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„Dein Sternenkind“Kölner Fotografen machen Fotos, für die es keine zweite Chance gibt

Lesezeit 6 Minuten

In der Begegnung mit den Eltern und ihrem toten Baby entstehe ein sehr intimer Moment.

Köln – Als Leslie Niemöller das Krankenzimmer in der Kölner Uniklinik betritt, sitzt Lisa, die junge Mutter, gefasst im Bett. Allein. In ihren Händen hält die 25-Jährige eine ovale Metallschale. Darin liegt Gina, ihr kleines Mädchen.

Das Sternenkind, das völlig überraschend in der 24. Schwangerschaftswoche geboren wurde, und keine Chance auf Leben hatte. Zärtlich fährt sie mit dem Finger über das winzige Menschenkind, dem die Hebamme ein ebenso winziges rot-weiß geringeltes Frühchen-Mützchen über den Kopf gestreift hat.

Am Morgen war noch alles gut

Noch am Morgen war alles gut, dann die Wehen und jetzt ist das Leben plötzlich ein anderes. Bei Leslie Niemöller war am Nachmittag auf ihrem Handy der Alarm eingegangen: Gina, 24. Woche, Uniklinik Köln. Verstorben vor einer halben Stunde. Die Kölner Fotografin arbeitet gemeinsam mit mittlerweile mehr als 600 Fotografen in Deutschland ehrenamtlich in der Initiative „Dein Sternenkind“. Allein 56 von ihnen sind im Großraum Köln unterwegs.

Durch ein Alarmierungssystem werden dann bei einer Fotografen-Anforderung alle ehrenamtlich für Sternenkind tätigen Kollegen verständigt, die sich in der Nähe des Geburtsortes befinden, um ein Sternenkind zu fotografieren. Wer Zeit hat, drückt auf „Akzeptieren“ und macht sich sofort auf den Weg in die Klinik.

Manchmal ist die Mutter ganz allein mit dem Baby

Man wisse nie, was einen erwarte, erzählt die 55-jährige Kölnerin, die seit zwei Jahren für „Dein Sternenkind“ Kölner Kinder fotografiert, die tot zur Welt kommen, bei der Geburt oder kurz danach sterben. Kinder, bei denen plötzlich keine Herztöne mehr feststellbar sind, Kinder, die mit schweren Gendefekten zur Welt kommen und nur ganz kurz leben können.

Manchmal ist die Mutter ganz allein mit dem Baby, manchmal sitzen neben den Eltern noch Opa und Oma mit am Bett, um den Enkel gleichzeitig willkommen zu heißen und zu verabschieden. „Das ist dann immer eine besonders innige, fast tröstliche Atmosphäre, wenn das Kind so von Liebe umfangen wird.“

Emotionale Ausnahmesituation

Wenn der Sternenkind-Alarm geht – was in Köln durchschnittlich zweimal pro Woche der Fall ist, bundesweit manchmal allein an einem Tag achtmal –, fragt sich die Mutter von fünf Kindern erst mal kurz selbst, ob sie sich heute in der Verfassung fühlt, diese mentale Anstrengung auf sich zu nehmen. „Da muss man durchaus auch gut auf sich aufpassen.“ So intensiv sei diese kurze Zeit, in der sie an einer emotionalen Ausnahmesituation teilhat.

Die Kölner „Dein Sternenkind“-Fotografen Leslie Niemöller und Uwe Hoffmann

In der Begegnung mit den Eltern und ihrem toten Baby entstehe ein sehr intimer Moment. „Das ist die Voraussetzung für diese Art der Arbeit, ich muss in Kontakt kommen mit den Eltern, die sich in einer absoluten Ausnahmesituation befinden. Ich muss erspüren, was sie jetzt wünschen und wie viel Nähe zu dem toten Baby möglich ist.“

Ein Foto, für das es keine zweite Chance gibt

Wie viele Fotos entstehen im Laufe eines Kinderlebens: Tausendfach klicken die Smartphones, um Möhrenbreimünder, erste Schritte, Kindergeburtstage zu dokumentieren. Von Gina wird es dieses Foto geben, wenigstens dieses eine. Ein Foto, für das es keine zweite Chance gibt. Das Foto, das bezeugt, dass es sie auf dieser Erde wirklich gegeben hat. In einer Gestalt mit menschlichem Antlitz.

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Eine wichtige Versicherung gerade dann, wenn die Erinnerungen an diesen Moment verblassen. Zu der jungen Mutter baut Niemöller spontan eine Bindung auf. Eine Bindung für diesen kurzen Zeitraum, die sie dann nach ihrer Arbeit genauso wieder lösen muss, um diese überhaupt machen zu können.

