Kölner Nonne und Pfarrer im Interview„So wird Missbrauch Tor und Tür geöffnet“
- Im Interview erläutern die Priorin des Kölner Klosters der Benediktinerinnnen, Sr. Emmanuela, und der Kölner Pfarrer Thomas Frings, wie die katholische Kirche auf den Pfeilern von Gehorsam und Opfer ein menschenunfreundliches System aufgebaut hat.
- Sie plädieren für den aufgeklärten Ungehorsam und erklären, warum Niedergang und Kirchenspaltung nicht aufzuhalten sind.
- Und warum es nur folgerichtig ist, dass die Institution Kirche ein Problem mit Missbrauch hat.
Köln – Sie haben in Ihrem gemeinsamen Buch „Ungehorsam - Eine Zerreißprobe“ die Geschichte von Abraham, der seinen Sohn Isaak Gott opfern soll, und Gott wortlos gehorcht, gemeinsam umgeschrieben. Was hat Sie an der Geschichte so provoziert?
Thomas Frings: Es war eine innere Empörung, dass der Junge den Mund nicht aufmacht. Der war ja kein Kind mehr, das sich opfern lässt. Er war 36 Jahre alt. Bei mir widerspricht Isaak vehement. Er ist wütend, dass Abraham nicht eine Silbe des Zweifels äußert. Und Abraham begreift, dass falsch ist, was hier gerade läuft.
Sr. Emmanuela: Ich wollte Sara die Stimme einer starken Frau geben. Sie hat ein Problem mit der Idee, dass der Mensch Gott etwas opfern soll. Der Text hat mich immer schon provoziert. Fordert Gott wirklich Gehorsam und Opfer von Abraham? Fordert er von Jesus, dass der sich für die Sünden der Menschen opfert? Ich hatte das Gefühl, das kann nicht sein. Beim Schreiben haben wir gemerkt, wie präzise die Geschichte mit dem Gehorsam und dem Ideal des Opfers die aktuelle Situation trifft.
Frings: Uns wurde klar, wie viel die Kirche mit Gehorsam und Willen Gottes argumentiert und so Druck ausübt. Ich fand vor 36 Jahren großartig, bei der Priesterweihe vor dem Bischof zu knien. Man legt die Hände in seine Hände. „Versprichst du mir und meinen Nachfolgern Ehrfurcht und Gehorsam?“, heißt es. Man übergibt sein Leben nicht Gott, sondern einem anderen Menschen und dessen Nachfolger. Dann wird suggeriert, das ist Gott, der das tut, in dir. Ungeheuerlich, wie eine Institution da etwas aufgebaut hat und mit Menschen umgegangen ist.
Sr. Emmanuela: Für mich hat das etwas Perfides. Im Kloster gibt es ein ganz anderes Verständnis von Gehorsam. Für mich als junge, selbstbewusste Schwester, war das Gehorsamsgelübde nur möglich, weil da kein Mensch stand, der etwas von mir forderte. Zwischen dem Altar und mir war nichts.
Wenn Opfer und Gehorsam in der Rezeption der Bibel so tief verankert ist – liegt da nicht der Kern des Problems der katholischen Kirche heute?
Sr. Emmanuela: Top-Down-Gehorsam trägt immer den Keim von Missbrauch. Tief drin sind Opfer und Gehorsam subtil miteinander gekoppelt. Dabei besteht die Bibel aus Geschichten der Überwindung unmöglichster Situationen. Sie ist voll mit Botschaften der Resilienz. Die müssen wir freilegen, statt die Menschen konform mit der Institution zu machen.
Warum kommt Ihr Plädoyer gegen den unbedingten Gehorsam genau jetzt?
Frings: Weil es in den Zeitgeist passt. In der Kirche wird immer vor dem Zeitgeist gewarnt. Ich bin dankbar für den Zeitgeist, weil er die Erkenntnis bringt, was falsch läuft. Die Erscheinungsform dieser hierarchischen Institution ist dem Menschen des 21. Jahrhunderts nicht mehr vermittelbar.
Sr. Emmanuela: Dabei gibt es ja in der Kirche mit den Klöstern auch einen demokratischen Strang: Wir wählen die Oberin auf Zeit, haben Gewaltenteilung und ein anderes Gehorsamsverständnis. Diese alternative Form ist viel älter als die feudale Form der Institution Kirche. Die Lösung kann nur sein, dass die Kirche das mit der Beteiligung aller erst mal wirklich ernst nimmt und neue Formen entwickelt.
