AboAbonnieren

„Dramatische Folgen“Medizinerin über Auswirkungen der Pandemie auf Krebserkrankungen

Lesezeit 6 Minuten
211338580

Die frühzeitige Diagnose von Krebs ist von enormer Bedeutung (Symbolbild).

  1. Prof. Christiane Bruns ist Direktorin der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Tumor- und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Köln.
  2. Zu Beginn der Pandemie hätten die Menschen aus Angst vor einer Ansteckung darauf verzichteten, einen Spezialisten aufzusuchen. Welche Folgen das hatte, erklärt sie im Interview.
  3. „Eine frühzeitige Diagnose kann es möglich machen, Krebs chirurgisch zu heilen“, sagt sie.

KölnProf. Bruns, Vertreter der Deutschen Krebshilfe haben schon zu Beginn der Corona-Pandemie darauf hingewiesen, dass Krebspatienten durch die Corona-Maßnahmen in lebensbedrohliche Situationen geraten können. Wie haben Sie das in Ihrer Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Tumor- und Transplantations-Chirurgie an der Uniklinik Köln erlebt? Wir befassen uns mit großen onkologischen Operationen solider Tumore – so werden Neubildungen von Gewebe bezeichnet. Die OPs betreffen hauptsächlich den Gastro-Intestinaltrakt, also den Verdauungstrakt. Dazu gehören vor allem Operationen der Bauchspeicheldrüse, der Speiseröhre, des Magens, des Darmes und der Leber. Natürlich stand in den ersten Pandemiewellen die Versorgung der schwer an Covid-19-Erkrankten absolut im Fokus in der Uniklinik Köln ebenso wie in allen anderen Krankenhäusern. Intensivbetten und OP-Saal-Kapazitäten standen für die Behandlung anderer schwerer Erkrankungen wie Krebs nicht zur Verfügung. Patientinnen und Patienten, die mit der Bitte um eine chirurgische Behandlung zu uns kommen wollten, mussten warten.

Wenn Sie auf die zurückliegenden 24 Monate schauen: Wie hat sich Corona auf die Versorgung der Krebspatienten ausgewirkt?

Da fällt der Blick zunächst auf die erste, zweite und dritte Welle 2020 und zu Beginn des Jahres 2021. In dieser Phase haben sich viele Menschen gescheut, zu ihren behandelnden Fachärzten beziehungsweise zu ihren Hausärzten zu gehen. Das hatte zum Teil dramatische Folgen. Patienten kamen mit fortgeschrittenen Erkrankungen zu uns, bei denen oftmals eine direkte operative Versorgung nicht mehr möglich war. Oder wir haben Patienten, die wir eigentlich hätten operieren können, gar nicht mehr gesehen, weil sie bereits in einer onkologischen Behandlung waren, da der Tumor gestreut und Metastasen gebildet hatte.

War eine verspätete Diagnostik das Hauptproblem?

Ja. Aus Sorge vor einer möglichen Ansteckung mit dem Coronavirus haben die Menschen Termine beim Gastroenterologen zum Beispiel für eine Darmspiegelung oder für eine CT-Untersuchung in einer radiologischen Praxis Wochen, manchmal sogar Monate hinausgeschoben. Oder Beschwerden wurden nicht ernst genommen oder verharmlost. Das hat dazu geführt, dass nachweislich mehr Patienten an bestimmten Tumorerkrankungen gestorben sind.

Zur Person

Ärztin Weltkrebstag

Prof. Christiane Bruns

Prof. Christiane Bruns ist seit 2016 Direktorin der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Tumor- und Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Köln. Zu den Schwerpunkten der Chirurgin und Hochschullehrerin gehört in erster Linie die onkologische Chirurgie an den Verdauungsorganen. Die Uniklinik Köln arbeitet insbesondere im Bereich der Magen- und Speiseröhrenchirurgie auf Exzellenz-Niveau. Christiane Bruns ist stellvertretende Direktorin des CIO, „Centrum für Integrierte Onkologie“, Direktor ist Prof. Michael Hallek. Bruns wurde Ende 2019 in die Leopoldina, die nationale Akademie der Wissenschaften, gewählt. Im vergangenen Jahr zeichnete sie das „American College of Surgeons“, die größte Organisation von Chirurginnen und Chirurgen weltweit, mit der Ehrenmitgliedschaft aus. (mos)

Welche Krebsarten betrifft das besonders?

Ich möchte es an zwei Beispielen, dem Bauchspeicheldrüsen- und dem Darmkrebs, deutlich machen. Beim Pankreaskarzinom gibt es folgende Situation: Die Patienten bekommen zu 80 Prozent Bauchspeicheldrüsenkrebs im Bauchspeicheldrüsenkopf. Ein Indikator dafür ist, dass die Betroffenen eine Gelbsucht bekommen, weil etwas wächst, was auf den Gallengang drückt. Weitere Anzeichen sind starker Juckreiz am ganzen Körper und eine Gelbfärbung in den Augen. Die meisten Betroffenen gehen zunächst zum Gastroenterologen, nicht zum Chirurgen.

Der Schritt zum Spezialisten klingt logisch. Ist das nicht richtig?