Diese einsame Frau, die in dieser Extremsituation so viel Stärke und Liebe zu ihrem Baby ausstrahlt, rührt sie an. Gemeinsam machen Niemöller und Ginas Mutter ein Stempelbild von den fast durchsichtigen kleinen Füßchen. Dann hält die Mutter Gina in einer Hand, Niemöller fotografiert.

Viele schaffen es erst nach Jahren, die Fotos anzusehen

„Diese Bilder, die sind für viele in ihrer Trauer anschließend ungemein wichtig“, erzählt Uwe Hoffmann, der ebenfalls ehrenamtlich für „Dein Sternenkind“ arbeitet und als Administrator und Koordinator für den Kölner Raum tätig ist. Für ihn ist das eine humanitäre Geste, verbunden mit dem guten Gefühl, etwas zutiefst Sinnvolles zu tun.

Auf der Facebook-Seite der Organisation schreiben immer wieder betroffene Eltern, wie wichtig es ist, dass es diese Fotos von ihren nie vergessenen Kindern gibt, die den Eltern von „Dein Sternenkind“ grundsätzlich kostenlos überlassen werden. „Selbst wenn viele von ihnen es erst nach Jahren schaffen, den Umschlag mit den Fotos zu öffnen.“

Noch nicht alle Kölner Krankenhäuser kooperieren mit der Initiative

Allein während des Gesprächs mit der Reporterin piepst die Alarm-App mehrfach. Hoffmann verfolgt auf seinem Display, ob sich rund um den Geburtsort ein Fotograf bereitfindet. Kliniken wie etwa die Uniklinik oder das Krankenhaus Holweide fragen alle Eltern, die mit dem Tod ihres Babys konfrontiert sind, ob sie sich mit dem Baby fotografieren lassen möchten.

Wird dies bejaht, geht minutenschnell die Anfrage an „Dein Sternenkind“ raus. „Leider sind derzeit noch nicht alle Kölner Krankenhäuser mit uns in Kooperation. Wichtige Einrichtungen wie etwa die Kinderklinik in der Amsterdamer Straße fehlen noch.“

Auch Sternenkinder haben zur Familie gehört

Die Initiative „Dein Sternenkind“ wurde im Jahr 2013 von Kai Gebel gegründet. Seither konnten von mehr als 800 Sternenkindern Bilder gemacht werden. Für Gebel sind die Bilder eine wichtige Bestätigung, dass das Kind zur Familie gehört hat, gerade wenn es auch trauernde Geschwister gibt, für die das Geschehen sonst völlig abstrakt bleibt.

Einfach als Zeugnis, Eltern, Bruder oder Schwester zu sein. Die Initiative ist für ihre Arbeit in diesem Jahr für den Deutschen Ehrenamtspreis nominiert. Allein in diesem Jahr hat Hoffmann 14 Sternenkinder in Köln fotografisch begleitet. Er hat selbst erlebt, wie es bei seinem jüngsten Sohn vor acht Jahren knapp war. Der Kleine hatte die Nabelschnur um den Hals gewickelt als er auf die Welt kam. „Er hat überlebt, aber das vergisst du nicht.“

Danach macht sich ein Gefühl der Demut breit

Da gehen ihm Sternenkinder wie der kleine Rafael, den er letzte Woche begleitet hat, besonders nahe. Der Junge wurde mit der mehrmals um den Hals gewickelten Nabelschnur geboren. Einen Tag vor der Geburt wurde festgestellt, dass der Säugling im Mutterleib tot war. Hoffmann legte den Eltern für die Fotos den Kleinen auf den Schoß und erfüllte ihnen dann einen Wunsch. „Ich sollte den Kleinen für die Fotos zwei mal umziehen.“ Auf den Bildern trägt der tote Säugling dann die Bodys: „I love my dad“ und „I love my mum“ steht auf seiner Brust.

Momente, die Hoffmann nicht in den Kleidern stecken bleiben, genauso wenig wie Leslie Niemöller. Sie hören sie immer wieder, die Frage, warum sie sich diese ehrenamtliche Arbeit zumuten. Niemöller: „Ich ziehe viel aus dieser Arbeit. Für mich ist das auch eine Beschäftigung mit dem Tod, mit meiner eigenen Endlichkeit. Wenn man Teil dieses sehr intensiven Prozesses wird. Und dann geht man raus, atmet tief auf und ist dankbar und voller Demut.“

Die Initiative

„Dein Sternenkind“ bietet Erinnerungsfotos als ein Geschenk für Eltern, die entweder ein bereits totes Baby auf die Welt bringen müssen oder denen der Tod des Neugeborenen unausweichlich bevorsteht.

Alle bundesweit 600 Fotografen arbeiten ehrenamtlich. Über die Homepage der Initiative können betroffene Eltern einen Fotografen in ihrer Umgebung anfordern. Gleichzeitig können sich auch interessierte Fotografen dort bewerben.