Im Leben vor seinem Outing wollte Pascal Kaiser nicht auffallen und männlich wirken. Heute ist er entspannter, selbstbewusster – und will Anderen Mut machen. Ein Porträt.
Kölner Fußball-Schiedsrichter„Mein Outing war eine große Befreiung“
Auf den Bürgersteigen der Aachener Straße versprüht das diverse Köln an diesem frühsommerlichen Nachmittag Charme und Schönheit. Pascal Kaiser wartet in einer ruhigen Ecke des Bauturm-Cafés. Der 25-jährige Amateur-Fußballschiedsrichter hat sich vor knapp zwei Jahren als bisexuell geoutet. Seitdem ist er auch Aktivist.
Er hat mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf über Diversität und Homophobie im Fußball gesprochen, Thomas Hitzlsperger kennengelernt, dessen Outing nach der aktiven Karriere „es normaler gemacht hat, über Homo- und Bisexualität im Fußball zu sprechen“; er redet in Medien, auf Podien – und ist mit aktiven homosexuellen Fußball-Profis aus der Bundesliga im Austausch. Vor allem, sagt Pascal Kaiser, „war mein Outing aber eine große Befreiung für mich persönlich“.
Beim ersten Spiel nach dem Outing standen die Mannschaften Spalier, jubelten und klatschten
Vorher habe er immer überlegt, wie er am besten nicht auffalle. „Ich habe darüber nachgedacht, wie ich spreche, um möglichst männlich zu wirken, wie ich gehe, wie ich eine gelbe Karte zeige, wie ich mich kleide.“ Er zeigt eine Tätowierung auf dem Unterarm, mit den dort eingestochenen Lettern schwört er dem 1. FC Köln ewige Treue. „Ich bin FC-Fan und werde es immer bleiben“, sagt er, „aber das war schon auch so ein Männlichkeitsritual. Das würde ich mir heute wohl so nicht mehr stechen lassen.“
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Pascal Kaiser ist in Köln geboren und aufgewachsen. In der Kindheit und Jugend hat er beim FC Pesch Fußball gespielt, „zuerst Torwart, später auf der Position zehn hinter den Spitzen“. Mit 16 zog er sich bei einem Wettlauf abseits des Fußballs einen Meniskusriss zu, der nicht gut verheilte. „Da habe ich entschieden, einen Schiedsrichterschein zu machen, um meine Fußball-Leidenschaft nicht aufzugeben.“
Schon ein bisschen früher sei ihm klar geworden, dass er sich auch für Jungs interessiere. „Ich hatte eine Freundin – die erste schon sehr früh – und habe es lange verdrängt, dass ich Jungs nicht nur einfach attraktiv fand, sondern auch sexuell attraktiv“, sagt er. „Bis ich mich dann irgendwann in einen verliebt habe.“ Seine Freundin habe relativ entspannt reagiert, sich aber irgendwann getrennt. Der Liebe wegen zog Pascal Kaiser mit 21 nach Brandenburg in den kleinen Ort Prignitz.
Dort half er, einen kleinen Christopher Street Day (CSD) zu organisieren. Als ihn ein Redakteur einer Lokalzeitung nach seiner Motivation fragte, „habe ich mich spontan geoutet — ohne, dass ich das vorher beabsichtigt hatte“. Im Nachhinein habe er sich einen selbstbestimmteren Moment für sein Outing gewünscht – die Reaktionen seien gleichwohl überwältigend gewesen.
Beim ersten Spiel, das er danach als Schiedsrichter leitete, standen die Spieler Spalier, jubelten und klatschten. Spieler anderer Mannschaften meldeten sich und gratulierten ihm. „Und es dauerte nicht lange, bis sich der erste Spieler und der erste Schiedsrichter meldeten und mir sagten, mein Schritt habe ihnen den Mut gegeben, sich auch zu outen.“ Allein deswegen, sagt Kaiser, habe sich sein Schritt gelohnt. Zehn oder elf Spieler und Schiedsrichter hätten sich bislang nach Artikeln oder Auftritten von ihm gemeldet und gesagt: „Du hast mir Mut gemacht.“ Er habe nicht nur bei der ersten Nachricht Tränen in den Augen gehabt.
