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„Chance auf ein autonomes Leben“Wie eine Mutter mit der Epilepsie ihrer Tochter umgeht

Lesezeit 4 Minuten
Anastasia Olfert und ihre Tochter Aurora

Anastasia Olfert und ihre Tochter Aurora, die an epileptischen Anfällen leidet.

Die Tanztherapeutin und Sozialpädagogin Anastasia Olfert hat einen Weg gefunden, den sie nun auch anderen Familien zugänglich machen möchte.

Für einen Moment zieht der Schrecken ein in das bunte, liebevoll eingerichtete Kinderzimmer von Aurora. Gerade schaukelte die Siebenjährige noch ausgelassen in ihrem blassgrünen Schwungtuch. Nun liegt sie bäuchlings auf der Turnmatte und rührt sich nicht. „Aurora“, sagt ihre Mutter Anastasia Olfert. Und etwas dringlicher: „Aurora! Aurora!!“ Dann leise: „Oh nein.“ Sie dreht das Mädchen vorsichtig so, dass sie ihr Gesicht sehen kann – und atmet erleichtert auf. Kein epileptischer Anfall. Aurora hat sich nur beim Schaukeln gestoßen und will ihre Tränen vor dem Besuch verbergen.

Ursache für Epilepsie ist unklar

Das drahtige Mädchen mit den dunklen Locken ist ein Energiebündel mit strahlendem Lächeln. Wer sie und ihre Eltern beim gemeinsamen Spiel erlebt, kann nicht glauben, dass die Ärzte einst zu Anastasia Olfert sagten, sie werde eine schwer geistig behinderte Tochter haben, die künstlich ernährt werden muss und ihre Mutter nicht erkennt. Sieben Monate war Aurora damals alt und in einem so schlechten Zustand, dass sie nichts mehr wahrnahm. Ihrer Mutter war schon vier Monate vorher aufgefallen, dass etwas nicht stimmte. Sie konnte die Ärzte aber zunächst nicht davon überzeugen. Jetzt lautete die Diagnose: Epilepsie. Die Ursache ist bis heute unklar.

Damals, bei ihrem ersten Krankenhausaufenthalt mit sieben Monaten, konnte Aurora zurück in die Welt geholt werden. „Nach zwei Tagen hatte ich das Gefühl, sie nimmt mich wieder wahr“, erzählt ihre Mutter. Und sie habe beschlossen: „Dieses Kind wird sich entwickeln.“ Anastasia Olfert, ausgebildete Tänzerin und Sozialpädagogin, suchte sich Hilfe und Ideen, wo sie nur konnte. Nicht nur in der Schulmedizin. Heute ist sie überzeugt, dass das Body-Mind-Centering (BMC) der amerikanischen Bewegungstherapeutin Bonnie Bainbridge Cohen ihrer Tochter entscheidend dabei geholfen hat, trotz der vielen epileptischen Anfälle ein gut entwickeltes, fröhliches und vor allem glückliches Kind zu sein.

Aurora muss ihren Körper spüren, das ist ihre Chance auf ein autonomes Leben
Anastasia Olfert

„Ich war eine sehr verzweifelte, suchende Mutter“, sagt Olfert. Aber sie habe einen Weg für sich und ihre Tochter gefunden, Auroras Epilepsie als „Teil von uns“ zu akzeptieren. Und aus ihrem Wissen als Tänzerin, Tanztherapeutin und Pädagogin gepaart mit den Methoden des Body-Mind-Centering schöpfe sie die Macht, etwas tun zu können. Dabei dreht sich alles um ein gutes Körpergefühl, das über Bewegung, Berührung, den Klang der Stimme geschaffen werden soll.

Für Aurora sei ein guter Kontakt zu ihrem Körper entscheidend, sagt Olfert. Damit sie erkennen kann, wenn sich ein Anfall ankündigt. Und damit sie in einem Anfall, wenn die Synapsen in ihrem Gehirn verrückt spielen, noch irgendwo tief im Verborgenen vielleicht einen Weg findet, Kontrolle zu erleben. „Aurora muss ihren Körper spüren, das ist ihre Chance auf ein autonomes Leben“, sagt ihre Mutter.

Anastasia Olfert und ihre Tochter Aurora

Ein guter Kontakt zu ihrem Körper sei für Aurora entscheidend, sagt Anastasia Olfert.

„Der Geist ist wie der Wind und der Körper ist wie der Sand. Willst du wissen, wie der Wind weht, beobachte den Sand“ – so lautet ein Zitat von BMC-Erfinderin Bonnie Bainbridge Cohen. Olfert hat daraus und aus ihren Erfahrungen mit Aurora ein eigenes Konzept entwickelt, das sie künftig in ihren „Happycap Kids“-Kursen auch anderen Familien mit behinderten Kindern zugänglich machen will. „Ich habe irgendwann verstanden, dass mir niemand helfen kann“, sagt Olfert. Sie musste sich und ihrer Tochter selbst helfen.

Mehrere epileptische Anfälle pro Monat

Auf einem Kalenderblatt notiert Anastasia Olfert die Anfälle ihrer Tochter. Im Oktober stehen da bisher zwei Kreuze für schwerere und sechs Kreise für leichtere Anfälle. „Wir haben eine gute Phase“, sagt die Mutter. Im Juli etwa sind 13 Kreuze im Kalender vermerkt und 16 Kreise. Die schlimmeren Anfälle passieren meist in der Nacht oder am frühen Morgen aus dem Schlaf heraus. „Dann liegt sie und kommt nicht hoch, sie kann nicht sprechen, oft scheint sie etwas zu sehen, das ihr Angst macht“, erzählt Olfert. Bei den leichteren Anfällen sacke sie kurz zusammen, „manchmal sitzt sie auch nur da und lächelt“.

Anastasia Olfert und ihre Tochter Aurora

Aurora besucht die zweite Klasse einer inklusiven Schule.

Auroras Epilepsie-Form ist schwer zu behandeln, sie hat bereits verschiedenste Medikamente ausprobiert, die Möglichkeit einer Operation wird diskutiert. In den ersten Jahren war vor allem ihre motorische Entwicklung verlangsamt. Die Medikamente machen müde. „Wenn andere Kinder gespielt haben, hat Aurora geschlafen“, sagt ihre Mutter: „Natürlich wäre es schön, wenn sie keine Anfälle mehr hätte. Aber wir wollen unser Kind auch nicht betäuben.“ Heute besucht Aurora die zweite Klasse der „Aktiven Schule Köln“, einer inklusiven Schule in Köln Vogelsang.

Auroras Vater, José Tavares, stammt von den Kapverdischen Inseln. Er lebt erst seit zwei Jahren in Deutschland mit Anastasia Olfert und Aurora zusammen. „Die Angst ist immer da“, sagt er. Ein epileptischer Anfall kann tödlich enden. Dessen sind sich Auroras Eltern bewusst. „Und trotzdem haben wir Spaß“, sagt Olfert: „Wir feiern jede Party mit, weil wir jetzt hier am Leben sind und Aurora alles ermöglichen wollen, was andere Kinder auch tun.“

Fragt man Aurora selbst nach ihrer Krankheit, stellt sie klar: „Das ist keine Krankheit!“ Was ist es denn? „Das Wackeln.“ Und ist das schlimm?„Nein, das geht vorbei.“

www.anastasiaolfert.com/happycap-kids