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Kölner Mediziner und Ethiker streitenMuss jetzt die Impfpflicht gegen Corona kommen?

Lesezeit 5 Minuten
Corona-Impfung dpa

Genügend Impfstoff ist mittlerweile in Deutschland verfügbar – auch für eine 3. Impfung von bestimmten Personen. 

Köln – Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich mich in diesem „Streit der Woche“ auf der Gegenseite befunden. Ich habe fälschlich geglaubt, wir bekämen diese Pandemie auch ohne eine Impfpflicht in den Griff. Inzwischen ist klar: Das wird nicht gelingen. Nur hat sich niemand aus der Politik vor der Wahl getraut, das zu sagen. Auch deswegen sind wir da, wo wir jetzt sind.

Im Rückblick muss man sagen: Es hätte noch viel mehr positive Werbung gebraucht, eine noch bessere Überzeugungsarbeit. Selbst ich als Anästhesist und Intensivmediziner muss zugeben, dass ich die ständigen Bilder, wie Menschen die Nadel in den Arm gestochen bekommen, als unangenehm empfinde. Aber erstens helfen solche Eingeständnisse nicht weiter. Und zweitens stehen die Unannehmlichkeiten des Impfens in keinem Verhältnis zu den Folgen einer Corona-Infektion.

Pflicht ist die falsche Kategorie

Es ist ein unglaublicher Segen für die Menschheit, dass es so schnell Impfstoffe gegen dieses tückische Virus gab, die sich inzwischen an Hunderten Millionen Menschen bewährt haben. Etwas Besseres konnte uns gar nicht passieren. Deswegen ist „Pflicht“ im Grunde genommen schon die falsche Kategorie. Es geht ganz einfach um ein Geschenk, das man nicht ablehnen sollte. Umso weniger in einer Situation, in der nicht nur das eigene Leben und das Leben von Familienangehörigen und Freunden auf dem Spiel steht, sondern die Zukunft der Gesellschaft, insbesondere der jungen Generation, und – nicht zu vergessen – die Zukunft der Wirtschaft.

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Bernd Böttiger leitet die Anästhesie an der Uniklinik Köln.

Ohne martialische Metaphern strapazieren zu wollen muss man sagen: Wir befinden uns in einem kriegsähnlichen Zustand. Der tödliche Feind ist das Virus, und wir müssen es besiegen – mit allen Mitteln, wenn wir das Leben ungezählter Menschen und unsere Freiheit retten wollen, die seit bald zwei Jahren massiv eingeschränkt ist.

Nicht das Impfen bedroht unsere Freiheit, sondern die viel zu hohe Zahl der Ungeimpften. Mit der Betonung der individuellen Entscheidungsfreiheit haben wir es leider übertrieben. Die Freiheit des Einzelnen endet nämlich da, wo andere gefährdet sind, und zwar lebensbedrohlich gefährdet. Es hat auch niemand die Freiheit, mit 100 Kilometern pro Stunde durch ein Wohngebiet zu donnern. Das ist verboten, weil es andere gefährdet.

Alle Mittel und Wege müssen genutzt werden

Wir haben Verkehrsregeln, investieren Milliarden in die Fahrzeugsicherheit, so dass in Deutschland weniger als 3000 Menschen pro Jahr im Straßenverkehr sterben. In der Pandemie liegen wir bei inzwischen mehr 100.000 Toten. Und da sollten wir nicht endlich alle Mittel und Wege nutzen, dass es nicht noch viel mehr werden?

Ich erinnere mich noch an die Einführung der Gurtpflicht im Auto. Auch da sprachen die Gegner von einem unzumutbaren Eingriff in die individuelle Freiheit und die körperliche Unversehrtheit. Für manche sinnvolle Verhaltensänderung braucht es eben entsprechende Vorschriften. Gäbe es im Kampf gegen Corona sinnvolle Alternativen, wäre das etwas anderes. Aber es ist nun mal so, dass Impfen die einzige Möglichkeit ist, sich wirkungsvoll zu schützen. Deswegen ist die Impfung der Sicherheitsgurt in der Pandemie, und für eine erhebliche Zahl der jetzt noch Ungeimpften wird die Impfpflicht am Ende eine Entlastung sein, weil ihnen die persönliche Entscheidung vom Staat abgenommen wird.

