„Sollen Weiber rudern?“Wie die Ruderin Marianne Mahlberg Sportgeschichte schrieb
- In der Serie „Frauen voran“ stellt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ Frauen vor, die in der Geschichte der Stadt eine besondere Rolle gespielt haben.
- Viele von ihnen sind heutzutage in Vergessenheit geraten, obwohl sie zu ihrer Zeit Pionierarbeit geleistet haben.
- Diesmal geht es um die Sportlerin Marianne Mahlberg, die 1939 die erste Deutsche Frauen-Meisterschaft im Rudern gewann.
Köln – „Nur wenige Minuten noch, und der D-Zug von Leipzig wird auf dem Bahnsteig 4b einlaufen, mit dem die erste Deutsche Meisterin im Einer, Fräulein Marianne Mahlberg vom Kölner Club für Wassersport, nach ihrem prächtigen Sieg in Leipzig wieder in ihrer Heimatstadt ankommen wird.“ So beginnt ein Bericht der Kölnischen Zeitung vom 18. Juli 1939. Zwei Tage zuvor war die 25-jährige Sportlerin bei den erstmalig ausgetragenen Frauen-Meisterschaften im Rudern mit nur 0,7 Sekunden Vorsprung ins Ziel gegangen und hatte die Favoritinnen Gretel Bischoff aus Hannover und Inge Oehlenschläger aus Lübeck auf die Plätze verwiesen.
Leistungssport galt als der Frau wesensfremd
Dass Frauen überhaupt im sportlichen Wettkampf gegeneinander antraten, kam damals einer Sensation gleich. Hatte doch noch 1924 der Arzt O. Gerloff gefragt: „Sollen Weiber rudern?“ – und dies mit einem entschiedenen Nein beantwortet. Denn Leistungssport galt allgemein als „der Natur des Weibes wesensfremd“. Man befürchtete eine Vermännlichung des vermeintlich zarten Geschlechts und führte zudem moralische Bedenken ins Feld: Sportbekleidung und bestimmte Bewegungen galten als unschicklich; besonderen Anstoß erregten Trainingsstunden bei männlichen Lehrern.
Auch beim Kölner Club für Wassersport (KCfW), der sich 1907 in Rodenkirchen gegründet hatte, waren Frauen zunächst nur bei gesellschaftlichen Anlässen wie Tanztees und Clubabenden gern gesehen. Erst Anfang der 1930er Jahre wurde nach langen Diskussionen eine eigene Damen-Riege eingerichtet.
Dass der Marienburger Club wenige Jahre später eine Pionierin der Kölner Sportgeschichte hervorbringen würde, war daher alles andere als vorprogrammiert. „Vom Zaungast an der Ruderstrecke bis zur Wettkampfteilnahme der Frauen an deutschen und internationalen Ruderregatten“ war es ein langer Weg, resümiert die Sporthistorikerin Gabi Langen in dem Buch „Vom Handstand in den Ehestand“, das die Entwicklung des Frauensports bis 1945 untersucht.
Geboren wurde Marianne Mahlberg 1914, ihre Eltern besaßen in der Blumenthalstraße im Agnesviertel eine Kohlenhandlung. Nach der Mittleren Reife stieg sie in den elterlichen Betrieb ein. Auf eine Sportkarriere hatte bis dahin nichts hingedeutet, im Gegenteil. Die junge Marianne konnte während ihrer Schulzeit zwar gute Noten im Sportunterricht vorweisen, habe aber keine besondere sportliche Begabung gezeigt, wie sich eine Freundin später erinnerte.
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Was Mahlberg schließlich dazu bewog, 1937 in den KCfW einzutreten, kann nur vermutet werden. Eine wichtige Rolle dürfte aber gespielt haben, dass sich die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Mädchen und Frauen im Sport in den Jahrzehnten zuvor gewandelt hatte.
Lange Zeit hatten Leibesübungen in erster Linie im Dienst militärischer Ertüchtigung gestanden; einen Nutzen für die Mädchen sah man nicht. Das änderte sich erst, als Ende des 19. Jahrhunderts immer mehr Ärzte vor den gesundheitlichen Schäden der Bewegungslosigkeit warnten. Sie diagnostizierten nicht nur Haltungsschäden, sondern sorgten sich auch um die Gebärfähigkeit der Frauen und die Gesundheit des Nachwuchses.
