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Medizinisch vertretbar?Wie Kölner Experten die Lockerungen der Corona-Regeln bewerten

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Lockerungen

Bereits kommenden Freitag könnten weitere Lockerungen in Kraft treten, wenn die Inzidenz bis dahin unter 35 bleibt.

Köln – Die politische Bedeutung einer Inzidenz von 35 hat sich in den vergangenen Monaten deutlich verändert. Wurde beim Überschreiten im vergangenen Jahr noch der Lockdown ausgerufen, scheint das Unterschreiten nun zurück in die Normalität zu führen – jedenfalls mit Blick auf den Stufenplan des Landes Nordrhein-Westfalen. In Köln greift ab Sonntag zunächst einmal die Lockerungsstufe 2 mit einer stabilen Inzidenz unter 50, wodurch etwa Innengastronomie wieder möglich wird. Dabei lag der Wert am Freitag schon bei 32,8 – und damit erstmals wieder unter 35. Bleibt er unter dieser Marke, stehen weitere Regel-Entschärfungen bevor. So dürften sich 100 getestete Menschen wieder treffen. Ist das alles medizinisch vertretbar?

Ja, meint Prof. Gerd Fätkenheuer, Leiter der Infektiologie an der Kölner Uniklinik. „Ich bin sehr erfreut über den raschen Rückgang der Infektionszahlen – auch darüber, dass wir endlich wieder Dinge tun können, die lange Zeit nicht möglich waren“, sagt der Mediziner. Wichtig sei mit Blick auf die Infektionen die Tendenz: „Zuletzt hatten wir dank eines R-Wertes, der deutlich unter eins lag, eine exponentielle Abnahme.” Der Inzidenzwert bleibe wichtig, doch für die langfristige Beurteilung sei der Reproduktionswert, der angibt, wie viele Menschen durchschnittlich von einer infizierten Person angesteckt werden, entscheidend. „Und hier liegen wir derzeit gut.“

Verschärfung der Corona-Regeln durch die Stadt

Auch Andrea Blome, Leiterin des städtischen Krisenstabs, zeigt sich erfreut über die aktuell niedrigen Infektionszahlen. Aber: „Natürlich müssen wir weiter Vorsicht walten lassen”, so Blome. „Draußen sind schon viele Menschen ohne Maske unterwegs, weil sie glauben, dass die Maskenpflicht bereits aufgehoben wurde”, sagt Blome. Daher müsse das Ordnungsamt immer wieder darauf hinweisen, dass dem nicht so ist.

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Denn obwohl der Stufenplan des Landes NRW weitere Lockerungen in Aussicht stellt, hält die Stadt per Allgemeinverfügung an einigen Verschärfungen fest. Dazu zählt etwa ein Grill- und Alkoholkonsumverbot in öffentlich zugänglichen Grünflächen sowie an Corona-Hotspots wie dem Stadtgarten, der Schaafenstraße und dem Zülpicher Viertel.

Das Verweilverbot am Brüsseler Platz wurde ebenfalls noch einmal verlängert – auch aufgrund der guten Wetterlage, wie es in der entsprechenden Allgemeinverfügung heißt. Als Grund nennt Andrea Blome die Erfahrungen des vergangenen Frühsommers, als die Inzidenzen so niedrig waren, dass bis auf die AHA-Regeln keine weiteren Maßnahmen mehr galten. „Und was ist passiert? Spätestens als die Urlauber zurückgekehrt sind, sind die Infektionszahlen in ungeahnte Höhen angestiegen. Das hat zu dramatischen Situationen auf den Intensivstationen geführt und das kann uns wieder passieren“, so Blome.

Kritik an zu schnellen Lockerungen

Auch Prof. Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Kölner Uniklinik und Vertreter der No-Covid-Strategie, bewertet zu schnelle Lockerungen kritisch. „Man sollte etwas länger warten, dem verständlichen Druck der Menschen nach sofortiger Erleichterung nicht sofort nachgeben. Ich bin aber Realist und sehe, dass Lockerungen bevorstehen“, sagte Hallek zuletzt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gegenüber.

