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Kölner Pfarrer Thranberend„Wir haben die Menschen zu lange klein gehalten“

Lesezeit 8 Minuten
Thranberend

Klaus Thranberend 

  1. Die Menschen erleben in der zweiten Pandemieweihnacht Sehnsucht, Sorge und Müdigkeit.
  2. Nach einem Jahr der Katastrophen spricht Pfarrer Thranberend im Interview über die Lektion der Unverfügbarkeit und darüber, dass es gut wird. Irgendwie.
  3. Die Krise des Erzbistums hat 2022 viele zerrissen: Thranberend sagt, wie man überhaupt noch in der Kirche sein kann und warum Katholischsein nur noch vor Ort an der Basis plausibel ist.

KölnDie zweite Pandemieweihnacht steht bevor. Letztes Jahr waren die Kirchen im Lockdown leer. Dieses Jahr gibt es zumindest Gottesdienste im kleineren Rahmen mit FFP2-Maske. Mit welchen weihnachtlichen Gefühlen gehen die Kölner in dieses Fest?

Ich erlebe einen großen Zwiespalt widerstreitender Bedürfnisse. Da ist das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz vor Infektion – gerade angesichts von Omikron. Und auf der anderen Seite ist da die große Sehnsucht nach realer, echter Vergemeinschaftung. Ich sehe viel Müdigkeit und Frustration. Die vierte Welle ist eine Keule, schlimmer als die vorherigen – weil man ja bis in den Herbst dachte, dass wir in Richtung Normalität gehen. Dazu wieder eine Haltung zu finden, ist ungeheuer anstrengend.

Aber gerade in dieser Phase der Pandemie sagen Sie den Satz: „Es wird gut. Irgendwie.“ Was sagt der Satz für Sie aus und was hat er mit Weihnachten zu tun?

In diesem „Irgendwie“ spiegelt sich die Unverfügbarkeit von Leben. Nicht nur angesichts von Corona. Es ist eine anstrengende, heilsame Erfahrung in einer Welt, die sehr durchstrukturiert und geplant ist, zu verinnerlichen, dass das Eigentliche nicht verfügbar ist. Übrigens auch Weihnachtsstimmung nicht. Aber das Vertrauen, dass es gut wird, ist eben die religiöse Dimension. Da glaube ich wirklich dran. Aber wie genau, das ist weder planbar, noch mit Macht zu gestalten, sondern eben unverfügbar.

St.Gereon

Weihnachtliche Stimmung an St. Gereon. 

Klaus Thranberend (54) ist seit einigen Monaten Pfarrvikar im Seelsorgebezirk Ehrenfeld, Bickendorf, Ossendorf. Zuvor war er sechs Jahre Leiter der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG). Dort ging er auf eigenen Wunsch, nachdem der Konflikt um ein Positionspapier, in dem unter anderem die kirchliche Sexualmoral und das Lehramt kritisiert wurden, eskaliert war. Thranberend, damals noch als Leiter der KGH, gehört zu einer Gruppe von 34 Pfarrern, die sich in einem Brief von Kardinal Woelki distanziert hatten.

Was sagt Ihnen die Geburt im Stall gerade in diesem Jahr?

Wir haben ein katastrophales Jahr hinter uns: von Corona über die Flutkatastrophe bis zu der Krise im Erzbistum. Auch die Weihnachtsgeschichte ist von Katastrophen begleitet: Die ungeplante Aufforderung zur Eintragung in Steuerlisten, keine Herberge zu finden, keine Heimat mehr zu haben. Und dann entsteht mitten im Nirgendwo in diesem Stall ein Ort. Man kann das als Katastrophenszenario lesen, aber da halten Menschen zusammen. Es ist ein Ort, an dem unzerstörbar Beziehung passiert – zwischen Gott und Mensch und zwischen den Menschen, die im Stall sind: auch mit den Hirten und Königen. Wir spiegeln glaube ich gerade dieses Jahr Weihnachten diese Situation. Wichtig ist, dass wir gucken, dass die Beziehungen gut bleiben. Je mehr wir Kontakte reduzieren müssen, um so wichtiger sind die wenigen Menschen, die uns gut tun.

Seit zwei Jahren zwingt Corona uns genau diese Lektion auf, dass Leben nicht planbar ist und das Morgen immer unter Vorbehalt steht. Eigentlich ist das die Conditio Humana, also die Bedingung des Menschseins. Aber wir hatten das irgendwie vergessen… Glauben Sie, dass von dieser kollektiven gesellschaftlichen Erfahrung etwas bleibt?

Es ist auf jeden Fall eine prägende, verletzende Erfahrung einer Gesellschaft, die auf Planbarkeit gesetzt hat. Es kann ja aber auch die Erfahrung ermöglichen, dass es gut tut, mehr von einem Tag auf den anderen zu leben. Das Volk Israel hat identitätsstiftend damit gelebt, dass Lebensmittel – das Manna in der Wüste – immer nur für einen Tag reichten. Man lebt nur für heute, das ist die ganz wichtige Erfahrung in jüdisch-christlicher Tradition. Vielleicht haben wir das ein wenig gelernt, dass alles nur für einen Tag reicht und nicht zu weit zu schauen. Das ist eigentlich etwas Kleines, Bescheidenes.

