In der Kölner Südstadt feiern die Jecken ausgelassen Karneval. Auch Jecke aus aller Welt sind dabei.
Weiberfastnacht in der Südstadt„Es ist egal, woher du kommst, du wirst willkommen geheißen“
Der Nubbel lässt den Kopf hängen, als wüsste er, welches unausweichliche Schicksal ihm in wenigen Tagen droht. An vielen Kneipen in der Südschaft schmückt er den Eingang, während zu seinen Füßen die Jecken warten, der Kälte der Morgenstunden trotzen.
Seit 9.30 Uhr stünden die Jecken an, erzählt ein Türsteher. In riesigen Schlangen und prallen Menschentrauben stehen sie vor den Veedelskneipen, wie dem Chlodwigeck, der Ubierschenke, dem Haus Müller oder dem Johann Schäfer.
Südstadt: Bayern, Franzosen, Engländer – gemeinsam wird gefeiert
In den Mittagsstunden sind die meisten Läden voll, die Scheiben beschlagen, Feiernde werden abgewiesen. Auf dem Pflaster des Chlodwigplatzes liegt verstreutes Konfetti, dabei ist die ominöse Uhrzeit noch nicht erreicht.
Einmal ist „Happy Birthday“ zu hören und die Frage drängt sich auf, ob es einen besseren Geburtstag geben kann? In der Luft liegt ein Gewirr aus Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch – sogar Bayrisch ist zu hören. Im Chlodwigeck hingegen dominiert das Kölsch.
Sowohl musikalisch, aber auch im Glas. Über die herrschende Inflation macht man sich hier keine Gedanken, „Kölsch statt Käsch“ ist die Devise. Ebenfalls keine Rolle spielt das Coronavirus, welches die letztjährigen Feierlichkeiten fast komplett verhinderte.
Kölnerin: „Ich habe zwei Jahre auf heute hingefiebert“
Zwei Jahre habe sie auf diesen Tag hingefiebert, erzählt Katharina. Mit Freundinnen ist sie im Chlodwigeck, das kollektiv 11.11 Uhr mit einem Countdown und dreimal „Kölle Alaaf“ begrüßt.
Der Kneipenkarneval sei für sie Tradition, schon Tage im voraus habe sie die neusten Sessionshits einstudiert. Hier, in der Südstadt, Karneval zu feiern, das seien Gänsehautmomente – gerade nach den karnevalistischen Entbehrungen der letzten Jahre.
Der Eindruck festigt sich, dass es vielen hier so geht: Die Stimmung ist losgelöst und euphorisch. Das Eck – wie es von Gästen genannt wird – ist eine lebende Kostümkiste: Spiderman schunkelt mit Ahoi-Brause-Matrosen und Froschköniginnen.
Nicht nur Karnevalsmusik ist zu hören
Während zu „Tschingderassabum“ auf den Bänken getanzt wird, laufen draußen Ballermann-Schlager von Micki Krause über wuchtige Boxen – von Exil-Düsseldorfern, wie sich auf Nachfrage herausstellt.
Und das ist ja auch eine der Schönheiten des Karnevals: Gastfreundschaft, Völkerverständigung. Über den Ubierring läuft eine Gruppe Argentinier, die verkleidet Lionel Messi und Diego Maradona huldigen. „Es ist egal, woher du kommst, du wirst willkommen geheißen“, sagt Dominik aus Köln.
Man feiere hier bedingungslos zusammen. Huldigungen erfährt im Chlodwigeck vor allem die Stadt Köln. Bei „Viva Colonia“ wackelt die Theke, bei „En unserem Veedel“ liegt man sich in den Armen. Der Chef huscht dabei gelegentlich durch seinen Laden, spricht mit den Türstehern und dirigiert sein Theken-Ensemble.
„Man feiert mit Leuten, die man gar nicht kennt“
Und überhaupt Veedel, was macht die Südstadt an Karneval überhaupt aus? Dominik sagt, es sei der alte Charme der Stadt, der hier herrsche, ein kölsches Vergnügen sei es. Diese Tradition müsse bewahrt werden, sagt er.
Katharina sagt, der Karneval werde immer so bleiben, wie er ist. Die Liebe zu ihm sei wie die Liebe zur Stadt. Daneben sei es hier friedlicher als an den anderen Hotspots der Stadt, wie der Zülpicher Straße, sagt Finn aus Brühl.
In seinen Augen zeichnet die menschliche Nähe den Kneipenkarneval besonders aus: „Besonders ist, dass man in der Kneipe mit Leuten feiern kann, die man gar nicht kennt.“
Das Karnevalsgefühl hat den Menschen gefehlt
Man merkt den Menschen im Chlodwigeck an, wie sehr dieses Gefühl der fremden Vertrautheit, der Karneval, die letzten Jahre gefehlt hat: Menschen fallen sich um den Hals, stoßen miteinander an, schunkeln Arm in Arm.
So geht es aus Jeckensicht noch Tage weiter. Mitleid braucht an diesem Tag letztlich nur der Nubbel, der seinen Kopf so bedröppelt hängen lässt. Dort, wo die Jecken ein und ausgehen.