„Ein Ferrari im ersten Gang“Wie die Corona-Krise den Kölner Hauptbahnhof verändert
- Ob 100 oder 1000 Züge am Tag – die Bahn muss den Betrieb im Kölner Hauptbahnhof mit Notbesetzung aufrecht halten.
- „Wenn ein Zug wegen Corona ausfällt, beschwert sich keiner mehr“, erzählt uns ein Mitarbeiter an der Information. Auch die Führungsebene stellt grundlegende Veränderungen fest.
- Was macht die Krise mit dem größten Kölner Verkehrsknotenpunkt?
Köln – Wie sich Einsamkeit anfühlt, spürt Christin Kroner (31) ganz genau. Sie steht auf dem Bahnsteig an Gleis 4 und 5 im Kölner Hauptbahnhof. Mit ihrem roten Käppi, in Uniform, immer in der Erwartung, dass gleich ein abgehetzter Rollkoffer mit einer älteren Dame am Griff, der noch vor einer halben Minute um ein Haar am Rolltreppen-Abgang mit einem zusammengeklappten Fahrrad kollidiert wäre, aufgelöst auf sie einredet, weil er doch nach Norddeich-Mole will.
Gibt es etwas Sinnloseres als eine Rolltreppe ohne Menschen? Vor dem Aufsichtshäuschen rückt Christin Kroner ihr rotes Käppi zurecht, das sie als Bahnsteigaufsicht ausweist. Auf dem Parallelgleis schleicht der Norddeich-Intercity leise davon. Pünktlich auf die Sekunde. Keiner hat ihn verpasst, weil keiner zugestiegen ist.
„Die Menschen fehlen mir“ am Kölner Hauptbahnhof
„Manchmal vermisse ich unsere Kunden schon“, sagt Kroner. Dieses unterschwellige Gemurmel, dieser kritische Unterton, wenn sie sich durch die Menge schlängelt, weil sie den verspäteten ICE abfertigen muss, obwohl das Bordbistro noch nicht aufgefüllt ist. „Die Menschen fehlen mir, sie sind wie das Salz in der Suppe. Ohne Salz schmeckt sie nicht.“
Zu den wenigen Aufregern zählen die paar Radfahrer und Skater, die auf den leeren Bahnsteigen entlangbrettern, wenn sie aus den Regionalzügen herausgetröpfelt sind. Das mag auf einem normalerweise vollgestopften Hauptbahnhof, der jeden Tag von 250.000 Menschen genutzt wird, ein hübscher Zeitvertreib sein, für Christin Kroner ist es einfach nur verrückt. Ein falscher Schlenker und der Radler liegt im Gleis. Doch die Wahrscheinlichkeit erwischt zu werden, ist nicht sehr hoch.
Mitarbeiter am Kölner Hbf sehnt sich nach komplizierten Fragen
Zwei Züge pro Stunde. Mehr muss Kroner in Zeiten des Kontaktverbots nicht auf die Reise schicken. Zwei Züge pro Stunde. Das sind weniger als auf jedem schäbigen Vorort-Bahnhof. Für das Drehkreuz des Westens ist es eine Beleidigung. Am Mittag ist es unter der Bahnsteigkuppel menschenleer. Nichts zu tun. Seit halb sechs in der Früh steht Kroner hier. „Der Nahverkehr fährt von allein, der bekommt nur noch die Ausfahrt gestellt. Die schließen die Türen und fahren.“ Klingt irgendwie traurig.
Kai Rossmann (55) trägt wie immer seine orangefarbene Sicherheitsweste. Und die blaue Kappe mit der Aufschrift „Bahnhofsmanager“. Wir treffen uns an der Reisenden-Information – auf Corona-Abstand. Hinter der neuen Plexiglasscheibe hockt Syad Azad (31) und wünscht sich nichts mehr, als dass ein Kunde mal so eine richtig komplizierte Auskunft haben möchte. Damit der Tag schneller rumgeht. Die Leute seien nicht nur weniger, sondern auch anders als sonst – entspannter, freundlicher. „Wenn wir sagen, dass wegen Corona ein Zug ausfällt, beschweren sie sich nicht mehr.“
Weniger Kunden, aber die gleiche Sicherheit?
