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„Lebe über meine Verhältnisse“Wie die Inflation Alleinerziehende in die Armut drängt

Lesezeit 3 Minuten
Die alleinerziehende Mutter Judith B. steht auf der Deutzer Werft, mit Blick auf die Kranhäuser am anderen Rheinufer.

Die alleinerziehende Mutter Judith B. aus Köln-Dellbrück hat trotz der Energieentlastungszahlungen der Bundesregierung finanzielle Probleme.

Alleinerziehende galten bereits vor der Inflation als besonders armutsgefährdet. Eine Kölner Stiftung möchte helfen.

Vor der Inflation ging die Rechnung noch auf. Judith B. nahm sich fest vor, dass sie sich nur von ihrem Mann trennen würde, wenn sie ihren Lebensstandard und den ihrer zwei Kinder wahren könnte. Zunächst klappte das mit zwei Teilzeit-Jobs „knapp, aber bisschen Rücklagen hatte ich ja noch.“ Dann kamen der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise und die Inflation. Bei der nun alleinerziehenden Mutter aus Dellbrück setzte sofort eine „Sparmentalität“ ein, die seitdem ihren Alltag lenkt.

Eine Verdreifachung der Heizkosten, steigende Lebensmittelpreise und höhere Spritpreise wirkten sich immens auf ihr klammes Budget aus. „Rational lebe ich mittlerweile über meine Verhältnisse.“ Obwohl ihr Ex-Mann Unterhalt zahlt, musste die 42-Jährige ihre Mutter nach einem monatlichen Zuschuss fragen.

Ein Schritt, der für B. mit viel Scham verbunden war. Auch ein Grund, weshalb sie ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Ihre Situation zeigt die Auswirkungen der Energie- und Inflationskrise auf Kölnerinnen und Kölner im Mittelstand, die sich plötzlich fragen: Lebe ich jetzt in der Armut?

Kölner Stiftung will Energiepauschale umverteilen

Die Entlastungen, Pauschalen, Zuschüsse und Steuerermäßigungen der Ampel-Regierung waren für die Akademikerin „ein Tropfen auf den heißen Stein“. Über Freunde hörte sie schließlich von der Stiftung „Alltagsheld:innen“, die gemeinsam mit dem Verein „Fair für Kinder“ den sogenannten Energie-Soli für Solo-Eltern geschaffen hat. Hier können Menschen ihre Energieentlastungszahlungen an alleinerziehende Eltern in finanzieller Not spenden. Eine Umverteilung staatlicher Leistungen sozusagen.

Die Stiftung mit Geschäftsstelle in Köln hat bisher etwas mehr als die Hälfte des Spendenziels von 150.000 Euro erreicht. Diese werden bundesweit von sozialen Trägern an bedürftige Alleinerziehende verteilt. In Köln sind das die Beratungsstellen „ZentralE“, „Agisra“ und der Sozialdienst katholischer Frauen. Die Spenden werden in Form von 50-Euro-Gutscheinen für Lebensmittelgeschäfte und Drogeriemärkte weitergegeben.

Neun von zehn Alleinerziehenden sind Frauen

„Für die Eltern ist das nur eine Kleinigkeit. Da muss man sich nichts vormachen“, weiß Geschäftsführerin von „Alltagsheld:innen“ Heidi Thiemann. Vielmehr möchte sie mit der Aktion auf die Verteilungsungerechtigkeit gegenüber Alleinerziehende aufmerksam machen. „Trotz mehrerer Jobs sind Alleinerziehende häufig von Armut betroffen – und deren Kinder dementsprechend auch“, sagt Thiemann, die selbst alleinerziehende Mutter ist.

Alleinerziehende sind einer Bertelsmann-Studie zufolge die am häufigsten von Armut betroffene Familienform. Demnach steigt die Armutsgefährdungsquote, sobald man sich trennt. In Köln gelten etwa 43 Prozent der Alleinerziehenden als besonders armutsgefährdet, da sie nach SGB II leistungsberechtigt sind. Das geht aus Zahlen des Statistischen Jahrbuchs 2021 der Stadt Köln hervor. Mit 43 Prozent, also 9683 armutsgefährdeten Alleinerziehenden, liegt Köln über dem bundesweiten Durchschnitt von 34 Prozent (Familienministerium). In neun von zehn Fällen sind Frauen die Alleinerziehenden.

Kölner Stiftung: Alleinerziehende werden „abgestraft“

Die Tatsache, dass in der Regel Frauen zu Alleinerziehenden werden und damit besonders armutsgefährdet sind, ist für Thiemann die Konsequenz eines Ausschlusssystems: „Vater, Mutter, Kind: Alles, was nicht dazu gehört, wird politisch und gesellschaftlich abgestraft.“ Daher fördert ihre Stiftung Projekte, initiiert wissenschaftliche Arbeiten und arbeitet mit politischen Akteuren zusammen, um die Interessen von Alleinerziehenden auf die Tagesordnung zu bringen.

Judith B. ist glücklich über die politische Lobby: „Komplett allein dazustehen, fühlt sich nicht gut an. Allein die Gewissheit, dass jemand meine Situation versteht und mich sieht, hilft.“ Sie möchte demnächst eine neue Rechnung erstellen, um herauszufinden, wie sie ihre finanzielle Situation verbessern kann, denn: „Auf lange Zeit kann das nicht gut gehen.“