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Als Arzt, der sich dem Leben verschrieben hat, ist es kaum zu ertragen, dass heute auf den Intensivstationen bis zu 90 Prozent ungeimpfte Patienten liegen, die dort nicht zu sein bräuchten und von denen schon gar nicht ein Drittel bis die Hälfte sterben müssten. Das ist so unnötig, so sinnlos. Wir müssen dem ein Ende setzen. Und auch wenn uns eine allgemeine Impfpflicht aktuell in der vierten Welle nicht hilft, so wäre es doch schlicht unverantwortlich, tatenlos schon jetzt in die fünfte oder sechste Welle zu laufen.

Aufgezeichnet von Joachim Frank

Bernd Böttiger ist Chef-Anästhesist an der Uniklinik Köln.

Contra Impfpflicht: Erhebliche Bedenken

Ob und inwieweit eine über die bestehenden 2G-Regelungen hinausgehende Impfpflicht geboten und verfassungsrechtlich zulässig ist, lässt sich erst dann seriös beurteilen, wenn konkrete Vorschläge vorliegen. Allerdings bestehen erhebliche Bedenken gegenüber der aktuellen Diskussion über eine „allgemeine“ Impfpflicht.

Erstens verfehlt diese infektionsschutzbezogen die aktuelle Notlage. Aus der vierten Welle hilft sie uns nicht. Das gilt schon aufgrund des unvermeidbaren zeitlichen Vorlaufs. Gesetzgebung, Umsetzung und zumal die Impfungen selbst brauchen Zeit. Deshalb dauerte es mehrere Wochen bis Monate, bis die erwünschte Wirkung einträte. Gleichzeitig bindet die Impfpflichtdiskussion Aufmerksamkeit und lenkt von anderen, drängenderen Aufgaben ab.

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Steffen Augsberg ist Professor an der Justus-Liebig-Universität in Gießen.

Insbesondere muss jetzt dringend die Geschwindigkeit beim „Boostern“ erhöht werden, um gerade besonders gefährdete Personen wieder stärker zu schützen. Dieser Prozess würde erschwert, wenn infolge einer staatlichen Anordnung unmittelbar viele Millionen Menschen zusätzlich in das ohnehin überlastete Impfprogramm einzubeziehen wären.

Impfpflicht müsste verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen

Mit dem Fokus auf die „allgemeine“ Impfpflicht werden zudem Fehlentwicklungen der Coronapolitik fortgesetzt. Das betrifft namentlich den Versuch, anstelle von differenzierten, risikoangepassten Maßnahmen solche zu wählen, die vordergründig für alle Menschen gleich gelten – sie letztlich aber je nach individueller und sozialer Situation sehr unterschiedlich belasten.

Eine umfassendere Impfpflicht müsste zweitens verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen, also insbesondere verhältnismäßig sein. Das lenkt – auch vor dem Hintergrund der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte formulierten Anforderungen – den Blick auf die Probleme der Impfkampagne. Wurde wirklich alles getan, um mit niedrigschwelligen und aufsuchenden Angeboten eine größere freiwillige Impfbereitschaft zu erreichen?

Bei Kindern dürfte der Bogen des Zulässigen überspannt sein

Dagegen sprechen schon erkennbare regionale Unterschiede. Im Übrigen ist für die verfassungsrechtliche Beurteilung unter anderem relevant, wer in den Kreis der Impfpflichtigen einbezogen wird, welche Impfungen umfasst und welche Sanktionen vorgesehen sind. Konkrete Zielsetzungen müssten offengelegt und erläutert werden. So macht es etwa einen erheblichen Unterschied, ob es primär um Fremd- oder zumindest auch um Selbstschutz geht. Jedenfalls wenn Minderjährige und Kinder einbezogen würden, dürfte der Bogen des Zulässigen überspannt sein.

Drittens ist die Debatte zumindest in der Form, wie sie momentan geführt wird, unter demokratischen Aspekten problematisch. Die unkluge Festlegung der Politik, es werde keine Impfpflicht geben, lässt die jetzige Kehrtwende als Wortbruch erscheinen.

Vertrauen in Impfkampagne sinkt

So sinkt das gerade für die wichtige Impfkampagne so bedeutsame Vertrauen. Erschwerend hinzu tritt eine oft nicht nur sachlich-kritische, sondern abwertende Behandlung der jeweiligen Gegenseite. Das schadet nicht nur dem gemeinsamen Anliegen, die Pandemie zu überwinden, sondern beschädigt unsere demokratische Diskurskultur.

Steffen Augsberg ist Professor für Öffentliches Recht an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitglied im Deutschen Ethikrat.