Rossmann kann das nur unterstreichen. „Die Schwerpunkte haben sich verschoben, gesund bleiben ist das oberste Ziel, wenn der Zug mal fünf Minuten Verspätung hat, mein Gott.“ Der Bahnhofsmanager muss Vorbild sein. Für seine Mannschaft. Wo es geht, hat er die Truppe und die Öffnungszeiten eingedampft – auf ein Drittel bis zur Hälfte. „Es kommt auf die Funktion an“, sagt der Bahnhofsmanager. Die Information ist in den Nachtstunden nicht mehr besetzt, die Fundstelle schließt früher.
Jusuf Kamili (49) hat den Höhepunkt seiner Schicht am Mittag bereits hinter sich – einen Koffer von der Größe einen halben Kleiderschranks zur Aufbewahrung entgegengenommen, vier Fundsachen bearbeitet. Oder waren es fünf? So habe er das hier noch nie erlebt, sagt er. „Ganz ruhig ist auch nicht gut.“Normalerweise halten 25 Eisenbahner pro Schicht den Hauptbahnhof in Betrieb – Polizei und Sicherheitskräfte ausgenommen. Jetzt sind es acht. Rossmann kann sich daran nicht gewöhnen: „Köln ist doch der Bahnhof, wo richtig Leben ist, wo wir uns eher mit Themen von Nachfrage, Stoßzeiten und Massenmanagement befassen müssen. So leer wie jetzt ist es noch nicht mal an Heiligabend, wenn ich die Geschenke rumbringe.“ Jeden Tag Heiligabend – auf Dauer sei das auch nichts. „Wir haben hier einen Ferrari und dürfen nur noch im ersten Gang fahren“, sagt Rossmann.
Volle Mannschaftsstärke gibt es seit Corona nur noch auf den Stellwerken. „Ob jetzt 1000 Züge fahren oder 100, die gleiche Sicherheit muss gewährleistet sein. Deshalb machen wir ja auch weiterhin die Abfertigung auf den Bahnsteigen“, sagt Rossmann.
Corona-Krise: „Bin es nicht gewohnt, dass der Bahnhof so leer ist“
Der Fernverkehr rollt fast vollständig, auf manchen Linien verzichtet die Bahn mangels Nachfrage auf Doppelzüge, Reisen in die Nachbarländer und in klassische Touristengebiete fallen aus. Bundesweit fahren 25 Prozent Züge weniger, vor allem der Regionalverkehr ist kräftig ausgedünnt. Bei der Bahn rücken sie in dieser Krisenzeit noch enger zusammen. „Das spürt man ganz deutlich“, sagt der Bahnhofsmanager. Bei Telefonkonferenzen mit der Zentrale in Berlin spüre man keinerlei Hierarchien mehr. „Wir tun alles, damit wir das hier bestmöglich überstehen und weder unsere Kunden noch unsere Mitarbeiter in Gefahr bringen.“
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In der B-Passage begegnen wir einem gut gelaunten Chef vom Dienst. 180 Leute müsse er normalerweise führen, sagt Erkan Kaya (42), klappt eine Vitrine mit den Fahrplanaushängen zu. Im Hauptbahnhof, auf der anderen Rheinseite im Deutzer Bahnhof und in Bonn. Er könne sich nicht daran erinnern, dass er mal Zeit hatte, die Baufahrpläne im Hauptbahnhof persönlich auszutauschen.
Zu seinem Job in Corona-Zeiten zählt auch, regelmäßig alle Spender mit Desinfektionsmitteln nachzufüllen. Das macht er mit großer Genauigkeit, damit seine Leute auch gesund bleiben. „Ich bin es nicht gewohnt, dass der Bahnhof so leer ist“, sagt Kaya. Sein Glück: Zuhause warten vier kleine Kinder auf ihren Papa, wenn er von der Schicht nach Hause kommt. Da, sagt Kaya, sei dann wenigstens Leben in der Bude.