station umfunktioniert wurde, um Menschen gekümmert, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben.
- Im Interview spricht er über Covid-19-Patienten, die auf seiner Station verstorben sind, über „Corona-Skeptiker“ und miserable Arbeitsbedingungen in der Pflege. Außerdem erklärt er, warum er sich nicht über Applaus freut.
Herr Stark, mit welchem Gefühl gehen Sie aktuell zur Arbeit?
Es ist ziemlich schwierig zu sagen. In den letzten Monaten waren viele Hochs und Tiefs dabei. Als das Virus hier ankam, hatte ich ganz viele Fragen: Bin ich ausreichend geschützt? Wie kann ich die Patienten versorgen? Wie viele kommen und wie soll ich das überhaupt schaffen, wenn ich den ganzen Tag isoliert bin? Mittlerweile hat man sich ein bisschen daran gewöhnt. Aber ich habe weiterhin Angst, dass der richtige Knall noch kommt.
Wie hat sich der Arbeitsaufwand zu Beginn der Pandemie verändert?
Unsere Abteilung, die auf Corona-Patienten fixiert ist, wurde nicht überlaufen. Teilweise hatten wir hier weniger Patienten als im Normalbetrieb. Aber: Wir mussten mit FFP-Masken, unter denen man ganz schlecht atmen kann, die ganze Zeit mit ihnen auf den Zimmern sein. Ich habe acht Stunden lang unter den Isolationskitteln geschwitzt, durfte keinen Kaffee mehr mit Kollegen trinken und war komplett isoliert. Als ich abends nach Hause kam hatte ich starke Kopfschmerzen, weil ich den Tag über zu wenig Sauerstoff bekommen habe.
Zur Person
Dominik Stark, 28 Jahre alt, ist Gesundheits- und Krankenpfleger an der Uniklinik Köln. In seiner Weiterbildung zum Fachanästhesie- und Intensivpfleger und Intensivpfleger lernt er die unterschiedlichen Intensivstationen des Klinikums kennengelernt. In den letzten Monaten hat er sich auf einer operativen Intensivstation, die zur reinen Covid-19-Station umfunktioniert wurde, um Menschen gekümmert, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. In seinem Podcast „Medipod“ erzählt Stark regelmäßig vom medizinischen Alltag. (pg)
Aktuell gibt es kaum Infizierte in Köln. Haben Sie jetzt weniger zu tun?
Nein. Jetzt werden fast alle Operationen, die ausgefallen sind, nachgeholt. Dadurch ist die Station sofort wieder voll. Die Anstrengung ist geblieben, es ist jetzt aber eine andere Form der Belastung.
Hatten Sie in Ihrer Zeit auf der Covid-Intensivstation Kontakt zu anderen Pflegern oder Patienten?
In der Anfangsphase hatten wir auf der Station operierte Patienten, gleichzeitig mussten wir Corona-Verdachtsfälle aufnehmen. Das Infektionsrisiko zu beschränken war dabei sehr schwierig. Wir haben uns aufgeteilt, sodass Pfleger, die Menschen mit Corona-Verdacht behandeln, überhaupt keinen Kontakt zu anderen Patienten und deren Pflegern haben. Es war ein enormer Aufwand – und wir hatten Angst. Man wollte nicht derjenige sein, der einen immungeschwächten Patienten mit Corona infiziert. Ich habe mich ständig gefragt: War ich irgendwo leichtsinnig, habe ich mir die Hände vielleicht ein paar Sekunden zu kurz desinfiziert?
Das klingt, als hätten Sie sich als Pfleger ein eigenes Schutzkonzept überlegt.
Das stimmt zum Teil. Die Uniklinik hat mit ihrem großen Hygieneteam jeden Tag neue Anweisungen gegeben. Wir wurden stets aktuell informiert. Das war wichtig, aber auch nicht einfach, weil sich die Regeln täglich geändert haben. Innerhalb des Teams haben wir dann auch selbst viele Entscheidungen getroffen, um Infektionen zu vermeiden.
Welche Aufgaben hatten Sie in der Behandlung von Covid-Patienten?
Wir haben die Infizierten mit angeordneten Medikamenten, die über zentrale Venenkatheter laufen, versorgt. Außerdem mussten wir die Beatmung analysieren und schauen, ob alle Parameter stimmen. Regelmäßig müssen Corona-Patienten mit schweren Verläufen auch abgesaugt werden, weil sich mehr Sekret in der Lunge sammelt, als der Körper selbst abbauen kann. Die Pflege von Infizierten ist sehr aufwendig, auch weil sie die meiste Zeit auf dem Bauch liegen müssen. Eine gute Behandlung erfordert viel Vorbereitung und eine gewisse Intensivpflegerische Erfahrung.
Welche Krankheitsverläufe haben Sie bei Corona-Patienten erlebt?
