In pandemischen Zeiten wird der Spaziergang zum Volkssport.
Unsere Stadtteil-Experten haben individuelle Routen durch die Veedel erkundet.
Diesmal geht es von der Uni-Mensa aus durch die Südstadt bis zum Rhein.
Köln – Es ist ein Ort gespannter Ruhe, ein Grenzbereich, örtlich wie ideologisch – und der Startpunkt unseres Spaziergangs von Sülz durch die Südstadt an den Rhein: die Zülpicher Straße, Höhe Mensa (1), kurz bevor die Innenstadt beginnt. Dort haben die Streiter für die Verkehrswende einen Etappensieg errungen, ist der Autoverkehr durch Poller plötzlich ausgegrenzt.
Auf dem breiten Stück der Verkehrsachse ist Platz zum Bummeln und Radfahren, herrscht Friede zwischen den Verkehrsteilnehmern und ein fragendes Warten darauf, wie es hier weitergeht. Bislang ist die gepflasterte Straße nicht das, was sie künftig sein soll: ein Teil des Inneren Grüngürtels. Die Idee, den Straßenabschnitt zu entsiegeln und zu begrünen, steht im Raum, von Umsetzung bislang keine Spur.
Autonomes Zentrum an der Luxemburger Straße
Der Hans-Mayer-Weg führt von dort nach Süden ins Restgürtelstück, eine kleine Rasenlandschaft mit eher morbidem Charakter. Die hohen Gebäude von Amt- und Landgericht sowie des Uni-Centers werfen ihren Schatten darauf. Der Blick fällt auf das Autonome Zentrum (2) mit seiner graffitibesprühten Fassade: Ein großer Frauenkopf mit Medusafrisur und aufgerissenem Mund vermittelt den Eindruck, als sei er unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Substanzen gesprayt worden und macht darauf aufmerksam, dass hier eine eher unangepasste Gesellschaftsgruppe zuhause ist.
An- und Abfahrt: Die KVB Linie 9 hält an der Haltestelle Dasselstraße/Bahnhof Süd (Hinfahrt) und die Linie 16 an der Schönhauser Straße. Wer mit dem Auto kommt, nutzt den Park&Ride-Platz unter der Rodenkirchener Brücke, fährt mit der Linie 16 zum Barbarossa-Platz, steigt dort um in die Linie 12/15 und am Zülpicher Platz in die Linie 9.
Sie verteidigt die Rechte von Minderheiten, wie Schriftzüge auf den Gebäudemauern verraten: „You can’t stay home, if you have no home“, lautet der aktuellste. Lange wird das AZ hier nicht mehr zu sehen sein. Es soll bald einer Erweiterung des Inneren Grüngürtels weichen, der Parkstadt Süd. Die Galgenfrist läuft bis Ende des Jahres.
An der Luxemburger Straße angekommen, spazieren wir diese links hinunter, bevor wir an der nächsten Ampel rechts abbiegen in den Eifelwall. Der fast fertige Neubau des Stadtarchivs (3) verleiht der Ecke ein anderes Gesicht, seitdem der Künstler Rolf Tepel, genannt Ketan, und seine (Lebens)-Künstlergruppe aus ihrem „Paradies“ vertrieben hat. Unter diesem Namen befand sich dort eine aus Bauwagen bestehende alternative Wohnsiedlung.
Zum Pilates unter die Eisenbahnbrücke
Mittlerweile ist die angrenzende Straße für den Autoverkehr gesperrt und selbst ein Ort für künstlerische sowie sportliche Aktivitäten geworden: Während des Lockdowns treffen sich Chöre zum Singen unter der Eisenbahnbrücke und Pilatesgruppen zum Dehnen.
Hinter der Brücke führt der Fußgängerüberweg geradeaus über den Vorgebirgswall in den Volksgarten. Links am Weg liegt das Gebäude der Michaeli-Schule (4), wo Schüler nach dem Waldorf-Konzept lernen. Mit seiner Holzfassade und den knallrot gestrichenen Fensterrahmen erinnert es an eine riesige Hütte auf einem Abenteuerspielplatz – passend zum sich anschließenden Park.
Dort führt links ein Fußweg hinunter zum Kahnweiher (5), der das nasse Herzstück der knapp 14 Hektar großen Grünanlage bildet. Sie entstand 1887 bis 1889 auf dem Gelände des nach dem Großherzog Paul Friedrich von Mecklenburg benannten ehemaligen preußischen Forts Paul, als Fort IV bekannt. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg wurde es aufgegeben, weil die Bahnlinie seine Funktion beschränkte. Der Park ist heute nicht nur wegen des bekannten Biergartens am Weiher ein wichtiger Bestandteil des Südstadtlebens. Im Sommer treffen sich unter den hohen Laubbäumen viele Kölner zum Picknicken und Trommeln, Joggen und Plaudern. Im Pandemie-Winter locken Sonnenstrahlen die Lockdown-Geschädigten auf die Parkbänke.
