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NachrufEin Leben für die Kunst – wie Gernot Cepl die Kölner Kulturszene geprägt hat

Lesezeit 7 Minuten
Nahaufnahme von Cepl

Gernot Cepls Karriere als Künstler begann am Theater.

Gernot Cepl war Regisseur am Theater der Keller und gründete eine kleine Messe für Künstlerbücher. Ins Rampenlicht wollte er nie.

Mut zum Risiko zeigte das Theater der Keller, als es im Januar 1974 in deutscher Erstaufführung Picassos surrealistisches Schauspiel „Vier kleine Mädchen“ auf die Bühne brachte, das als „poetisches Delirium“ bezeichnet wurde. Mit der Inszenierung betraut war Gernot Cepl, den der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in seiner Premierenkritik einen „äußerst talentierten jungen Regisseur“ nannte.

Er verstehe es, die „immense Schönheit“ von Picassos „blütenreicher und doppelbödiger Symbolsprache“ zu nutzen. Er, seine Mitarbeiter und die vier Darstellerinnen seien „stürmisch gefeiert“ worden.

Cepl gründete in Köln die Editionale

Viel Herzblut hatte Cepl in die Inszenierung gesteckt; es war die letzte Premiere, bevor das Theater der Keller in die Südstadt umzog. Cepl blieb ihm weiter verbunden, entfernte sich aber zunehmend vom Theaterschaffen und entdeckte die Buchkunst für sich. Jahrzehntelang arbeitete er mit seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Elisabeth Broel zusammen.

Im Jahr 2000 gründeten sie in Köln die Editionale, eine kleine Messe für Handpressendrucke, Künstlerbücher, Mappenwerke und Editionen. Schwer traf es Gernot Cepl, als seine Frau im Dezember 2020 der Corona-Pandemie zum Opfer fiel, erst 61 Jahre alt. Im Oktober 2022 starb der 79-Jährige allein in dem Haus in Nippes, das er mit Elisabeth Broel geteilt hatte.

Geboren wurde Cepl 1944 in Stuttgart

Journalist Jürgen Schön nennt ihn eine „schillernde Figur“, Künstler Eusebius Wirdeier einen „sehr eigenwilligen Kopf“ und Schwägerin Gertrude Cepl-Kaufmann einen „großen Freigeist“ und „autonomen Menschen“. Geboren wurde er 1944 in Stuttgart. Vater Alfred, ein Ingenieur aus Österreich, arbeitete dort für Porsche.

Mutter Anni entstammte einer pietistischen Familie aus Schwaben. 1941 war Cepls Bruder Volker zur Welt gekommen. Die Brüder verstanden sich gut, doch zeit seines Lebens hatte der Jüngere das Empfinden, im Schatten des Älteren zu stehen. Der wurde Pfarrer und leitete 30 Jahre lang das Kölner Amt für Diakonie.

Cepl als Junge am Einschulungstag, er trägt eine Schultüte in der Hand.

Gernot Cepl ging in Köln zu Schule, ging aber ohne Abitur ab, um eine Ingenieurschule zu besuchen.

Nach einer Zwischenstation in Wolfsburg kam die Familie Anfang der 50er Jahre nach Köln, wo Alfred Cepl eine Stelle bei den Ford-Werken gefunden hatte. Sohn Gernot tat sich in der Schule schwer. Ohne Abitur ging er ab, fügte sich dem Willen des Vaters und besuchte eine Ingenieurschule in der Nähe von Wien.

