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„Zwei Kaffee, bitte!“Tabuthema Inkontinenz – Kölner Therapeutin klärt auf

Lesezeit 4 Minuten
Junge Frau im Café

Physiotherapeutin Luisa Kienle

Was erzählen Menschen, wenn man sie anspricht und zum Kaffee einlädt? Dieser Frage geht Susanne Hengesbach in „Zwei Kaffee, bitte!“ regelmäßig nach.

Frauen meiner Generation sind mit der Maxime „Brust raus – Bauch rein“ groß geworden. Frauen meiner Generation legten sich in die Badewanne, damit die legendäre Levi’s 501 danach hauteng am Körper klebte. Frauen – egal welchen Alters – stehen nach wie vor mit angehaltener Luft vorm Spiegel der Umkleidekabine, wenn sie Hosen anprobieren. Was das Schönheitsideal flacher Bauch anrichten kann, das erfahre ich heute von Luisa Kienle, die mir auf der Körnerstraße begegnet ist. Unser Thema: Inkontinenz.

Die 30-jährige Physiotherapeutin klärt mich darüber auf, dass das, was ich bisher eher für ein Problem von Seniorinnen gehalten habe, alle Altersklassen betrifft. Kienle berichtet von einer 16-jährigen Patientin, „die sich nicht mehr getraut hat, mit ihrem Freund in den Park zu gehen“ – aus Angst, plötzlich müssen zu müssen. Diese sogenannte „Drang-Inkontinenz“ führe nicht nur zu peinlichen Situationen, sondern sei Ursache dafür, dass sich betroffene Frauen kaum mehr vor die Tür wagen. Die Angst vor dem plötzlichen Harndrang ist laut Kienle sowohl ein Stressfaktor als auch Ursache für soziale Isolation. In diesem Bereich aufzuklären und Vorbeugung anzubieten, „dafür brennt mein Herz“.

Studienobjekt Beckenboden

Beim Cappuccino im Café Sehnsucht erzählt die 30-Jährige, dass sie sich im Rahmen ihres Studiums eingehend mit Therapiewissenschaften beschäftigt und dabei erkannt hat, dass sie typische Probleme wie Kreuzband-Reha-Programme wenig interessieren. Umso mehr faszinierte sie stattdessen jener Körperteil, der sich so schwer lokalisieren lässt — deutlich schwerer jedenfalls als ein Fußgelenk: der Beckenboden. Sie fing an, sich intensiv damit auseinanderzusetzen und kam somit auch mit einem Problem in Berührung, das bis heute ein Tabu-Thema darstellt: Harnverlust.

Natürlich spiele Scham in diesem Kontext eine große Rolle, sagt die 30-Jährige, „aber auch Unwissenheit“. Selbst Personengruppen, die für dieses Problem prädestiniert seien, wüssten oft nichts darüber, betont Kienle und zählt einige auf: Kraftsportlerinnen, Basketballerinnen, Tänzerinnen. „Bei Trampolin-Springerinnen liegt die Prävalenz sogar bei 80 Prozent.“ Auch Tennissport und Joggen sei nicht so ideal.

Models gehören zur Risikogruppe

Sehr schlanke Frauen – also auch Models – gehörten zur Risikogruppe. „Weshalb?“, frage ich. Kienle lächelt und erläutert, dass jene Schicht, die unsere inneren Organe trägt und schützt, nicht nur aus Muskelfasern, sondern auch aus Fettgewebe besteht. Somit sei der Beckenboden bei Menschen mit einem geringen Körperfett-Anteil schwächer ausgeprägt. Das wiederum habe nicht selten Folgen in puncto Inkontinenz.

Das Gute an diesem Wissen liegt für Luisa Kienle darin, dass man Inkontinenz durch gezielte Übungen therapieren kann. „Und zwar in jedem Alter!“ Aus diesem Grund sei sie im vergangenen Jahr zu einer frisch eröffneten Praxis im Technologiepark Braunsfeld gewechselt, wo ein großer Trainingsraum zur Verfügung stehe und sie Patientinnen (und ab und zu auch Patienten) anleiten könne.

Öfter mal den Bauch rausstrecken

„Im Grunde weiß man auch gar nicht genau, wo man anspannen oder entspannen soll“, werfe ich ein. Man kenne bestimmte Übungen vielleicht von der Rückbildungsgymnastik nach der Schwangerschaft. Aber danach? Im Fitness-Studio, sage ich, stehe Bauch, Beine, Po auf dem Programm, aber doch nichts für den Beckenboden. Kienle nickt zustimmend und sagt, dass das, was man den Frauen seit jeher mit Blick auf den Bauch eingebläut habe, sogar eher schädigend sei. Wer seinem Beckenboden etwas Gutes tun wolle, ziehe eben gerade nicht den Bauch ein, sondern strecke ihn zwischendurch richtig raus und atmet dabei tief durch.

Ein Plädoyer für die Jogginghose, denke ich und frage, ob andere gängige Ratschläge womöglich ebenfalls in die falsche Richtung führten: Etwa Anspannungs-Übungen während man an der roten Ampel oder in der Supermarktschlange steht.

Keine zu enge Kleidung kaufen

Kienle, die gebürtig aus der Stuttgarter Gegend stammt, unterstreicht, dass „zu viel aktives Anspannen im Alltag“ ähnlich kontraproduktiv sei wie (zu) knappe Kleidung – wobei wir wieder bei der hautengen Levi’s wären und der Tatsache, dass Frauen gerne eine Nummer zu klein kaufen.

Es gibt aus Kienles Sicht aber noch etwas, was man zur Vorbeugung von Inkontinenz beachten sollte: das Trinken. Um möglichst wenig – vor allem nachts – zur Toilette zu müssen, werde vielfach auf das wichtige Glas Wasser verzichtet. Dadurch sei der Urin umso konzentrierter und reize die Blase, was den Harndrang sogar befördere. Der ultimative Ratschlag lautet also nicht: Bauch rein, Brust raus, sondern raus mit dem Bauch und rein mit dem Wasser.