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Kölner Bahnhof, Neumarkt, EbertplatzAbhängige säubern Kölner Drogen-Hotspots

Lesezeit 6 Minuten

Köln – Dieter gehört zur Familie. Das Maskottchen ist immer dabei, wenn die „Kölner Feger“ ihre Runden drehen, um Spritzen, Tablettenblister und anderen Müll einzusammeln, den die Junkies nach dem Drogenkonsum hinterlassen. Irgendwer hat Dieter auf einer der Touren am Ebertplatz gefunden und auf der Carretta, dem Kehrwagen mit dem Müllsack, aufgespießt. Ein bisschen makaber sieht der ramponierte Puppenkopf schon aus.

Aber vielleicht ist Dieter den vier Männern und der einen Frau gerade deshalb ans Herz gewachsen. Auch sie sind aus ihrem bisherigen Leben mit allerhand Blessuren hervorgegangen. Und trotzdem versuchen sie mit den „Kölner Fegern“, einem Beschäftigungsprojekt für Drogenabhängige, gerade einen Neustart.

1,30 Euro pro Stunde, 26 in der Woche

Das Projekt des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) soll Drogenabhängigen helfen, wieder in ein normales Leben zurückzufinden. 20 Stunden in der Woche säubern die Feger die Hotspots des Drogenkonsums rund um Bahnhof, Neumarkt und Ebertplatz. 1,30 Euro verdienen sie pro Stunde, 26 Euro in der Woche. Doch das Geld ist für die meisten nicht die Hauptsache. „Wenn ich arbeite, geht es mir gut und dann nehme ich keine Drogen nebenher“, sagt Babsy (alle Namen geändert).

Die 33-Jährige hat an diesem Tag die Schichtleitung: Sie fährt die Carretta mit den Müllbeuteln, der Tasche fürs Leergut und dem Spritzeneimer. Sie teilt die Teams ein, bestimmt, wer wo lang geht. Die nächsten vier Stunden werden sie die Verstecke der Junkies abklappern: Josef-Haubrich-Hof, Poststraße, die Mauer am Blaubach, der Spielplatz am Mauritiussteinweg.

Spritzen werden in einen verschließbaren Behälter getrennt entsorgt.

Begonnen hatte der Tag um 9 Uhr am Bahnhof, wo sich der Lagerraum für die Gerätschaften der Feger befindet. Eine Zigarette, ein paar Streicheleinheiten für Dieter, dann geht’s los. Eine gebrauchte Nadel im Rinnstein, ein Alupfännchen zum Aufkochen von Heroin im Gebüsch – dem Trupp in der AWB-Montur und den blauen Warnwesten entgeht nichts. „Früher bin achtlos daran vorbei gelaufen, jetzt sehe ich jeden Schnipsel“, sagt Babsy. Die Feger kennen die Stellen, wissen, wo sie suchen müssen.

Ihre Drogenkarriere macht sie zu Fachleuten. Babsy mit den roten Haaren kommt eigentlich aus Düsseldorf. Nach dem Fachabitur folgte ihr Absturz. „Als mein Vater starb, ist bei mir alles zusammengebrochen“, sagt sie. Alkohol, Heroin, Obdachlosigkeit; jahrelang hat sie im Zelt gehaust. „Ständig auf Jagd. Geld für Essen, Geld für Drogen, wo schlafe ich die nächste Nacht. Irgendwann wollte ich das alles nicht mehr.“ Doch in Düsseldorf habe sie kein Bein auf den Boden bekommen: zu viele falsche Freunde in der Szene. Darum ist sie nach Köln gekommen. Jetzt hat sie ein Zimmer in einer betreuten Wohngemeinschaft des SKM und eine Arbeit. „In den zwei Monaten hier habe ich mehr erreicht als in all den Jahren zuvor.“

Alle wünschen den Ausstieg aus der Szene

Der Trupp ist am Neumarkt angekommen. Doch den Drogenumschlagplatz mitten in der City überqueren sie nur. „Wenn wir da zwischen den Dealern und den Junkies rumfegen würden, gäbe es nur Ärger“, meint Thomas, der früher auch ab und an hierhin kam, um sich seinen Stoff zu besorgen. Einen Steinwurf weiter, am Josef-Haubrich-Hof, werden sie aktiv. Das Karrée ist der am schnellsten erreichbare Rückzugsraum für Süchtige, sie sich einen Schuss setzen wollen.