Doch, aber mit der symptomatischen Behandlung der Gelbsucht durch Einlage eines Stents über die sogenannte ERCP, eine endoskopisch-radiologische Untersuchung der Gallengänge und des Pankreasganges, ist es nicht getan. Weitere Diagnostik wie beispielsweise die Computertomographie ist notwendig, um die Ursache der entstandenen Gelbsucht – nämlich den Tumor im Bauchspeicheldrüsenkopf – rasch zu entdecken und dann zeitnah zu operieren. In der Pandemie sind Patienten nach der Behebung der Symptome erst viel später zu weiteren Untersuchungen gekommen. Das hat leider dazu geführt, dass wir beim Bauchspeicheldrüsenkrebs öfter fortgeschrittene Tumorstadien gesehen haben. Ähnliches gilt für hinausgeschobene Dickdarmspiegelungen. Dadurch kamen teilweise Patienten mit Darmkrebs zu uns, der beispielsweise schon in die Leber gestreut hatte.

Ist die Erkrankung Krebs in der Corona-Pandemie etwas unter die Räder gekommen?

Im Verlauf der Pandemie sind Krebs- oder kardiovaskuläre Erkrankungen tatsächlich im öffentlichen Bewusstsein in den Hintergrund getreten. Bei uns Ärztinnen und Ärzten natürlich nicht. Auch Vertreter der Deutschen Krebsgesellschaft haben mehrfach öffentlich dazu aufgefordert, diese Erkrankungen nicht zu vergessen und sie in der gesamten pandemischen Situation nicht so weit hinten anzustellen.

Es war auch die Rede davon, dass die Coronawellen eine Bugwelle von Operationen auslösen würde. Mussten Sie in Ihrer Klinik viele planbare Operationen verschieben? Wie sah es in den Spezialsprechstunden aus?

Zu Beginn der Pandemie kamen weniger Patientinnen und Patienten in die Spezialsprechstunden. Im Jahr 2021 und aktuell ist die Frequenz so hoch wie üblich. In der Speiseröhrenkrebs-Chirurgie zum Beispiel haben wir im vergangenen Jahr mit etwa 220 Operationen mehr Patienten denn je operiert. Auch 2020 gab es trotz Corona 180 Speiseröhrenkrebs-OPs.

Warum ist so etwas wie der Weltkrebstag wichtig?

Er schafft Aufmerksamkeit. Nach zwei Jahren Pandemie ist es unerlässlich, jetzt einen Akzent zu setzen. Es muss noch viel mehr über Krebserkrankungen erzählt, und das Thema noch intensiver in die Öffentlichkeit getragen werden. Es muss klarer kommuniziert werden, dass Krebs in den Jahrzehnten eine der führenden und dominierenden Erkrankungen weltweit sein wird.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wie lässt sich in Zukunft ein besserer Umgang mit der Erkrankung erzielen?

Dazu gehört in meinen Augen das klare Verständnis, dass Krebserkrankungen nicht uniform, nicht gleichförmig behandelt werden können. Auch nicht, wenn es sich um dieselbe Erkrankung handelt. Magen- oder Speiseröhrenkrebs ist bei jedem Patienten individuell anzugehen. Jede Patientin und jeder Patient hat eine andere Tumorbiologie. Die Erkenntnis, dass man den Krebs nicht generalisiert behandelt, erfordert einen hohen logistischen und diagnostischen Aufwand. Das kann uns in Zukunft womöglich bei der Therapie der Erkrankung entscheidend weiterbringen.

Wie wichtig ist die Vorsorge?

Geradezu überlebenswichtig. Alle Vorsorgeprogramme für Darmkrebs, Brustkrebs und Prostatakrebs sollte jede und jeder unbedingt wahrnehmen. So lassen sich Tumore in einem frühen Stadium erkennen, und es eröffnet sich die Möglichkeit, diese Krebserkrankung womöglich zu heilen. In verspäteten oder gestreuten Stadien ist das nicht mehr möglich, dann kann man nur Lebenszeit verlängern und Lebensqualität erhalten. Eines der Hauptpräventionsprogramme für die Zukunft muss sein: Übergewicht vermeiden oder abzubauen. Es zählt wie Rauchen und Alkoholtrinken zu den entscheidenden Treibern für Krebserkrankungen.

Wo sind Sie am Weltkrebstag?

Im Operationssaal, wie an jeden anderen Arbeitstagen auch.

Man spricht bei der Behandlung von Krebs von einem multimodalen Therapie-Setting, zu dem unter anderem Chemo- und Strahlentherapien zählen. Wo sehen Sie als Krebschirurgin die Operationen in diesem Setting?

Viel zu selten wird registriert, dass gerade die soliden Tumore, selbst in fortgeschrittenen Stadien, zu über 80 Prozent chirurgisch behandelt werden. Mit einer Operation können Krebschirurgen bei einigen soliden Tumorerkrankungen die gesamte sichtbare und tastbare Tumormasse entfernen. Dies als positiv zu erkennen und gerade an einem Weltkrebstag zu verinnerlichen, wäre für uns Krebschirurgen sehr wichtig. Die Krankheit dahinter, die Biologie der Erkrankung, können wir mit dem Skalpell nicht lösen, aber wir können das Tumorgewebe binnen kürzester Zeit reduzieren und damit zum Teil ganz andere Überlebenschancen schaffen. Das gilt für alle Krebserkrankungen aus unserem Bereich. Vom Mundboden bis zum Enddarm einschließlich der Organe wie Leber, Bauchspeicheldrüse und Bauchfell. Jede Operation geschieht mit Augenmaß und im Verbund. Und noch einmal der Hinweis: Eine frühzeitige Diagnose kann es möglich machen, Krebs chirurgisch zu heilen. Je später sie gestellt wird und je größer der Tumor ist, desto komplexer wird die Operation.