Gäbe es solche Reformen, müsste die Kirche in Gestalt von Priestern, Bischöfen und Kurie Macht aufgeben. Es wäre das erste hierarchische System, das aus Selbsterkenntnis Machtverzicht übt…
Frings: Stattdessen gibt es jetzt die nächste Sitzung des Synodalen Wegs. Da gibt es noch nicht mal eine Mehrheit aller Abstimmenden. Selbst wenn 100 Prozent der Laienvertreter für etwas sind, ist das keine Mehrheit. Die gibt es nur, wenn zwei Drittel der Bischöfe für etwas sind. Es wird suggeriert, wir sprechen auf Augenhöhe. Aber das ist ja keine.
Warum sind denn Laien unter diesen Bedingungen überhaupt bereit, mitzumachen?
Sr. Emmanuela: Wir beide würden nicht mitmachen. Die, die mitmachen, halten weiter krampfhaft an der Hoffnung fest, es verändert sich so etwas in der Institution. Ich persönlich glaube das nicht.
Frings: Diese Hoffnung habe ich auch nicht mehr.
Was denken Sie wie der Weg der Kirche weitergehen wird?
Sr. Emmanuela: Die Kirche ist auf dem Weg in eine Spaltung. Sie wird eine Schicht abwerfen und es werden völlig neue Formen entstehen. Jede Form von Christentum ist Christentum. Austritt ist ohnehin ein deutsches Phänomen, das an der Kirchensteuer hängt. Auch innerhalb der katholischen Kirche werden Orte der Spiritualität übrigbleiben. Aber es wird viel Struktur zerbrechen. Letztlich nützt es einem Bischof nichts, wenn er alleine übrigbleibt.
Frings: Veränderungen kommen zustande, wenn Personal und Geld fehlen. Beides hatten wir noch lange genug, deswegen konnten die Leute ruhig gehen. Das wird jetzt anders. Ich weiß um die Gefährlichkeit des Vergleichs, aber ich habe das Gefühl in der Kirche sind wir nicht im Herbst 1944, sondern schon im Frühjahr 1945 - und die Verantwortlichen in der Heeresleitung haben keine Alternative als den Endsieg. Die können nur dran festhalten, am Ende gewinnen wir. Denn was ist die Alternative? Es gibt keine. Nach dem 8. Mai 1945 gab es vier Jahre gar nichts. Es gab keine Regierung, nur Besatzungszonen und fremde Mächte. Dann erst wurde allmählich was Neues konstituiert. Ich glaube, dass uns etwas Ähnliches bevorsteht. Es gibt keinen gleitenden Übergang in ein anderes System. Es gibt die Katastrophe und dann gibt es eine Pause, bis etwas Neues aufbricht.
Was ist, wenn der Papst sagt, Kardinal Woelki bleibt Erzbischof von Köln?
Sr. Emmanuela: Für uns hier im Kloster ist das nicht wirklich relevant, wer Erzbischof von Köln ist. Aber draußen werden die Menschen nochmal in Scharen davonlaufen und sich andere Orte suchen. Aber es werden auch viele erkennen, dass es auch für sie letztlich nicht relevant ist. Sie werden einfach tun, wovon sie überzeugt sind.
Dass keine homosexuellen Paare gesegnet werden sollen, dass keine Frauen Priester werden können – all das wird damit begründet, dass es dem Willen Gottes entgegenstehe. Ist es nicht eine ungeheure Hybris der Amtsträger, zu glauben, sie hätten qua Amt als Mensch die Deutungshoheit über den Willen Gottes?
Sr. Emmanuela: Das halte ich für die Hybris schlechthin. So wird Missbrauch Tor und Tür geöffnet, weil Menschen mit unwiderlegbaren Argumenten versuchen, anderen eine Sicht oder ein Verhalten aufzunötigen. Kein Mensch kann von sich sagen, ich weiß, was der Wille Gottes ist. Viele Priester segnen regelmäßig homosexuelle Paare. Verändern kann ich nur, wenn ich den Mut habe, Dinge einfach zu tun. Man wird den Niedergang nicht mehr aufhalten, indem man ständig versucht, dem Erzbischof oder dem Papst die Meinung zu sagen. Die Wiederholung bringt nichts, weil die Antwort ja immer die gleiche ist. Ich ermüde nur. Dann muss die Kirche eben gegen die Wand fahren und dann wird man sehen, wo die Relevanz der Botschaft ist.