Daher sei nun entscheiden, klug und vorsichtig zu öffnen – dazu gehöre etwa eine bessere Kontaktverfolgung. „Der Ansatz, in 'best case'-Szenarien zu denken, hat uns überhaupt in diese Krise gebracht. Ich plädiere deshalb dafür, ernsthaft zu berücksichtigen, dass Öffnungen auch schief gehen können“, so Hallek.

Mehr als eine Milliarde Menschen weltweit geimpft

Mit viel Hoffnung blicken Expertinnen und Experten auf die Impfungen. „Weltweit wurden mehr als eine Milliarde Menschen geimpft mit nur sehr seltenen schweren Nebenwirkungen – und die Wirksamkeit ist größer, als wir es uns vor einem Jahr erträumt hätten,“ sagt Gerd Fätkenheuer. Mut mache ihm, dass die Akzeptanz der Menschen gegenüber einer Impfung inzwischen hoch sei und die anfänglich verständliche Skepsis kaum noch existiere.

„Wichtig sind nun zwei Dinge: Wir müssen schnellstmöglich viele Menschen impfen – und wir dürfen das Virus nicht frei zirkulieren lassen. Dann können wir es kontrollieren“, so der Mediziner. Auch mit Blick auf die Mutationen des Virus: „Ich sehe durchaus die Gefahr, dass vorhandene und sich weiter ausbildende Mutationen die Wirksamkeit der Impfung teilweise untergraben“, so Fätkenheuer. Man sehe dies am Beispiel Großbritannien, „wo die indischen Varianten zu steigenden Infektionszahlen führen“.

Testungen helfen nur, wenn Qualität gesichert ist

Um größere Infektionsketten zu vermeiden, sind viele Freiheiten an negative Schnelltests geknüpft. Doch „medizinisch ist die eingeführte Teststrategie zu planlos. So, wie die Schnelltests heute organisiert sind, haben sie leider keinen großen Effekt auf die Pandemie“, sagt Fätkenheuer. Dennoch gelte, dass gut durchgeführte Tests „ein wichtiges Instrument sind, um eine akute Ansteckungsgefahr auszuschließen“.

Aber nur, wenn eine bestimmte Qualität gesichert ist. „Wenn man Lockerungen für negativ Getestete beschließt, müsste man an die Zentren, die Tests durchführen dürfen, höhere Anforderungen in der medizinischen Professionalität stellen. Sonst bringen Schnelltests nicht die Sicherheit, die ihnen rechtlich zugesprochen wird“, so Fätkenheuer. Doch aktuell werden sie je nach Inzidenzstufe zur Bedingung, um etwa an privaten Feiern oder Konzertbesuchen teilnehmen zu dürfen.

Vierte Welle kann nicht ausgeschlossen werden

„Für größere Menschenansammlungen sind die Rahmenbedingungen entscheidend”, sagt Fätkenheuer. Und er ist trotz der Kritik am Testkonzept überzeugt: „Wenn nur Geimpfte, Genesene und Getestete zusammenkommen, habe ich keine großen Bedenken.” Anders sehe es aus, wenn weitere Personen dazu kommen – „und dazu wird es in der Realität natürlich kommen“. Daher der Appell des Mediziners, weiter umsichtig und vorsichtig zu bleiben. „Diese Pandemie ist noch nicht vorbei.“ Und auch eine vierte Welle könne nicht ausgeschlossen werden. „Die Möglichkeit besteht“.

Zwar geht Fätkenheuer im Bezug auf das Infektionsgeschehen von relativ ruhigen Sommermonaten aus, doch „Richtung Herbst bin ich mir da weniger sicher“. „Wir wurden von diesem Virus schon mehrfach unangenehm überrascht. Es hat ein großes Potenzial, sich anzupassen und sich unter den jeweils gegebenen Umständen zu verbreiten“, sagt Fätkenheuer. Das gelte auch weiterhin. „Die Situation bleibt kompliziert“.