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Giftakten und Brüder im NebelWie das Kölner Erzbistum mit toxischen Unterlagen umgeht

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Woelki et al

Der verstorbene Kardinal Joachim Meisner (v.l.n.r.), Kardinal Rainer Maria Woelki und Stefan Heße, heute Erzbischof von Hamburg. Das Gutachten entlastet Woelki ausdrücklich, Meisner und Heße hingegen werden zahlreiche Pflichtverletzungen zur Last gelegt. 

Köln – Giftschränke gibt es in Apotheken. Sie sind gut verschlossen, damit die dort aufbewahrten gefährlichen Substanzen nicht in unbefugte Hände gelangen und niemanden Leib und Leben schädigen. Im Kirchenjargon bezeichnet der Giftschrank einen Tresor für toxische Informationen, die „Giftakten“. Dieser Begriff begegnet im Gutachten der Kölner Kanzlei Gercke Wollschläger zum Missbrauchsskandal im Erzbistum Köln an vielen Stellen.

Die offizielle Bezeichnung für den Giftschrank im Kirchenrecht lautet Geheimschrank (armarium secretum) oder Geheimarchiv (archivum secretum). Zwei eigene Canones (Gesetzeseinheiten) mit mehreren Paragrafen im Codex Iuris Canonici, dem kirchlichen Gesetzbuch, von 1983 legen unter anderem fest, dass die Schlüsselgewalt über das Geheimarchiv allein beim Bischof liegt.

Was in die Geheimschränke verschwindet

Die darin eingeschlossenen Dokumente müssen „mit größter Sorgfalt“ aufbewahrt werden und dürfen nicht herausgegeben werden. Umgekehrt müssen Strafsachen in Sittlichkeitsverfahren einmal jährlich vernichtet werden – nämlich mit Ablauf einer Frist von zehn Jahren nach dem Urteil oder nach dem Tod des Straftäters. Hierbei denkt das Kirchenrecht an Kleriker. Im Kontext von Missbrauch gehören in den Giftschrank die Unterlagen einer Voruntersuchung, Akten eines Strafverfahrens sowie Dokumente, die einen Verweis oder eine Verwarnung zur Folge hatten.

Das Gutachten führt auch „Verstöße gegen die priesterliche Lebensform“ als einen „aus katholischer Sicht ‚brisanten‘ Inhalt“ auf, der in die Giftakten Eingang findet. Weiter zählen dazu Sucht- und Alkoholprobleme, Homosexualität oder die Suspendierung eines Geistlichen.

Papier zumeist lose und nicht chronologisch geführt

All das sind Themen, die auf gar keinen Fall aus dem Dunstkreis der Bistumsverwaltung oder – genauer gesagt – des bischöflichen Büros nach draußen dringen sollen. Zugunsten des kirchlichen Gesetzgebers darf man annehmen, dass es um den Persönlichkeitsschutz geht, den auch Straftäter genießen. Klar ist aber auch, dass „brisante“ Informationen damit auch denen entzogen werden, die legitimerweise daran Interesse haben könnten oder müssten – zum Beispiel Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Papiere würden „unter den Namen der Beschuldigten lose und meist chronologisch in der jeweiligen Akte im Geheimarchiv verwahrt“.

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Köln: Hier stand der Giftschrank lange beim Generalvikar

Erste Besonderheit in Köln: Laut dem Gercke-Gutachten stand der Giftschrank über viele Jahre beim Generalvikar. Er – und nicht der Erzbischof – hatte den Schlüssel. Und Feldhoff habe jede Akte ausdrücklich freigeben müssen, bevor sie zur Einsicht an den Personalchef übersandt wurde. Unter Feldhoffs Nachfolger Dominik Schwaderlapp hatte der Personalchef erleichterten Zugang zu den Giftakten. Die Einsicht brauchte dann jeweils nur vom Sekretariat des Generalvikars protokolliert zu werden.

Zweite Besonderheit: Kardinal Joachim Meisner führte neben den Giftakten einen eigenen Aktenordner mit geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen. Der Name dieses Konvoluts dürfte Geschichte machen: Priester, denen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen zur Last gelegt wurde, firmierten beim früheren Kölner Erzbischof als „Brüder im Nebel“.

Kölner Kardinal Woelki: Interventionsstelle übernahm Akten aus Geheimarchiv

In den Jahren 2015 und 2016 übernahm die von Kardinal Rainer Woelki neu geschaffene Interventionsstelle sämtliche Akten aus dem Geheimarchiv, die im Zusammenhang mit Missbrauch standen. Seitdem, so konstatiert das Gercke-Gutachten, würden diese Akten ausschließlich dort als sogenannte Interventionsakten geführt. Für seine Untersuchung erhielt Gercke, genau wie die zuvor beauftragte Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl, einen Bestand von 236 Interventionsakten.

Zum vorangegangenen Schreddern von Giftakten nach den Vorschriften des kanonischen Rechts kommen die Gutachter zu einem doppelt entlarvenden Ergebnis: Wann und in welchem Umfang Unterlagen vernichtet wurden und ob sich darunter auch solche zu Missbrauchsfällen befanden, war „insgesamt nicht feststellbar“. Der Pflicht, eine kurze Zusammenfassung der vernichteten Akten und den Wortlaut eines ergangenen Urteils aufzubewahren, waren die Verantwortlichen „nicht nachgekommen“.