Hat es Sie erstaunt, dass eine Glaubenserzählung, die auf Gehorsam und Opfer fußt, ein Missbrauchsthema bekommt?
Frings: Rückblickend nicht. Vor 15 Jahren hätte ich widersprochen. Heute weiß ich es besser. Es entsteht eine Atmosphäre in einer solchen Gruppierung, die so sehr auf Gehorsam und Hingabe fußt und in ihre Führungsgremien nur unverheiratete Männer lässt. Wenn die dann im Gehorsam nach oben ineinander gebunden sind, entsteht eine Situation, in der ein Schutz dieser Führungsgruppe untereinander vorhanden ist, dem alles andere geopfert wird. Auch die Kinder. Ich habe es aber leider auch erst verstanden, als ich mit der Nase drauf gestoßen wurde.
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Sr. Emmanuela: Das ist die Dynamik der Vertuschung. Gleichzeitig werden bei diesen Idealen menschliche Themen einfach abgespalten und können sich in der Überidealisierung verselbstständigen.
Sie spielen an auf den Umgang mit Sexualität...
Frings: Es gibt ja schon eine Schwierigkeit, allein nur über Sexualität zu reden. Wir haben keine, fertig.
Sr. Emmanuela: In einem Dokument des Zweiten Vatikanums über das Priestertum steht, dass es darum geht, diese Impulse vollständig abzutöten, es soll sie einfach nicht mehr geben. Was für eine Einstellung!
Frings: Wenn du lange genug übst, hört der Hunger auf. Dann kannst du ohne. Das ist die Botschaft, die uns vermittelt wurde. In der Priesterausbildung gab es eine Woche, in der das Thema besprochen wurde, die so genannte Zöli-Woche. Schon damals war die Zahl an Homosexuellen unter den Priesteramtskandidaten erstaunlich hoch. Aber glauben Sie, dass das ein Thema im Priesterseminar wäre – weder damals noch heute? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
Sr. Emmanuela: Mein Vorschlag wäre, an den Zölibat ganz anders – nämlich umgekehrt – ranzugehen: Dass man nur noch mit einer Sondererlaubnis ein Zölibatsversprechen ablegen darf. Es ist in seinem Kern eine klösterliche Lebensform. Dazu gehört aber auch Gemeinschaft, Austausch und vieles mehr. Die meisten Priester sitzen dagegen irgendwo alleine und sollen das dann leben. Das ist doch unrealistisch. Ich finde, dass das freigestellt werden sollte.
Frings: Wenn alle Priester, die in einer Beziehung leben, ihres Amtes enthoben würden, dann würde die Seelsorge innerhalb von 24 Stunden kollabieren. Das wissen auch die Bischöfe.
Zum Abschluss noch mal zurück zu Isaak und Abraham. Was ist Gehorsam 2.0 als Modell für die Kirche von heute?
Frings: Isaak musste lernen, dass sein Ungehorsam dazugehört zum Reifungsprozess. Abraham musste lernen, dass Gehorsam nicht heißt, zu tun, was einem gesagt wird, sondern auch darüber nachzudenken, ist das richtig, was da verlangt wird. Und es vielleicht am Ende nicht zu tun. Gott hat uns ein Gehirn gegeben, mit dem wir nachdenken und erkennen können, wie wir es machen sollen. Wenn wir ständig von Dialog und Augenhöhe sprechen, geht das schlecht mit Leuten, die Gehorsam gelobt haben.
Sr. Emmanuela Kohlhaas und Thomas Frings haben das Buch „Ungehorsam - Eine Zerreißprobe“ (Herderverlag, 22 Euro) veröffentlicht. Sr. Emmanuela ist Priorin des Benediktinerinnenklosters in Raderberg, das sich gegen den Trend über regen Zulauf freut. Thomas Frings, Großneffe von Kardinal Frings, wurde als „Protest-Pfarrer“ bekannt, als er 2016 als Gemeindepfarrer ausstieg. Derzeit arbeitet er im Team von St. Michael im Belgischen Viertel, wo im Projekt „Kirche für Köln“ Laien neue Seelsorgeformen entwickeln.