Es ging hoch her: Ein Veedelsbeirat, der öffentlich tagt, soll helfen, die Konflikte wegen der Deutzer Freiheit zu befrieden und alle Beteiligten miteinander ins Gespräch kommen zu lassen.
Polizeiermittlungen, wütende Händler und ein VeedelsbeiratSo geht es mit dem autofreien Verkehr in Deutz weiter
Den Christinnen und Christen gilt der Advent als Zeit der Buße, der Vergebung und Besinnung. Adventlich ist die Stimmung auf der Deutzer Freiheit derzeit eher nicht. Der Verkehrsversuch und die damit verbundene Verbannung der Autos von der Einkaufsstraße polarisieren extrem. Zumindest die Bezirksvertretung Innenstadt müht sich nach Kräften um weihnachtlichen Frieden.
Die Politiker fassten jüngst nach einer zweieinhalbstündigen „Aktuellen Stunde“ einen Beschluss, der Befürworter wie Gegner des Versuchs an einem Tisch versammeln und zu Wort kommen lassen wird. Ein Veedelsbeirat soll es richten. Dessen Einrichtung beschlossen die Politiker mit den Stimmen von Grünen, SPD, Die Linke, Die Partei und KlimaFreunde. CDU und FDP stimmten dagegen.
Neuer Beirat soll öffentlich tagen
Der Beirat soll im neuen Jahr extern moderiert und von Bezirksbürgermeister Andreas Hupke einberufen werden. Die Sitzungen sollen öffentlich sein „mit dem Ziel, ein alle Beteiligten berücksichtigendes Verfahren zur Entwicklung beziehungsweise Begleitung des Verkehrsversuchs Deutzer Freiheit sicherzustellen und gegebenenfalls der Bezirksvertretung Beschlüsse vorzuschlagen“.
Mit dem Beirat entsteht somit ein weiteres Gremium, das sich mit dem Verkehrsversuch beschäftigt. Eine Runde aus Politik, Verwaltung und Betroffenen hat sich bereits hinter verschlossenen Türen getroffen und ein sogenanntes „Fachgespräch“ geführt. Ergebnisse wurden nicht öffentlich, der Bezirksbürgermeister sprach aber von einem „guten, konstruktiven Atmosphäre, in der wir uns getroffen haben“.
Nun vereinbarten die Politiker ein zweites Gespräch am Montag, 12. Dezember. Dabei soll diskutiert werden, wie man die Regeln des Verkehrsversuchs wie das Durchfahrtsverbot für Autos und die vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit für Radfahrer gegebenenfalls mit „baulichen Maßnahmen“ durchsetzen kann. Darüber hinaus will man sich mit der Verbesserung der Aufenthaltsqualität beschäftigen. Ideen sollen der Bezirksvertretung zur Beschlussfassung präsentiert werden.
Gegner und Befürworter trafen aufeinander
Während der Sitzung der Bezirksvertretung trafen Gegner wie Befürworter des Verkehrsversuchs als Bürgerantragssteller im Theodor-Heuss-Saal des Rathauses aufeinander. Bezirksbürgermeister Hupke erteilte ihnen nacheinander das Wort. Daniel Wolf von der Interessengemeinschaft Deutz und Friseurmeister Julian Neumann von der Initiative Deutz wiederholten ihre Klagen über die existenzbedrohenden Umsatzverluste der Händler an der Deutzer Freiheit seitdem die Straße Fußgängerzone mit Radverkehr ist.
Christopher Köhne, Referent bei der Industrie- und Handelskammer trug noch einmal Zahlen aus einer Umfrage vor, die die IHK mit der IG Deutz vor kurzem veröffentlicht hat. Danach lehnen fast alle Händler den Verkehrsversuch ab. Auf die Frage von Julie Caziers (Grüne), ob er im Vorstand der Deutzer CDU sitze, die den Versuch scharf kritisiert, räumte Köhne nach kurzer Bedenkzeit kaum hörbar ein: „Das ist korrekt.“
Nach längerer Zeit der öffentlichen Zurückhaltung meldeten sich die Befürworter des Verkehrsversuchs zu Wort. Uwe Hass wohnt seit 20 Jahren in Deutz und ist als regelmäßiger Flaneur ein profunder Kenner der Freiheit, wie er erklärte. „Die Fußgängerzone ist eine gute Idee. Sie muss nur besser werden.“ Er plädiert dafür, die unterschiedlichen Mobilitätsinteressen von Radfahrern und Fußgängern besser unter einen Hut zu bringen und hofft dabei auf die „Pfiffigkeit der Verwaltung“.
