Überleben bei MinusgradenWarum viele Kölner Obdachlose auf einen Platz in der Notunterkunft verzichten

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Traian Sicheli und Shira Kaminki vor dem Dom.

Traian Sicheli und Shira Kaminki schlafen auch bei Minusgraden lieber auf der Straße als in einer Notunterkunft.

Shira Kaminski und Traian Sicheli leben als Paar zusammen auf den Straßen Kölns. Sie schlafen lieber im Zelt als in einer Notunterkunft.

„Als ich noch allein unterwegs war“, sagt Shira Kaminski, „hatte ich im Winter Angst. Angst zu erfrieren, Angst vor Männern, die mich ausrauben oder sexuell belästigen wollten.“ Immer wieder sei ihr genau das auch passiert in den rund vier Jahren, in denen sie nun schon auf der Straße lebt. Doch seit ein paar Monaten, seitdem sie ihren Freund Traian Secheli an ihrer Seite weiß, da könne sie besser schlafen. „Jetzt wärmen wir uns nachts gegenseitig“, sagt Kaminski und lächelt.

12.580 wohnungslose Menschen lebten 2022 laut dem NRW-Gesundheitsministerium in Köln, 40 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, die Dunkelziffer dürfte groß sein. Damit ist Köln landesweit Spitzenreiter. 300 bis 500 davon gelten laut Stadt als obdachlos. Anders als Wohnungslose, die eine vorübergehende Unterkunft, aber keine eigene Wohnung haben, leben sie dauerhaft auf der Straße. Kaminski und Secheli sind zwei von ihnen.

Wintertelefon hilft Obdachlosen im Kölner Winter

Am Freitagvormittag stapfen die beiden durch das schneebedeckte Köln, das Thermometer zeigt ein Grad Celsius an. Beide sind mit Einkaufstüten unterwegs. Dort verstauen sie Pfandflaschen, die sie auf ihren Märschen durch die Stadt sammeln. „So finanzieren wir uns unser Essen“, erklärt Kaminski. Abends, wenn die Temperatur auf minus vier Grad Celsius fallen soll, kehren sie dann zurück in ihr Versteck, irgendwo in Köln, wo sie ihr Zelt, ihre wenigen Habseligkeiten und zwei Schlafsäcke untergebracht haben. „Dort findet uns kein Polizist und niemand vom Ordnungsamt“, sagt sie.

Auf einen Platz in einer der Notschlafstellen in der Stadt verzichten die beiden bewusst. „Es gibt kaum Plätze für Pärchen. Außerdem haben wir einen Hund, mit dem werden wir sowieso nicht hineingelassen“, erklärt Kaminski. Sicheli, der nur gebrochen deutsch spricht, nickt. Und allein wolle sie dort nicht übernachten – aus Angst: „Viele der Bewohner dort nehmen Drogen und man wird von anderen Bewohnern beklaut.“ Das letzte Mal, als sie dort übernachten wollte, hielt sie eine Frau wach, die die ganze Nacht lang schrie. „Ich habe dort mehr Angst als auf der Straße“, sagt Kaminski.

Hoffnung auf eine Wohnung in Köln stirbt zuletzt

Laut Stadt gibt es insgesamt acht Notschlafstellen mit rund 80 Plätzen. Im Rahmen der Winterhilfe gebe es ein zusätzliches Unterbringungsangebot mit 72 weiteren Schlafplätzen. Die Streetworkerinnen Friederike Bender und Petra Hastenteufel vom Hilfsverein „Oase“ kennen Kaminski und Secheli schon länger. Sie wissen, dass sie nicht die einzigen sind, die trotz Minusgraden lieber auf der Straße übernachten: „Viele Obdachlose wollen aus den gleichen Gründen nicht in die Notschlafstellen.“

Friederike Bender und Petra Hastenteufel vor der Schildergasse.

Die Streetworkerinnen Friederike Bender und Petra Hastenteufel von der „Oase“ vor der Schildergasse.

Am Freitagvormittag sind Bender und Hastenteufel auf der Schildergasse unterwegs. Die Stadt betreibt ein Winterhilfetelefon. Dort können Kölnerinnen und Kölner anrufen, wenn sie Obdachlose sehen, von denen sie meinen, dass sie Hilfe benötigen. Die Meldungen landen dann unter anderem bei Bender und Hastenteufel. „Wir schauen dann, wie es den Menschen geht und ob sie Hilfe brauchen“, erklärt Bender. Auch auf die Notschlafstellen verweisen sie. „Doch wenn jemand die Notschlafstellen nicht nutzen will, dann muss man das respektieren, es sind erwachsene Menschen.“

Trotzdem sei es gerade in diesen Tagen wichtig, auf obdachlose Menschen zu achten, sagt Hastenteufel. „Der Winter ist die gefährlichste Zeit für Obdachlose. Wenn man Menschen auf der Straße sieht, die sich nicht bewegen: Sprechen Sie sie an, fragen Sie, wie es Ihnen geht.“ Ein Anruf beim Wintertelefon, im Notfall auch beim Rettungsdienst, könne Menschenleben retten.

Der Austausch zwischen Streeworkerinnen und Obdachlosen hilft auch dann, wenn auf einen Platz in der Notunterkunft verzichtet wird, sagt Kaminski. „Ohne Menschen wie die beiden wäre ich schon längst verzweifelt.“

Petra Hastenteufel, Streetworkerin bei der Oase bei der Arbeit auf der Schildergasse.

Petra Hastenteufel, Streetworkerin bei der Oase bei der Arbeit auf der Schildergasse.

Am Freitag hoffen die beiden zunächst auf genug Pfandflaschen für eine warme Mahlzeit, um sich für die Nacht bei Minusgraden zu rüsten. „Mein größter Wunsch ist aber, dass wir endlich irgendwann eine Wohnung zusammen beziehen können.“ Als Obdachlose sei die Suche auf dem überhitzten Kölner Wohnungsmarkt so gut wie aussichtslos. „Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.“


Das Winterhilfetelefon ist unter 0221/ 560 973 10 oder unter der E-Mail-Adresse winterhilfetelefon@skm-koeln.de zu erreichen.

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