Das Kölner Paar erzählt, dass viel Überzeugung und ein unglaublicher Zufall sie in die Location gebracht haben.
Premiere in KölnWarum dieses Paar beim Bestatter neben einem Sarg heiratete
Die Lieferanten für das kleine Buffet stutzten, als sie die Adresse hörten. „Wirklich dahin?“ Und auch so manche vorab nicht eingeweihte Verwandte und Bekannte reagierten irritiert, als die Bimmelbahn, mit der die Hochzeitsgesellschaft am Standesamt losgefahren war, vor dem Haus an der Zeughausstraße anhielt. Eine Tante, die wie andere Gäste, die nicht anreisen konnten, über Zoom in den Raum zugeschaltet war, fragte: „Bin ich hier im falschen Film?“ Denn da stand ein Sarg.
Sabine Lindenbeck (49) und Bernd Dackweiler (51) hatten sich tatsächlich eine sehr außergewöhnliche Location für ihre Hochzeit ausgesucht. Sie gaben sich in der Trauerhalle von Bestatter Christoph Kuckelkorn das Ja-Wort – sie küssten sich neben dem Sarg. Es war die erste Hochzeit in dem Raum, wo sonst der Toten gedacht wird.
Hochzeit beim Bestatter: verrückt, aber auch folgerichtig
Wie kommt man auf die Idee, in einem Bestattungshaus ein doch so fröhliches Fest zu feiern? Einige Tage nach der Hochzeit sitzt das Paar lächelnd in seiner Ossendorfer Wohnung. „Ja, das war schon irgendwie verrückt, aber auch wieder folgerichtig“, sagt Bernd Dackweiler. Der Masseur und Körpercoach hält Vorträge und hat schon mehrere Bücher über die Trauer und ihre Verarbeitung geschrieben. 2020 gewann er bei einem internationalen Speaker Slam mit seinem Vortrag „Tod und Trauer“. Für ihn einschneidend war der Tod seines Vaters. Dackweiler war damals zehn Jahre alt und erlebte, wie verschieden oder gar nicht die Menschen um ihn herum die Trauer verarbeiteten, welche Blockaden das bewirkte und wie sehr ihn das sein Leben lang geprägt hat.
Sabine Lindenbeck hat vor kurzem ihre Mutter verloren. Sie starb mit Anfang 60 an Krebs. „Ich habe ihre Hand bis zuletzt gehalten und gesagt: Mama, du hast es geschafft. Das war sehr traurig, aber auch sehr tröstlich.“ Lindenbeck war lange Assistentin der Geschäftsführung eines Bauprojektentwicklers, widmete sich aber auch immer wieder der Psychologie. Die beiden sind sich einig: „Wir müssen die Trauer viel mehr einbeziehen in unser Leben. Der Tod ist der ewige Begleiter und man muss ihn nicht verstecken. Und das geht nur mit einer lebensbejahenden Trauerkultur.“
Dass es dann sogar so weit kam, in einer Trauerhalle zu heiraten, hat aber auch mit einem unglaublichen Zufall zu tun. Das Paar ist schon seit vielen Jahren zusammen. Sie habe mehrmals nach dem Heiraten gefragt, er sei immer wieder ausgewichen, erzählen die beiden. „Schließlich habe ich mehr aus Spaß gesagt: Okay, wenn wir heiraten, dann entweder am 11.11. oder beim Bestatter“, sagt Dackweiler. Ohne Weiteres festgelegt zu haben, gingen die beiden im Februar zum Kölner Standesamt, um das Aufgebot zu bestellen.
„Vor lauter Aufregung habe ich danach vor dem Haus Neuerburg gegenüber meinen Ausweis verloren.“ Da Dackweiler leicht über Google zu finden ist, klingelte wenig später sein Handy. „Da meldete sich ein Herr Kuckelkorn und sagte, seine Frau hätte meinen Ausweis gefunden. Ich fragte sofort zurück: DER Herr Kuckelkorn? Den kannte ich natürlich aus der Zeitung.“ Und er war es. „Das konnte kein Zufall sein. Das ist ein Zeichen“, dachte Sabine Lindenbeck damals.
Sofort traf man sich, ganz ungezwungen bei Merzenich auf der Hohe Straße, zu einem Kaffee. „Da kam die ganze Familie Kuckelkorn, wir haben uns sofort verstanden. Wir haben die ganze Vorgeschichte berichtet und sie waren sofort einverstanden, dass wir bei ihnen heiraten.“ Bei Kuckelkorn, der nicht nur Bestatter, sondern auch Präsident des Festkomitees Kölner Karneval ist, liege Tragik und Lachen schließlich ja auch täglich beieinander.
Sarg sollte zunächst als Schatzkiste für Geschenke offenstehen
Das Paar hatte freie Hand bei der Dekoration des Raumes. Zunächst hatte der Bräutigam die Idee, den Sarg sogar offen stehenzulassen, als Schatzkiste für die Geschenke. „Das ging uns – und Herrn Kuckelkorn – aber dann doch zu weit“, sagt Sabine Lindenbeck. Die Geschenke wurden vor dem Sarg abgelegt. Die Zeremonie gestaltete das Paar selbst mit Trausprüchen. Dackweiler gehört keiner Religion an, aber glaubt: „Da muss es da oben etwas geben, was den Laden zusammenhält.“ „Wahrlich, wir wollen alle an Gottes Willen festhalten“, schworen sich die beiden. Sabine Lindenbeck, die sich der Bahai-Religion angeschlossen hat, wählte außerdem das Bahai-Zitat: „Den Tod machte ich dir zum Boten der Freude. Warum bist du traurig?“
55 Gäste lauschten, viele waren in Tränen. Auf zwei Stühlen standen die Fotos von Sabine Lindenbecks Mutter und Bernd Dackweilers Vater. Einige Besucher – besonders die, die selbst vor kurzem Menschen verloren hatten – waren auf die Umgebung vorbereitet worden. Andere waren überrascht. „Aber die Reaktionen waren durchweg positiv“, sagt Dackweiler. „Wir haben da buchstäblich einen Raum geöffnet.“ Die Menschen fingen an, über Trauer zu reden. Nicht nur die Gäste. Ein Caterer berichtete, dass er und seine Frau zwei Wochen vor der Geburt ein Kind verloren haben. Eine junge Servicekraft bedauerte unter Tränen, dass sie vor kurzem nicht bei der Beerdigung ihrer Großmutter dabei sein konnte.
Danach zog die Gesellschaft auch noch an einen ganz gewöhnlichen Ort: Im Altenberger Hof in Nippes wurde weitergefeiert. Und nun plant das Ehepaar die Hochzeitsreise. Eines der Wunschziele: das riesige Taj Mahal in Indien, das ein Großmogul im 17. Jahrhundert für seine geliebte verstorbene Frau erbauen ließ.