Das Lew Kopelew Forum verleiht die undotierte Auszeichnung an Menschen, die sich besonders für den Frieden einsetzen.
Auszeichnung in KölnLew-Kopelew-Preis für Klitschko-Brüder und ukrainische Sanitäterin
„Wir haben allen Grund hier zu sein und diesen besonderen Einsatz von Menschen im ukrainischen Kriegsgebiet zu würdigen“, sagte Thomas Roth, Vorsitzender des Lew Kopelew Forums am Sonntag bei der Verleihung des Lew-Kopelew-Preises in der Kassenhalle der Kreissparkasse Köln am Neumarkt. Seit 2001 wird die undotierte Auszeichnung an Menschen verliehen, die sich besonders für den Erhalt des Friedens und im Kampf für Menschenrechte einsetzen.
In diesem Jahr wurden neben der ukrainischen Sanitäterin Julia Pajewska, bekannt unter ihrem Decknamen „Taira“ und der „Menschenrechtsgruppe Charkiw“ auch die beiden ehemaligen Boxer Vitali und Wladimir Klitschko für ihre „mutige und bedingungslose Arbeit“ für die Ukraine ausgezeichnet. Sie alle handelten im Sinne des Humanisten Lew Kopelew, „der sich auch in seinen schlimmsten Gedanken wahrscheinlich nicht hätte vorstellen können, dass sein Heimatland noch einmal von einem solchen Überfall betroffen sein könnte“, sagte der ehemalige Tagesthemen-Moderator Thomas Roth.
Dreimonatige russische Gefangenschaft mit Folter
Durch die Aufnahmen ihrer Körperkamera konnte die Welt erfahren, wie es in den Kriegsgebieten wirklich aussieht. Im Stahlwerk von Mariupol versorgte die Sanitäterin Julia Pajewska unermüdlich die Verwundeten vor Ort und rettete ein Leben nach dem anderen. „Mir geht es einzig und allein um den Sieg der Ukraine“, sagte Pajewska. Auch die dreimonatige russische Gefangenschaft, in der sie einer harten physischen und seelischen Folter ausgeliefert gewesen sei, ließen die Sanitäterin vor nichts zurückschrecken.
„Ich bin nur eine von vielen. Es soll nicht um mich gehen, es geht um uns alle. Deswegen ist diese Auszeichnung eine Anerkennung für das Durchhaltevermögen des ganzen Volkes“, sagte Pajewska. Wenn der Krieg vorbei sei, wolle sie Rosen in ihrem Garten züchten. Bis dahin werde sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Krieg für die Ukraine zu gewinnen: „Der Feind ist schrecklich. Aber man kann jeden Feind überwinden.“
Ebenso wurde der Einsatz der Gebrüder Klitschko in der Ukraine besonders gewürdigt. Aufgrund der zugespitzten Lage vor Ort sei es ihnen nicht möglich gewesen, für die Preisverleihung nach Köln zu kommen. In einer Videobotschaft machten sie ihre Dankbarkeit und die Dringlichkeit zu Mut und Handlungswillen deutlich. „Ich habe Menschen gesehen, von denen ich ehrlicherweise nicht viel erwartet hatte, die plötzlich mit allem, was sie haben, für ihre Familien einstehen und kämpfen“, sagte Wladimir Klitschko. Gemeinsam mit seinem Bruder Vitali, dem Bürgermeister Kiews, betonte er die große Relevanz der weiteren Unterstützung für seine Heimat.
Neben den Worten der Preisträgerinnen und Preisträger unterstrich auch ein auf der Bühne geführtes Gespräch zwischen dem ehemaligen Bundesinnenminister und FDP-Politiker Gerhart Baum und Thomas Roth, wie wichtig das Einstehen für den Frieden heute sei. In einer emotionalen Ansprache rief Baum den Zuschauerinnen und Zuschauern ins Gedächtnis, wie lange in der Vergangenheit für eine friedliche Weltordnung gekämpft wurde und wie verantwortungslos es wäre, einen solch bedeutenden Anker des Friedens wieder aufzugeben.
Gerhart Baum erinnert an die Bedeutung der Freiheit
„Die Menschen haben vergessen, was Freiheit bedeutet“, sagte Baum und führte weiter aus: „In der Ukraine sitzen die Menschen in ihren Kellern und wissen nicht, was im nächsten Moment passiert. Das muss aufhören.“ Jeder Preisträger der Auszeichnung durch das Lew Kopelew Forum leiste seinen bedeutsamen Teil zur Wiederherstellung des Friedens und eines nachhaltigen Schutzes der Menschenrechte, auch und gerade in den betroffenen Kriegsgebieten. „Gäbe es diesen Preis heute noch nicht – man müsste ihn für die außerordentliche Leistung dieser besonderen Menschen erfinden“, sagte Gerhart Baum abschließend.
Thomas Roth hatte sich bereits am Samstagnachmittag bei einer Gesprächsrunde mit Julia Pajewska und Jewhen Zacharow von der ebenfalls geehrten Charkiwer Menschenrechtsgruppe ausgetauscht. Zacharow berichtete unter anderem von der Arbeit der Menschenrechtsgruppe, die 1988 gegründet wurde und landesweit tätig ist. Seit Beginn des Kriegs mit Russland unterstützt die Organisation Binnenflüchtlinge und dokumentiert Verletzungen des humanitären Völkerrechts zum Zweck, die Täter vor Gericht zu bringen.
Bisher seien in der Datenbank für Kriegsverbrechen rund 84 000 „Zwischenfälle“ registriert worden, sagte Zacharow. Mit den ukrainischen Behörden arbeite man gut zusammen, doch es fehle Personal, denn „einen solchen Haufen von Verbrechen hat es seit der Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht gegeben“. Zur Lage im umkämpften Charkiw sagte Zacharow, auch hier sei das Ziel der russischen Armee, „das Leben der Ortsbevölkerung unmöglich zu machen“.
Verwundete ukrainische Soldaten betreten Saal in Köln
Doch die rund 1,3 Millionen Einwohner zählende Stadt, die etwa 40 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt, werde sich nicht einnehmen lassen; schon um verhältnismäßig kleine Ortschaften zu besetzen, hätten die Russen viel Zeit und viele Truppen gebraucht. Zwar sei Charkiw eine Zeitlang „fast schutzlos“ gewesen, doch dies habe sich geändert dank der Lieferung ausländischer Waffen und der Erlaubnis, sie gegen Ziele in Russland einzusetzen.
Auch Julia Pajewska sprach von der Bedeutung der Waffenhilfe; dadurch sei „die Stimmung der ukrainischen Streitkräfte sehr gestiegen“, übersetzte Dolmetscherin Nadja Simon. Als kurz nach diesen Worten zwei verwundete ukrainische Soldaten, die in Deutschland behandelt werden, in den Raum kamen, wurden sie mit großem Beifall bedacht. Beide Preisträger waren sich einig, dass der militärische Kampf weitergehen müsse. In der aktuellen Situation hätten Friedensverhandlungen keinen Sinn, sagte Zacharow: „Ich vertraue viel mehr auf die Erfolge auf dem Schlachtfeld“.