BAP-Sänger Wolfgang Niedecken und Autor Frank Steffan diskutierten über die Ursprünge des Kölschrock und seine Bedeutung bis heute.
Zeltinger oder BAP?Wolfgang Niedecken und Frank Steffan über die Geburtsstunde des Kölschrock
Unter der Überschrift „Kölschrock – wie Kölsch und Rock zueinander fanden“ gab es eine Gesprächsrunde im Historischen Archiv der Stadt, zu der Moderator Ralf Friedrichs mit BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken sowie Autor Frank Steffan zwei Zeitzeugen begrüßen konnte. Ein weites Feld, dem man in der inhaltlichen Tiefe in einer guten Stunde nur bedingt gerecht werden kann. Andererseits sind beide Protagonisten wirklich gute Geschichtenerzähler, weshalb sich ein durchaus unterhaltendes Gespräch entspann, bei dem naturgemäß BAP im Mittelpunkt stand.
Frank Steffan machte als 18-jähriger werdender Journalist seine Beobachtungen vor allem in den Szene-Kneipen des Zülpicher Viertels wie Peppermint, Roxy oder Blue Shell und publizierte diese in einem 1981 von ihm verlegten Heft „Kölschrock“. Er betonte die Bedeutung der damaligen Kunstmetropole Köln, die neben New York City das Mekka der Bildenden Künstler weltweit war. Sein Erweckungserlebnis war ein Auftritt der „New-Wave-Queen“ Patti Smith in der Galerie von Veith Turske am Ebertplatz. „Das war im Oktober 1977. Sie hat nicht gesungen, sondern Rimbaud rezitiert. Und mir später ein Interview gegeben, das habe ich mehrfach verkauft.“
Die Geburtsstunde des Kölschrock verbindet Steffan vor allem mit Jürgen Zeltinger. Der hatte dank des von Conny Plank produzierten Live-Albums aus dem Roxy und des von Arno Steffen getexteten Songs „Müngersdorfer Stadion“ (Niedecken: „Ein Naturereignis“) schnell bundesweiten Erfolg. „Zeltinger war sehr, sehr speziell. Sein Asi-Touch kam beim Normalbürger Ende der 70er Jahre nicht gut an“, so Steffan.
Offensiv mit dem Schwulsein umgehen sei nicht jedermanns Sache gewesen. Textzeilen wie „Ich bin en Tunt‘ un kerngesund“ waren damals keine Selbstverständlichkeit. Den Fans war das egal, sie kauften das Album rund 120.000 mal. Allerdings war der Hype auch schnell vorbei. „Zeltinger ist auf dem Höhepunkt der Karriere im Delirium gescheitert“, so Steffan. Beim „Rockpop in Concert“ des ZDF in der Dortmunder Westfalenhalle im Sommer 1982 musste Zeltinger kurzfristig ersetzt werden. „Durch BAP – die waren zwar musikalisch konventioneller, aber eben auch sehr gut.“
Und die hatten gerade mit „Verdamp lang her“ ihren ersten bundesweiten Hit. „Obwohl das keine Single war, aber der WDR hat es trotzdem dauernd gespielt“, wie Wolfgang Niedecken betonte. Noch eine dieser Zufälligkeiten, die aus einem Spaßprojekt einen Millionseller werden ließen. „Wir hatten keinen Karriereplan“, erzählte Wolfgang Niedecken, der sich damals eher der Bildenden Kunst widmete.
„Wir haben einmal die Woche mit Freunden eine Kiste Bier leergeprobt und sind danach im Chlodwigeck was trinken gegangen.“ Clemens Bölls Kneipe sei die Ausnahme gewesen, „in der Südstadt gab es um ‘76, ‘78, nur bleiverglaste Spießerkneipen. Wenn man Gleichaltrige treffen wollte, musste man zur Zülpicher fahren.“
Die Anfänge von BAP waren nicht immer einfach, zumal die Auftrittmöglichkeiten in Köln damals sehr begrenzt waren. „Im Sommer ’79 sollten wir in Riehl im Jugendzentrum spielen“, erinnerte sich Niedecken. „Die Kids wollten aber lieber Disco, also haben sie ihren Flipper direkt vor der Bühne aufgebaut, und so lange gespielt, bis wir aufgegeben haben.“ Zum ersten Album musste das kleine „Eigelstein“-Label Niedecken erst überreden.