Die moderne Frau ist sportlich
1871 wurde in Köln eine städtische Höhere Töchterschule gegründet, mit Turnen als obligatorischem Unterrichtsfach. Die Schule auf der Sankt Apern-Straße erhielt sogar eine eigene Turnhalle. „Damit war diese Schule die erste auf preußischem Gebiet, an der alle Mädchen zum Turnunterricht verpflichtet wurden“, so Langen. Es sollte jedoch noch bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs dauern, bis sich das Fach Leibesübungen für Mädchen in allen Schulen durch gesetzt hatte. Der Unterricht beschränkte sich dabei allerdings auf „weibliche“ Bewegungen wie Laufen, Lieder- und Hüpfreigen, Schwenkhopser und Wiegegehen.
Die Weimarer Republik brachte – zumindest in den Großstädten – ein neues Rollenbild hervor: Jung, berufstätig und sportlich sollte die moderne Frau sein. Das drückte sich auch in der Werbung der damaligen Zeit aus. So schaltete etwa 4711 Zeitungsanzeigen mit dem Bild einer Tennisspielerin mit modischer Bubikopf-Frisur und dem Slogan: „Zwei Dinge braucht die Meisterin des weissen Sports: Unabhängiges Training und – 4711!“ Vorbild für die Reklame könnte die Kölner Tennisspielerin Cilly Aussem gewesen sein, die 1927 Deutsche Meisterin geworden war und vier Jahre später als erste Deutsche den Wimbledon-Sieg errang.
Training bei Wind und Wetter im Deutzer Hafen
Der Alltag in den Sportvereinen sah allerdings anders aus. Noch 1930 urteilten Verbandsvertreter, dass „die Beteiligung der Frau am Sport gering“ sei. Und diejenigen, die in den Vereinen aktiv waren, bevorzugten als weiblich geltende Sportarten wie Gymnastik, Wandern, Tennis, aber auch Schwimmen. Auch in der 1932 gegründeten Damen-Riege des Kölner Clubs für Wassersport wurde zunächst nur das sogenannte Stilrudern gepflegt, bei dem es auf harmonische Bewegungen und gute Haltung ankam.
Als Marianne Mahlberg 1937 zum Club stieß, wurde ihr Talent indes schnell erkannt. Der Rennruderer Max Reimbold, ein Kölner Eisenwarenfabrikant und Mahlbergs späterer Ehemann, wurde ihr Trainer und Förderer. Noch im selben Jahr gewann ihr Boot in einem Renndoppelvierer die Stromregatta auf dem Rhein. Als 1939 in Leipzig erstmals eine Deutsche Frauen-Meisterschaft ausgetragen werden sollte, war der Ehrgeiz der Sportlerin, die sich mittlerweile auf das Rudern im Skiff, wie der Einer genannt wird, konzentrierte, geweckt. „Dieses Ziel vor Augen, trainierte Marianne Mahlberg täglich im Deutzer Hafen – bei Wind und Wetter. Die Winterzeit wurde überbrückt mit Kastenrudern im Marienburger Bootshaus“, so Langen.
Am 16. Juli 1939 war es dann soweit. In einem „Wimpernschlagfinale“ ging Mahlberg in Leipzig als Erste durchs Ziel – und telegrafierte anschließend nach Hause: „Meisterschaftseiner gewonnen – Marianne.“ Bei ihrer Rückkehr nach Köln wurde ihr ein großer Empfang bereitet: Mit Jubel und Blumen wurde die erste Deutsche Meisterin im Einer am Hauptbahnhof begrüßt, Zeitungsfotografen lichteten das Ereignis ab. In einem Konvoi ging es anschließend durch die Stadt.
Zum Begrüßungskomitee gehörten allerdings nicht nur die Club-Kameraden und Kameradinnen, sondern auch der NS-Reichsbund für Leibesübungen. Denn längst hatten die Nationalsozialisten den Sport und seine Verbände gleichgeschaltet. „Der Körper galt als »Teil des Volkskörpers« und die Gesundheit des Einzelnen war Voraussetzung für die Volksgesundheit“, schreibt Gabi Langen in ihrem Beitrag „Wir haben nur unseren Sport gemacht“ zum Frauensport in der NS-Zeit.
Auch Marianne Mahlberg hätte sich der Instrumentalisierung durch die Nazis vermutlich entziehen können, hätte ihre Sportkarriere nicht genauso abrupt geendet wie sie begonnen hatte. Kurz nach ihrem Sieg hatte sie noch gehofft, „dass ich weiterhin gesund und frisch bleibe, um für meinen geliebten Kölner Club noch oft in den kommenden Jahren an den Start gehen zu können“. Doch daraus wurde nichts. Ein Hüftleiden zwang sie kurz darauf zur Aufgabe ihrer sportlichen Pläne und in den Folgejahren zu zahlreichen Kuren.
Am 18. April 1981 starb Marianne Mahlberg, weitgehend vergessen. Nur ein auf ihren Namen getaufter Einer, den der KCfW am Fühlinger See liegen hat, erinnert heute noch an ihren Sensationssieg.