Orangerie im Volksgarten
Wir durchqueren den Park bis zu seinem Ausgang im Südosten. Links am Wegrand liegt hinter einer Mauer ein verwunschenes Gebäude, dessen Ursprung ein Überbleibsel der alten Befestigungsanlage ist: Auf ihrem Pulvermagazin wurde das Wohnhaus des Gartenbaudirektors Adolf Kowallek sowie eine dazugehörige Gärtnerei errichtet. Nach seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg erhielten die Überreste eine provisorische Überdachung und wurden vom Grünflächenamt als Winterquartier für Kübelpflanzen genutzt und so zur „Orangerie“ (6).
Heute beherbergt sie ein Theater und gehört zu den wichtigsten kulturellen Institutionen im Viertel. Angekommen auf der Volksgartenstraße biegen wir rechts ab zu einem der am meisten abgebildeten Wohnhäuser der Stadt: Das Haus mit der Nummer 18 (7) wirkt mit seiner rosa-mintfarben gestrichenen Jugendstilfassade eher schrill als gediegen. Es ist trotzdem das bekannteste Symbol für die luxuriösen Südstadt-Altbauten, die sich die meisten Veedelsbewohner nicht mehr leisten können.
Die Rolandstraße entlang bis zur Bananen-Insel
Viele Jugendstil- und Gründerzeithäuser verhelfen dem weiteren Weg auf dem Grünstreifen in der Mitte der Allee, die bald zur Rolandstraße wird, in Richtung Süden zu einer atmosphärischen Kulisse. Einige Meter weiter geradeaus führt er durch den mediterransten Teil der Südstadt. Am und rund um den Zugweg (8), der dort kreuzt, haben sich italienische Kaffeebars und Restaurants angesiedelt, die während Fußball-WM und -EM die ganze Straße in eine Meile für feiernde Fans der „Squadra Azzurra“ verwandeln.
Im Lockdown verkaufen einige Lokale weiterhin Kaffee aus offenen Fenstern und sind ein perfekter Ort für eine Pause – bevor es die Verkehrsachse weiter hinuntergeht. Dort, wo sie ihren Namen in Teutoburger Straße wechselt, liegt ein anderer bekannter Ort des Veedelslebens: Ein Guerillagärtner hat die Verkehrsinsel in der Mitte der Kreuzung mit der Bonner Straße zur „Bananenrepublik“(9) erhoben – und sich selbst zum Präsidenten. Was ein Akt der Verzweiflung war, um eine zu groß gewordene Balkonpflanze auf sanfte Art loszuwerden, macht seit mittlerweile elf Jahren aus einer schnöden Verkehrsinsel eine gut gedeihende Miniatur-Bananenplantage.
Über das Eierplätzchen hinweg Richtung Rhein
Im weiteren Verlauf der Straße Richtung Süden befindet sich ebenfalls inmitten einer Kreuzung ein wichtiger Südstadttreff, und zwar dort wo Teutoburger- Mainzer-, Titus- und Trajanstraße aufeinandertreffen. Weil die Insel in der Mitte nicht rund, sondern oval ist, spricht hier niemand von einem „Kreisverkehr“. Für die Fläche zwischen den Straßen hat sich ein anderer Begriff eingebürgert: Das „Eierplätzchen“ (10) ist Austragungsort für diverse Aktivitäten.
Sogar eine zum südlichsten Teil der Südstadt passende Combo hat sich gebildet: Die Eierplätzchenband spielt kubanische Rhythmen, die auch den sich anschließenden Römerpark durchschwingen. Wir wandern in dem Park geradeaus bis zu dem herrschaftlichen Bau der Technischen Hochschule Köln an der Claudiusstraße. Er stammt aus dem Jahr 1907. An seinem Eingang befindet sich seit 2001 das Denkmal „Namen der Autoren“ (11).
Er erinnert an die Bücherverbrennung im Mai 1933 vor dem damaligen Universitätshauptgebäude. Die Namen von den Nazis verfemter Autoren sind mit Schrifteisen in Basaltlavaquader eingelassen. Von dort gehen wir rechts in Richtung der nächsten kleinen Grünanlage: Vom Rand des Friedenspark führt der Oberländer Wall zum Fußgängerweg über das Agrippinaufer (12). Zwei historische Hafenkräne bilden ein Empfangstor und den perfekten Zieleinlauf am Rhein.