„Das lag ihm überhaupt nicht“, erinnert sich Gertrude Cepl-Kaufmann. Nach etwa zwei Jahren kehrte er zurück nach Köln und begann eine Buchhändlerlehre. „Er hat dem Buch seine ganze Liebe geschenkt“, sagt eine Schwägerin. „Er hat schon damals künstlerisch gearbeitet und Texte geschrieben.“

Cepl begann mit einer Nebenrolle in Brechts Lustspiel „Mann ist Mann“

Dann kam Gernot Cepl in Berührung mit dem Theater der Keller. Er übernahm Nebenrollen, etwa in Brechts Lustspiel „Mann ist Mann“ und Genets Tragödie „Unter Aufsicht“. Als freier Regisseur inszenierte er außer Picassos Schauspiel beispielsweise Peter Handkes Sprechstücke „Selbstbezichtigung“ und „Weissagung“ sowie „Rozznjagd“ von Peter Turrini. Hildegard Hank-Behr, die am Theater der Keller ihre ersten Auftritte hatte und der Cepl bis zu seinem Tod ein enger Freund war, erzählt, sie habe mit ihm ein Stück mit dem Titel „Wie hoch ist der Mond“ verfasst, das allerdings im Theater Kefka gezeigt wurde.

Für das Theater am Dom habe er Oscar Wildes „Das Gespenst von Canterville“ inszeniert. Seine Art, Regie zu führen, sei behutsam und „liebevoll“ gewesen. „Für das große Theater war er nicht geeignet. Weil er so einfühlsam war, hat er immer länger für die Proben gebraucht.“ In jener Zeit lernte er Elisabeth Broel kennen. Nach der Erinnerung von Nachbarin Heike Rahm, die mit ihm und seiner Frau gleichfalls gut befreundet war, bereitete er Elisabeth Broel auf die Aufnahmeprüfung an der Folkwangschule in Essen vor. Die bestand sie zwar, verfolgte ihre Schauspielambitionen aber nicht weiter.

In Ägypten wurde er auf reisen festgenommen

Als junger Mann reiste Cepl viel, gern als Anhalter. Eine abenteuerliche Tour führte ihn bis nach Afghanistan. Ein „Zwischenfall“, wie Rahm ihn nennt, wurde zum Wendepunkt: In Ägypten sei er festgenommen und von der deutschen Botschaft „im Stich gelassen“ worden. „Danach war ihm das Reisen vergällt.“ Allerdings war er noch häufig innerhalb Europa unterwegs.

Zur bildenden Kunst kamen er und Elisabeth Broel, indem sie ausgefallene Postkarten gestalteten, die über den Verlag der Buchhandlung Walther König Verbreitung fanden. Collagen kamen hinzu. Schließlich fing das Paar an, Buchseiten oder ganze Bücher in eigenständige Kunstobjekte zu transformieren oder aus anderem Material Werke zu schaffen, die sich dem Genre Künstlerbuch zuordnen lassen.

„Sie haben ihre Kunst mit großer Sorgfalt betrieben“
Gertrude Cepl-Kaufmann

Es war ein kreatives Spiel mit Gedrucktem, Schrift und Sprache. Für die Umwandlung eignete sich alles, von Romanen und Gedichten in unterschiedlichen Sprachen bis hin zu Rechen- und Telefonbüchern. Gertrude Cepl-Kaufmann und ihr Mann besitzen einige dieser Kunstobjekte. Darunter sind Bilder, die aus kleinen Ballen zusammengeknüllter Buchseiten bestehen, Collagen-Werke in Form von Heften und eine Art Album, das den ironischen Titel „Facebook“ trägt: In seinen Einstecktaschen findet sich eine Vielzahl kleiner Porträts, die unter anderem aus Briefmarken ausgeschnitten sind.

Die Kunst- und Museumsbibliothek der Stadt Köln bewahrt ebenfalls Arbeiten auf. Auch sie zeigen, dass zu den Mitteln der künstlerischen Anverwandlung die kalligrafische Darstellung von Texten gehört. Und sie zeugen von der Akribie der Ausführung. „Sie haben ihre Kunst mit großer Sorgfalt betrieben“, sagt Gertrude Cepl-Kaufmann über das Künstlerpaar.

