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Kirchenrechtler zu Missbrauchsgutachten„Falsche Behauptungen werden zum Persilschein“

Lesezeit 4 Minuten
Thomas Schüller

Thomas Schüller erhebt Vorwürfe gegen das Erzbistum Köln.

  1. Thomas Schüller ist Professor für Kirchenrecht und Direktor des Instituts für Kanonistik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
  2. Er sieht im vorgestellten Gutachten zum Missbrauchsskandal im Erzbistum Köln vor allem eins: Ausflüchte.
  3. Ein Gastbeitrag.

Eines von zwei Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln liegt nun auf dem Tisch. Hat die von Kardinal Rainer Woelki beauftragte Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger ihren Auftrag erfüllt?Handwerklich solide werden die Normen des staatlichen und kirchlichen Rechts zum Umgang mit sexuellem Missbrauch präsentiert. Nachvollziehbar werden fünf Pflichtenkreise als Untersuchungsraster entwickelt. Damit gelingt es, den Kardinälen Joseph Höffner und Joachim Meisner, den Generalvikaren Norbert Feldhoff, Dominik Schwaderlapp und Stefan Heße, Offizial Günter Assenmacher sowie Personalchef Ansgar Puff und einer Bistumsjustiziarin Pflichtverletzungen in unterschiedlichem Grad und Umfang nachzuweisen. Ein Versprechen Woelkis wird damit eingelöst. Soweit, so gut. Bei genauer Analyse des Gutachtens und seiner Präsentation bleiben Fragen und entstehen Fragwürdigkeiten.

Die Opfer sexualisierter Gewalt kommen nicht in den Blick. Gerade mal auf vier Seiten wird über Opferfürsorge nachgedacht. Die, um die es geht und denen schlimmstes Unrecht angetan wurde, bleiben im Dunkeln, sind den Gutachtern kein Wort wert.

Befremdlich und unterkomplex

Der Prüfungsauftrag hatte drei Dimensionen: die rechtliche Begutachtung nach (1) staatlichem und (2) kirchlichem Recht sowie (3) mit Blick auf das kirchliche Selbstverständnis. Die rechtliche Analyse wird geliefert, das Selbstverständnis der Kirche hingegen komplett ausgeblendet. Auch wenn Juristen für Theologie so wenig kompetent sind wie für „Kieferchirurgie“ (Gercke), kann man kirchliches Recht nicht von den dahinter stehenden theologischen Grundentscheidungen trennen. Die Einlassung Gerckes, rechtliche Analyse geschehe im wertfreien Raum, wirkt daher befremdlich und unterkomplex.

Ein methodischer Mangel ist der Verzicht auf die Expertise der langjährigen Opferbeauftragten Christa Pesch und des früheren Interventionsbeauftragten Oliver Vogt, die beide in der Zeit tätig waren, als dem Erzbistum die Mehrzahl aller Missbrauchsfälle gemeldet wurden.

Gerckes Einlassung, ihre Befragung hätte das Ergebnis verfälscht, ist ein Ablenkungsmanöver. Wenn die Akten, auf denen das Gutachten basiert, nach Aussage des Gutachters defizitär geführt waren, dann führt dies doch erst recht zu potenziell verfälschten und nur bedingt validen Ergebnissen. Von daher hätte man zwingend mit zwei so wichtigen Zeitzeugen der jüngsten Bistumsgeschichte reden müssen.

Unkenntnis der Normen schützt vor Sanktionen nicht

In weiten Teilen wirkt das Gutachten wie eine gut inszenierte Verteidigung, die Akteure entschuldigt, wo immer es geht. Ein Mantra lautet: Die Entscheidungsträger besaßen keine Kenntnis der komplexen kirchenrechtlichen Normen, es existierten unklare Zuständigkeiten, und niemand wurde auf seinen Leitungsdienst vorbereitet. Dem ist zu entgegnen: Unkenntnis der Normen schützt vor Sanktionen nicht. Bei Mitarbeitern im Laienstand, die Straftaten begangen, wusste man überdies sehr genau, wie arbeitsrechtlich und strafrechtlich zu sanktionieren war. Und dies soll bei Klerikern völlig anders gewesen sein?

Zudem: Zwar sind die einschlägigen kirchenrechtlichen Normen aus dem 20. Jahrhundert und auch dem Jahr 2001 zunächst tatsächlich nicht allgemein publiziert worden. Aber jeder Bischof und jeder Generalvikar hatte sie in seinem Schrank. Seit 2010 stehen die Normen im päpstlichen Gesetzgebungsblatt. Die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz wurden seit 2002 in den Amtsblättern der deutschen Diözesen veröffentlicht. Natürlich bedürfen diesen komplexen Normen der Auslegung, aber dies gilt auch für das staatliche Strafrecht.

Weihbischöfe weniger unbedeutend, als dargestellt

Die Behauptung im Gutachten, die kirchenrechtlichen Strafnormen seien widersprüchlich und in weiten Teilen nicht anwendbar gewesen, ist ein Schlag ins Gesicht der kirchlichen Gesetzgeber (Päpste und Bischöfe) und wird deren Bemühen um Rechtsklarheit noch nicht einmal im Ansatz gerecht. Auch hier wird deutlich, dass falsche Behauptungen im Gutachten zu Persilscheinen für die Vertuscher werden.

So lässt es sich auch erklären, dass nonchalant die diversen Weihbischöfe aus dem Kreis derer ausgeschlossen werden, den pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen wäre. Geradezu grotesk werden sie zu subalternen, unbedeutenden Randgestalten. Tatsächlich sind Weihbischöfe kirchenrechtlich Ordinarien, haben jurisdiktionelle Kompetenzen und sind im Erzbistum Köln bestimmten Regionen zugeteilt.

Woelki meldete Pfarrer O. pflichtwidrig nicht nach Rom

Wenn dort Missbrauchsfälle bekannt wurden, erfuhren sie davon und berieten in den internen Runden den jeweiligen Erzbischof bei dessen Personalentscheidung. Woelki als Weihbischof war daher auch ein aktiver Mitwisser und müsste die Frage beantworten, ob er Kardinal Meisner bei dessen Vertuschung unterstützt hat. Im Gutachten dazu: Ausflüchte.

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Und Woelki als Kardinal? Er wird freigesprochen und stilisiert sich nun – mit der Freistellung zweier Weihbischöfe und des Offizials – als Held der Aufklärung und Bestrafung Dritter. Doch es bleibt dabei: Den Fall des mit ihm befreundeten Pfarrers O. hat er pflichtwidrig nicht nach Rom gemeldet. Wenn Gercke im Gutachten das Gegenteil behauptet oder in der Pressekonferenz davon sprach, dass er und „der Heilige Stuhl“ zur gleichen Auffassung gekommen seien, beweist er, dass er seinen Mandaten schützen will.

Und wo bleibt die Entschuldigung bei seinem Betroffenenbeirat für dessen Instrumentalisierung bei der Nichtveröffentlichung des Münchner Gutachtens? Wenn Gercke, der Jurist, sagt, er habe mit dem Evangelium, mit kirchlichem Selbstverständnis und Moral nichts zu tun, dann mag das angehen. Aber gilt dies auch für einen Kardinal?