Obwohl mittlerweile fast alle Treppenabgänge zur Tiefgarage verbarrikadiert wurden, werden die Feger fündig. Larry fischt mit seiner Greifzange zwischen den Gitterstäben nach einer Spritzenverpackung. „Die setzen sich jetzt einfach davor und werfen ihren Müll anschließend die Treppe runter“, sagt der 32-Jährige. Der am Neumarkt geplante Drogenkonsumraum soll hier endlich Abhilfe schaffen.

Larry fischt am Josef-Haubrich-Hof nach Müll.

Larry ist seit fünf Monaten bei den Fegern und er hat einen Traum: eine Ausbildung bei der AWB oder im Altenheim. „Arbeit ist sehr wichtig. Und bei den Fegern kann ich dass Durchhaltevermögen trainieren, das man dafür braucht.“ Auch Larry lebt in einer betreuten Wohngemeinschaft, er bekommt schon morgens früh seine Substitution, anschließend kann er umsonst im Kontaktcafé des SKM frühstücken und arbeiten gehen. Es ist dieses Rundum-Paket, das für ihn und die anderen so wichtig ist. Und die Wertschätzung, die sie durch ihre Tätigkeit erfahren. „Wir bekommen viele positive Reaktionen. Und wir können der Gesellschaft etwas zurückgeben“, sagt Larry. „Schließlich hab ich früher selbst oft genug rumgepöbelt.“

Es ist zu spüren, wie sehr sich alle hier den Ausstieg aus der Szene wünschen. Und doch ist genau das so schwierig. Sie alle haben schon Rückfälle erlitten. „Es ist manchmal sehr schwer, die Welt nüchtern zu ertragen“, sagt Larry. „Es fehlt der Kick. Auf Drogen ist man einfach total euphorisch.“ Hinzu kommt die Langeweile. Wer nicht mehr ständig auf der Jagd ist nach Geld und Drogen, fällt in ein tiefes Loch.

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Nach dem Schuss werden Spritzen oft einfach liegengelassen.

„Viele wissen erst einmal nicht, was sie mit sich anfangen sollen und gehen deshalb wieder zu den gewohnten Szeneplätzen“, sagt Jane van Well, Projektleiterin beim SKM für die Kölner Feger. Auch am Neumarkt stünden viele Substituierte. Die Gefahr, dass sie aus lauter Langeweile wieder rückfällig werden, sei groß. Deshalb sind Beschäftigungsprojekte wie die Feger so wichtig. „Wir bräuchten noch viel mehr davon.“

An der Mauer am Blaubach macht die Gruppe erneut Halt. In der Grünanlage hängen die Äste der Nadelgehölze bis auf den Boden und bieten Schutz vor unerwünschten Blicken. „Hier sieht es immer besonders schlimm aus“, sagt Thomas und weist auf die unappetitlichen Hinterlassenschaften. Nach der Säuberungsaktion brauchen die fünf erst einmal eine Zigarettenpause. Sie zählen die Nadeln, die sie in dem verschließbaren Eimer für die Spritzen gesammelt haben: 20 sind es bis dahin – und sie sind noch nicht fertig für heute.

Das Projekt

Die Suchthilfe am Bahnhof des SKM hat die „Kölner Feger“ vor einem Jahr ins Leben gerufen. Das Arbeitsprojekt richtet sich an Teilnehmer des Substitutionsprogramms , die versuchen, ihre Sucht mit Ersatzstoffen wie etwa Methadon in den Griff zu bekommen. Das Projekt verhilft den Abhängigen wieder zu einer geregelten Tagesstruktur und will Perspektiven für den Ausstieg aufzeigen.

Die Ein-Euro-Jobs werden ein halbes Jahr lang vom Jobcenter finanziert und können auf bis zu zwei Jahre verlängert werden. Die Abfallwirtschaftsbetriebe stellen Kleidung und Werkzeug, die Bahn den Lagerraum. Es gibt eine Partnerschaft mit Polizei, Ordnungsamt und KVB, die auch auf neue Verunreinigungen hinweisen.

Die Feger arbeiten montags bis freitags jeweils vier Stunden. Am Freitag ist Auszahlungstag. Wer keine Fehlstunden hat, bekommt 26 Euro – zusätzlich zu dem Hartz-IV-Satz. Nach den Sommerferien soll das Projekt auf Mülheim ausgeweitet werden. (jac)