„Wir waren mega-amateurhaft“, sagte er grinsend. „Wir sind wie die Schlafwandler dazu gekommen, im Radio gespielt zu werden.“ Viele Rädchen spielten ineinander – Verlagswechsel, besserer Vertrieb, Major Heuser als Gitarrist, Balou Temme als Manager. „Ein Glücksgriff, der wusste, wie wir ticken.“ Der Rest ist Geschichte.
Den Höhepunkt des Kölschrock, erzählte Niedecken, sieht er Anfang der Neunziger Jahre. „Neben uns gab es LSE, die waren sensationell. Dann Gerd Kösters ‚The Piano has been drinking‘, und Brings rockte los, da waren die noch keine Karnevalsband“, sagte er. Der Gipfel sei das „Arsch huh“-Konzert auf dem Chlodwigplatz gewesen.
„Eine sehr kreative Zeit, da konnte uns keiner das Wasser reichen.“ Dem stimmte auch Frank Steffan zu, der noch die Popkomm und den Musiksender Viva für die Bedeutung der Musikstadt Köln ins Spiel brachte. „Aber mit dem Hauptstadtbeschluss war das Ende absehbar. Ab 1998 ging die Abwanderung Richtung Berlin rasend schnell.“
Die Frage, ob Kölschrock jenseits von BAP heute noch eine Rolle spiele, konnte nicht vollends beantwortet werden. „Die Bands heute bedienen nur den Lokalpatriotismus“, behauptete Steffen pauschal. Dem widersprach Niedecken nicht, machte aber das Formatradio für einen generellen Qualitätsverlust in der Musik verantwortlich. Die Songs würden immer austauschbarer, anecken sei nicht gefragt: „Das führt zu dieser Lego-Musik. Dass die öffentlich-rechtlichen Sender den privaten hinterherdackeln, ist ein Skandal“, so der BAP-Frontmann.
Auf Köln und Kölsch bezogen meinte er: „Die Native Speaker sterben aus, das ist ein Problem.“ Es gäbe nur noch rund ein Dutzend Leute in seinem Umfeld, „mit denen ich instinktiv Kölsch spreche.“ Sprache verändere sich, er würde heute Texte anders formulieren als vor 20 Jahren, „aber ich bin ja kein Mundartpfleger. Aber wenn ich Londoner wäre, würde ich Cockney singen – Kölsch ist die Sprache meiner Seele.“
Wolfgang Niedecken, der bekanntlich ein Sammler ist und etwa Kladden zu Songs und Auftritten führt, wurde dann gefragt, ob er sich vorstellen könne, seien Nachlass dem Stadtarchiv zu überlassen. „Ich lebe noch“, sagte der 72-jährige Sänger. „Ich habe alles, aber ich will da nicht drin rumstöbern, da kommst du scheiße drauf. Bob Dylan hat mal gesagt: ‚Don’t look back!‘ Ich will meine Zeit anders nutzen.“ Sprach‘s, und gab zum Finale noch zwei Anekdoten zum Besten.
Die von der „göttlichen Fügung“, Klaus „Major“ Heuser beim Pinkeln im Basement kennengelernt zu haben. Und wie er gerade noch verhindern konnte, dass „Niemals geht man so ganz“ mit Trude Herr und Tommy Engel ein rein hochdeutsches Lied geworden ist. Das Publikum klatschte begeistert.
Die Ausstellung „Colonian Rhapsody – Spuren einer Musikstadt im Wandel der Zeit 1945 – 1990“ findet noch bis einschließlich 23. April 2023 im Historischen Archiv, Eifelwall 5, Köln-Innenstadt, statt. Der Eintritt ist frei.
Alle Informationen zur Ausstellung und zum Begleitprogramm finden sich unter www.colonianrhapsody.de