Die Erfahrung, mitwirken zu können beim Kampf gegen Homophobie im Fußball, einem Kampf, der in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft zum Glück längst nicht mehr nötig ist, helfe ihn auch, wenn er selbst Hass und Missgunst erlebe. Einmal habe ein Spieler nach einem Elfmeterpfiff gebrüllt: „Du schwule Sau, Du magst doch auch, wenn es härter zugeht!“
Der DFB habe den Typen nach der Roten Karte für drei Monate gesperrt. Öfter überhöre er homophobe Sprüche aus dem Publikum: „Da sage ich mir: Ich muss hören, was auf dem Platz gesagt wird, aber nicht jedes Wort von außerhalb.“ Als aber bei einem Jugendspiel derbe homophobe Sprüche von Jugendlichen an sein Ohr drangen, habe er das Spiel unterbrochen und den Vereinsverantwortlichen gesagt: „Entweder die Jugendlichen verlassen sofort das Gelände oder das Spiel wird jetzt abgebrochen.“ Die Jugendlichen hätten eine Strafe erhalten.
Kurz nach dem Outing rief ein Spielerberater bei ihm an – ein Bundesliga-Profi wollte seinen Rat
Einige Monate nach seinem Outing erhielt Pascal Kaiser einen Anruf eines Spielerberaters. Der Mann sagte ihm, ein homosexueller Spieler aus der 1. Bundesliga wolle gern mal mit ihm sprechen. „Ich musste einige Verschwiegenheitsklauseln unterschreiben, bevor er mich dann zum ersten Mal anrief.“ Mit dem Spieler telefoniere er bis heute regelmäßig. „Auch zu einem anderen schwulen Profi aus der Bundesliga habe ich Kontakt.“
Pascal Kaiser hofft, dass sich zumindest einer der beiden Fußball-Bundesliga-Spieler am 17. Mai outen könnte, im Rahmen der Kampagne „Sports free“ des ehemaligen Jugend-Nationalspielers Marcus Urban, bei der sich 200 Sportlerinnen und Sportler aus der ganzen Welt öffentlich bekennen wollen. „Ich glaube fest daran, dass es dieses Jahr so weit sein wird und sich ein aktiver Bundesliga-Profi outet“, sagt Kaiser. „Vielleicht ja sogar ein Nationalspieler. Vor der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland wäre das ein wunderbares und natürlich überfälliges Zeichen.“
Es wäre auch für ihn persönlich eine weitere, kleine Bestätigung, das Richtige getan zu haben. „Ich würde im Profifußball niemandem drängen, sich zu outen. Die homophoben Strukturen sind schwierig – und es muss jeder selbst entscheiden“, sagt er. Wenn aber prominente Fußballer mit Vorbildfunktion wie der langjährige Nationalspieler und Weltmeister Philipp Lahm öffentlich von einem Outing abrieten, findet er das auch schwierig. „Das ist kontraproduktiv – und leider passt es ins Bild des DFB, der sich in seinem Bemühen um mehr Diversität nicht gerade mit Ruhm bekleckert.“
Fußball: Der Kölner Pascal Kaiser pfeift inzwischen Regionalliga
Als seine Beziehung in Brandenburg scheiterte, zog Pascal Kaiser zurück nach Köln. Er arbeitet als Betriebsleiter in einer Bar auf den Ringen – der Vollzeitjob als Krankenpfleger war kombiniert mit seinem Schiedsrichter-Hobby und dem Aktivistendasein irgendwann zu viel. Jedes Wochenende steht der 25-Jährige als Schiedsrichter oder Linienrichter auf dem Platz, manchmal pfeift er zwei Spiele an einem Tag.
Mit 17 hatte er in der Kreisliga angefangen, vor einigen Wochen hat er zum ersten Mal ein Damen-Spiel in der 1. Regionalliga geleitet. „Bei den Frauen war die sexuelle Orientierung nie ein Thema“, sagt er. „Ich hoffe, dass es das bei den Männern eines Tages auch nicht mehr sein wird.“ Er selbst sei seit seinem Outing ein selbstbewussterer, entspannterer Mensch. „Und sicher auch ein besserer Schiedsrichter.“