Köln – Macht, Machtmissbrauch, sexuelle Gewalt – es waren wahrlich keine leichten Themen für die Besucher der phil.cologne in der Comedia. „Es ist ein ungewöhnlicher Abend für ein Philosophie-Festival, weil es um die katholische Kirche geht“, leitete Moderatorin Christiane Florin, Redakteurin beim Deutschlandfunk, die Podiumsdiskussion ein. Knapp zwei Stunden diskutierten Theologin Doris Reisinger, Historiker Prof. Thomas Großbölting, DuMont-Chefkorrespondent Joachim Frank und Oliver Schillings, Sprecher des Erzbistums Köln, lebhaft und kontrovers über die Kirche und den Missbrauchs-Komplex.
Joachim Frank, der seit mehr als 20 Jahren journalistisch über kirchliche Themen schreibt, bezeichnete das Jahr 2010, als immer mehr Missbrauchsfälle in der Kirche bekannt wurden, als einen Wendepunkt: „Zum ersten Mal sprach man von systemischen Ursachen.“ Statt um „Einzelfälle“ sei es um das „System Kirche“ gegangen.
Enthüllungen als Gefahr für die Kirche
Auch für Doris Reisinger, war das Jahr 2010 ein wichtiger Moment. Sie lebte damals in einer katholischen Ordensgemeinschaft und hat später ihre eigenen Missbrauchserfahrungen aus dieser Zeit öffentlich gemacht. In der Ordensgemeinschaft seien die Enthüllungen zuallererst als Gefahr für die Kirche angesehen worden. „Es ging nicht um die Betroffenen, sondern darum, dass der Kirche als Institution nichts passiert.“ Das erlebe Reisinger auch heute noch in ihrer Forschungsarbeit. „Es ist empörend, dass die kirchliche Fürsorge nicht den Opfern gilt, die in der Kirche Leid erfahren haben.“
Dazu passe nach Ansicht von Moderatorin Florin, dass das Erzbistum Köln 2010 in all seinen Kirchen eine Broschüre zum Thema Missbrauch ausgelegt hat, in der der damalige Kardinal Joachim Meisner „Ehrlichkeit und Offenheit“ versprach. In der Broschüre stand, dem Erzbistum Köln sei nur ein einziger Fall aus den 1970er Jahren gemeldet worden. Der mutmaßliche Täter war bereits tot.
„Das ist glatt gelogen“
„Hat die Broschüre, hat der Kardinal damals gelogen? War 2010 wesentlich mehr bekannt, als da stand?“, fragte Moderatorin Florin. Das habe das Gutachten des Strafrechtlers Björn Gercke aus dem März 2021 belegt, antwortete Bistumssprecher Schillings: „Gehen Sie davon aus, dass das auch der Kardinal damals wusste.“ Joachim Frank ergänzte: „Das Narrativ dieser Broschüre war: Das mag woanders so gewesen sein, aber bei uns in Köln nicht. Wir haben ganz andere Zahlen. Das ist glatt gelogen.“
Thomas Großbölting berichtete in dem Zusammenhang von seiner Arbeit als Leiter einer interdisziplinären Forschergruppe, die im Auftrag des Bistums Münster den Umgang mit sexuellem Missbrauch seit 1945 aufarbeitet. „Wir bekommen unser Wissen über Missbrauch in der Vergangenheit aus den Personalakten des Bistums.“ Die Taten seien aktenkundig und verhandelt worden. Schon in den 1980er und 90er Jahren hätten die Kirchenoberen von den Taten gewusst.
Priester stehen über Laien
Im Laufe der Diskussion ging es um die systemischen Ursachen, die mitverantwortlich für den sexuellen Missbrauch in der Kirche sind. Neben einem „Männerbündnis“ nannte Großbölting das Machtgefälle zwischen Laien und Priestern und sprach in dem Zusammenhang von einer „Priesterkaste“. „Priester stehen über den Laien. Für sie gelten andere Rechtsauffassungen“, pflichtete Reisinger ihm bei. So galt der Missbrauch eines Kindes bis vor kurzem lediglich als Zölibatsverstoß. „Die katholische Sexualmoral ist mitverantwortlich für den sexuellen Missbrauch in der Kirche“, sagte Reisinger. Sex, der nicht in der Ehe zur Zeugung eines Kindes stattfindet, sei dieser Moral zufolge eine schwere Sünde, die gebeichtet werden müsse.
Uneinig war sich das Podium in der Frage Reisingers, ob die Bischöfe die Richtigen seien, um die Missbrauchsfälle aufzuklären. Großbölting und Reisinger verneinten das klar, während Schillings auf ein „großes Maß an Unabhängigkeit“ pochte, wenn ein Strafrechtler ein Gutachten erstellt. Joachim Frank schlug eine Wahrheitskommission vor, die „völlig unabhängig“ von der Kirche agiere. Großbölting könnte sich vorstellen, dass eine Staatsanwaltschaft auch ein Generalvikariat durchsuchen könne, wie es analog auch bei Konzernen passiere. Für diesen Vorschlag erntete der Historiker viel Applaus.
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Zum Abschluss fragte Moderatorin Florin die Podiumsgäste, wie sie als Papst oder Päpstin in Bezug auf die Situation in Köln entscheiden würde. Reisinger würde eine komplett neue Kirchenverfassung und ein neues Kirchenrecht aufstellen – von heute auf morgen. Großbölting würde als Papst zurücktreten. Und Joachim Frank schlug vor: „Lasst die Leute im Bistum abstimmen und fragt die Betroffenen, was sie sich wünschen.“