2015 heirateten Gernot Cepl und Elisabeth Broel

Elisabeth Broel wohnte zeit ihres Lebens in ihrem Elternhaus in Nippes; nachdem seine Eltern gestorben waren, zog Gernot Cepl dazu. Rund 20 Jahre lebten beide unter einem Dach zusammen; 2015 heirateten sie. Da sie als Künstler wahrgenommen werden wollten, machten sie ein Geheimnis daraus, wie sie hauptsächlich ihren Lebensunterhalt bestritten: Elisabeth Broel war beim Finanzamt beschäftigt.

„Ich habe das erst nach Jahren erfahren“, sagt Heike Rahm, „das wurde sehr diskret behandelt.“ Aus dem Kontakt des Paars zu Gleichgesinnten erwuchs die Idee, Buchkünstlern eine Gelegenheit zu bieten, sich mit ihren Werken einem interessierten Publikum vorzustellen. Die Editionale entstand; den Raum dafür bot das Gothaer Kunstforum am Alteburger Wall, das heute Neues Kunstforum heißt. „Bücherfreunde sind ganz besondere Sammler“, sagte Elisabeth Broel damals dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, „sie suchen den persönlichen Kontakt mit dem Anbieter, bevorzugen einen intimen, überschaubaren Rahmen“.

Die treibende Kraft der Editionale war Elisabeth Broel

In diesem Rahmen präsentierten sie und ihr Lebensgefährte fortan auch eigene Arbeiten. Exemplarisch sei ein Beitrag für das Projekt „100 und ein Buch“ der „Edition Kunstfaser“ genannt: eine Taschenbuchausgabe von Heinrich Bölls Erzählung „Das Brot der frühen Jahre“, eingehüllt in eine gebrauchte Kunststoffverpackung für „Bergisches Landbrot“ und mit einem Wollfaden kreuzweise verschnürt.

Die treibende Kraft der Editionale war Elisabeth Broel; wie es seinem Naturell entsprach, stand Gernot Cepl im Hintergrund. „Er war der ruhige Part“, sagt Elke Purpus, Direktorin der Kölner Kunst- und Museumsbibliothek, in der seit 2019 die Editionale stattfindet und die sie nach dem Tod Cepls fortführt. Zeitweise unterhielt Broel eine Galerie in einem Rahmengeschäft nahe der Neusser Straße, später in unmittelbarer Nachbarschaft, schließlich im eigenen Haus.

Cepls sammelte unzählige Bücher

Ein Haus, von dem Nachbarin Heike Rahm sagt, es sei „verschlossen wie eine Auster“ gewesen. Die Wenigsten hatten Zutritt. Das Heim quoll über vor Büchern und einem Sammelsurium an Materialien, die sich künstlerisch verwerten ließen. Cepl, den Bibliomanen und großen Leser, der freilich zeitgenössische Literatur verschmähte, kostete es große Überwindung, sich von Bänden zu trennen. Nachdem ihn Freunde tot im Haus gefunden und die Polizei verständigt hatten, erschienen Beamte und wunderten sich. Ob der Verstorbene ein Messie gewesen sei, fragten sie. Nein, dies sei ein Künstlerhaushalt, bekamen sie zur Antwort.

Zum Haus gehörte ein kleiner, verwilderter Garten, in dem Cepl und seine Frau sich gerne aufhielten, Vögel und Eichhörnchen beobachteten. „Es hat ihnen viel bedeutet, dort zu sitzen“, sagt eine weitere Freundin, Gabriele Seiler-Seidler. Mit moderner Technik konnten beide, die nie ein Auto besaßen, wenig anfangen. Das galt besonders für Gernot Cepl. Ein Telefon musste reichen. „Sie waren aus der Zeit gefallen“, sagt Gertrude Cepl-Kaufmann über ihren Schwager und seine Frau und fügt hinzu: „Sie haben ein bescheidenes, unglaublich konsequentes Leben geführt.“