Hier an der Uniklinik konnten wir dank unserer vergleichsweise hohen Kapazitäten viele Patienten mit sehr schweren Verläufen aufnehmen. Das waren Menschen ab 50, 55 Jahren aufwärts und mit mehreren Vorerkrankungen. Auch Patienten aus Italien, die wir solidarisch übernommen haben, waren dabei. Die hat es meistens sehr hart getroffen. Es gab ebenso etwas mildere Verläufe bei uns, wo Menschen um eine Beatmung herum kamen. Aber auch Todesfälle. Einen Mensch, der an dem Virus gestorben ist, habe ich selbst betreut. Bei dieser Person haben wir bis zum letzten Moment alles versucht, aber die Therapie ist dort an ihr Maximum gekommen. Wir konnten dieses Leben nicht retten.
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Während Sie diese Patienten bis vor kurzem Tag und Nacht versorgt haben, gehen viele Menschen ohne Beachtung von Hygieneregeln gegen die Schutzmaßnahmen demonstrieren. Können Sie das nachvollziehen?
Es macht mich schon stutzig. Ich frage mich: Muss das unbedingt sein? Zu behaupten, dass all das, was führende Wissenschaftler sagen, nicht stimmt? Ich frage mich immer wieder, ob sich die Meinung dieser Demonstranten ändern würde, wenn jemand aus der eigenen Familie schwer betroffen wäre. Natürlich sollte man alles hinterfragen und sich Einschränkungen nicht einfach gefallen lassen. Auch bin ich sehr froh, dass man in Deutschland die eigene Meinung kundtun kann, auch zu diesem Thema. Aber ich denke, dass man sich seriöse Quellen suchen und rational über diese Pandemie nachdenken sollte. Die unumstrittene Wahrheit ist, dass Menschen schwer an diesem Virus erkranken. Ich habe das erlebt.
Sehen Sie ihre Station auf eine zweite Infektionswelle vorbereitet?
Aktuell würde ich sagen: definitiv. Wir hatten während der ersten Welle noch Kapazitäten. Fast alle haben sich hier bereiterklärt, Überstunden zu machen. Ältere Kollegen, die eigentlich nicht mehr aktiv im Dienst waren, haben sich neu einarbeiten lassen. Ich hatte das Gefühl, dass hier sehr, sehr viele Menschen bereit sind, zu helfen. Allerdings wissen wir natürlich nicht, was bei einer zweiten Welle auf uns zukommen würde.
Wie mussten Sie mit der ständigen Gefahr, selbst infiziert zu sein, Ihr Leben zuletzt einschränken?
Ich habe mich sehr strikt an alle Regeln gehalten. Weil ich wusste, dass ich den Abstand zu unseren Patienten nicht halten kann. Ich war anfangs nicht mehr joggen, habe mich konsequent mit niemandem getroffen. Das war schwer, denn wir Menschen sind eben soziale Wesen. Meine Familie nicht mehr zu besuchen war sehr hart. So langsam fühle ich mich ein bisschen freier, habe meiner Mutter ein paar Blumen vorbeigebracht – natürlich auf Abstand.
Neben den privaten Einschränkungen und dem großen Arbeitsaufwand gehen Sie auch ein gesundheitliches Risiko ein. Es wurde viel applaudiert, viel von „Systemrelevanz“ gesprochen. Wird der Einsatz von Pflegern aus Ihrer Sicht damit genug wertgeschätzt?
Ich blicke auf diese Themen mit gemischten Gefühlen. Bei dem Applaus hatte ich irgendwann den Eindruck, dass er zu einem reinen Ritual wurde, dass es nicht wirklich um uns ging. Dass wir jetzt im Rampenlicht stehen, finde ich gut. Die Probleme in der Pflege sind seit Jahrzehnten bekannt, das sind keine neuen Themen. Die Arbeitsbedingungen sind katastrophal – in Krankenhäusern wie der Uniklinik geht es uns auf einem schlechten Niveau noch deutlich besser als woanders. Man erhofft sich natürlich, dass jetzt eine politische Debatte angestoßen wird. Aus meiner Sicht geht es darum, alle Kraft zu investieren, um Personal anzuschaffen. Auch eine adäquate Bezahlung wäre erfreulich, aber mit 500 Euro mehr kann man mich nicht abspeisen. Viel wichtiger ist es mir, dass Arbeitsbelastung und Stress reduziert werden. Ich hoffe, dass die Leute, die abends geklatscht haben, jetzt auch für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege kämpfen.
Ist das Kernproblem aus Ihrer Sicht die zunehmende Privatisierung von Krankenhäusern in den letzten Jahrzehnten?
Es ist auf jeden Fall ein Kernproblem – aber nicht das einzige. Es geht auch darum, dass immer mehr Zeitarbeitsfirmen entstehen, bei denen man als Pfleger deutlich mehr verdient und flexibler ist. Dafür haben viele Kollegen die Krankenhäuser verlassen. Aus meiner Sicht muss es das Ziel sein, die Menschen im Gesundheitswesen fest an Kliniken zu binden – mit einem guten Gehalt und akzeptablen Arbeitsbedingungen. Das Gesundheitssystem in Deutschland basiert leider auf Zahlen: Man muss viel behandeln, viel operieren, um Geld zu generieren. In diesem Sinne generiert die Pflege kein Geld. Und trotzdem ist unsere Arbeit lebensnotwendig. Wir helfen Menschen in Extremsituationen und retten Leben. Auch das muss honoriert werden.