Hass hält eine „Grundschulung“ für Radfahrer in Sachen Verhalten in Fußgängerzonen für eine gute Idee und wünscht sich, dass die Außengastronomie durchlässiger wird, um ungehindert vom Bürgersteig auf die Straße zu wechseln. Oliver Watteler vertrat die Initiative „Deutz familienfreundlich“ und nannte Deutz einen Stadtteil mit hoher Attraktivität für Familien. Die autofreie Freiheit mache das Leben der Kinder aus den umliegenden Schulen sicherer. Watteler unterstützt den Verkehrsversuch: „Viele, die heute mit dem Rad kommen, sind die Kunden der Zukunft.“
Rike Freeman von der Initiative „Deutz autofrei“, die mit ihrem Bürgerantrag den Versuch angestoßen hat, bedauert, dass der halbherzig umgesetzt worden sei. „Die Deutzer Freiheit ist kein rechtsfreier Raum, Sie soll frei sein von Autos und rasenden Radfahrern. Wir wünschen uns, dass der Versuch erstmal überzeugend umgesetzt wird, bevor man über den Abbruch diskutiert.“ Katharina Delhofen von der Bürgervereinigung Deutz klagte über die extrem schlechte Stimmung in Deutz.
„Der Stadtteil zerbricht. Streit und sogar Handgreiflichkeiten sind an der Tagesordnung. Händler ärgern sich über schlechte Online-Bewertungen von Befürwortern des Verkehrsversuchs. Ärzte, Apotheker und die Post drohen mit Wegzug. Wir sind für den Abbruch des Versuchs und für einen neuen Ansatz im kommenden Jahr.“
Ganz anders sieht das Sascha Bayer, der das Café St. Louis an der Freiheit betreibt. Er machte 70 Prozent seines Umsatzes im Mittagsgeschäft mit Mitarbeitern großer Firmen wie Lanxess, RTL und der Stadtverwaltung. Wegen Corona seien 70 Prozent seiner Umsätze weggebrochen. Die Leute seien im Homeoffice. Er habe den Laden eigentlich aufgeben wollen. Als er von dem Verkehrsversuch gehört habe, sei er von der Idee abgerückt, den Laden dichtzumachen.
Im Gegenteil: „Mit der Aussicht, dass sich Deutz durch eine autofreie Deutzer Freiheit weiterentwickeln könnte, haben wir uns jedoch dazu entschieden, unser Mietverhältnis nicht auslaufen zu lassen und haben stattdessen stark in den Standort investiert, diesen komplett umgebaut und das Produktangebot weiterentwickelt mit einer größeren Ausrichtung auf die Deutzer Bürger (Mehr Frühstück, mehr Kuchen)“, schreibt der Gastronom in einem Bürgerantrag an die Bezirksvertretung. Und weiter: „In Bezug auf die Verkehrsberuhigung erfahren wir gefühlt zu 95 Prozent nur positives Feedback von unseren Gästen die zu einem Großteil Anwohner des Viertels sind.“
Stefan Fischer ist „Deutzer Urgestein“ und Bezirksvertreter der Grünen. Er hat lange zu den Diskussionen um die Deutzer Freiheit geschwiegen. Da hat sich wohl was angestaut. „Die Situation in Deutz belastet mich sehr. So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Er deutet die Umsatzrückgänge bei den Deutzer Händlern anders: „Ich habe Hochachtung vor dem Handwerk von Herrn Neumann", sagte er in Richtung des Friseurmeisters. „Das ist sein Geld wert. Aber in Zeiten, in denen die Leute Angst haben, ihre Heizung nicht bezahlen zu können, halten Sie ihr Geld zusammen.“ Das habe nichts mit dem Verkehrsversuch zu tun.
Und: „Ich war vor kurzem in einem Geschäft an der Freiheit, das ich vor langen Jahren mit meiner Mutter besucht habe. Da hat sich nichts geändert.“ Fischer bedauert, dass die Anfeindungen gegen ihn eskalieren: „Ich musste Anzeigen erstatten. Der Staatsschutz ermittelt.“ Der Verkehrsversuch wird fortgesetzt.