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Wie kann Kirche, in der sich ja immer weniger Menschen beheimatet fühlen, dazu beitragen, diese zuversichtliche Bescheidenheit zur Haltung zu machen?

Auch das hat mit Weihnachten zu tun – mit der Stallszene: An diesem Ort ist es gut, da geschieht Beziehung. Es gilt Orte zu schaffen, wo das erfahrbar wird. Wo Menschen sich kennen, Gemeinschaft erleben, gemeinsam einen Stadtteil gestalten. Das ist wichtig. Und alles andere eben weniger. Ich bin da eher strukturskeptisch. Ich erwarte da wenig von der übergeordneten, amtlichen Ebene. Es passiert an der Basis. Ganz unten, da wo Menschen liebevoll ihre Talente einbringen.

Zum Jahr 2021 gehört auch, dass im Zuge der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals so viele Katholiken wie nie zuvor ihren Austritt erklärt haben. Wie soll man 2022 noch katholisch bleiben?

Ich erlebe da viel Zerrissenheit – auch bei mir selbst. Menschen erleben vor Ort viel Gutes und tragen doch durch ihre Mitgliedschaft etwas mit, was sie verwerflich finden. Viele zerreißt das, egal ob sie bleiben oder gehen. Plausibilität hat das Katholischsein vor Ort. Ausschließlich. Und klar ist auch: Menschen wollen im 21. Jahrhundert auf Augenhöhe beteiligt werden.

Im Seelsorgebereich Ehrenfeld , wo Sie seit Ihrem Weggang aus der KHG seit dem Spätsommer als Pfarrvikar tätig sind, kann man studieren, wie das gehen kann. Es wirkt wie das unfreiwillige Kölner Pilotprojekt „Demokratische Kirche“…

Das stimmt. Unser Arbeitsmotto als Team aus Haupt- und Ehrenamtlichen ist „Wir sind leitender Pfarrer“. Nach dem plötzlichen Tod von Pfarrer Kugler gibt es dort vor Ort keinen leitenden Pfarrer mehr. Ich bin als Pfarrvikar Teil dieses Teams in Zusammenarbeit mit den Ehrenamtlichen. Alle sind gleich berechtigt und schmeißen das gemeinsam.

Nach turbulenten Monaten befindet sich Kardinal Woelki in einer vom Vatikan verordneten Auszeit. Auch Sie gehörten zu den 34 Pfarrern, die sich damals noch als KHG-Leiter in einem Brief von Kardinal Woelki distanziert hatten. Wir erleben Sie in den Gemeinden diese Auszeit: Eher als ohnmächtige Hängepartie oder als Zeit der Erleichterung?

Um im Weihnachtsbild zu bleiben, würde ich sagen, es ist wie die Zeit zwischen den Jahren: Es ist ein weihnachtliches Gefühl von Atempause. Die Welt hält für einen Moment den Atem an. Wir können durchatmen und es passiert mal eine Zeit lang nichts Schlimmes. Das ist viel wert. Es wird wohlwollend zugehört. Auch hier ist nicht verfügbar, was kommt. Mir fehlt völlig die Vorstellungskraft, was passieren wird und wie es überhaupt weitergehen soll.

Viele Menschen sind auf der Suche nach Sinn, nach einem Anker: Immer mehr Menschen meditieren, machen Yoga oder Achtsamkeitsseminare. Sie suchen aber nicht in der Kirche. Was oder wie müsste Kirche sein, um dieses riesige Potenzial abzuholen?

Wir haben die Menschen zu lange klein gehalten. Der Gehorsamsgedanke hat auch passiv gemacht. Wir müssten uns viel mehr die Frage stellen, was stärkt denn die Menschen heute, um mit den großen Herausforderungen wie Corona oder Klimakrise klarzukommen? Was bestärkt uns, uns zu beschränken zum Wohle aller. Da haben wir als Kirche eigentlich Riesenpotenzial. Aber wir sind zu wenig mit den Menschen im Gespräch, wir holen ja kein Feedback ein.

Mit einer Messe – so viel ist sicher – holen Sie die allermeisten jungen Menschen jedenfalls nicht mehr ab.

Ich glaube, da hängt viel an dem Wort Partizipation. Wir schaffen Angebote, statt gerade den Jugendlichen Räume zu geben, selbst Orte und Angebote für sich zu schaffen. Wir müssten viel mehr Ermöglicher sein, statt zu normieren oder zu kontrollieren. Es wäre toll, wenn es eine kirchliche Haltung gäbe, die mehr von dem her denkt, was einfach da ist und das wertschätzt. Die Kirche Sankt Josef mitten auf der Venloer Straße in Ehrenfeld ist derzeit wegen baulicher Mängel nicht für Gottesdienste zu benutzen. Aber das Hauptportal ist bis zum Gitter auf. Jeden Tag zünden dort Menschen, die vorbeikommen, in unglaublicher Zahl in einem kurzen Spiritualitätsmoment Kerzen an. Das muss ich nicht abwerten. Das ist großartig. Ich glaube, hier braucht es eine andere Haltung: Das, was die Menschen an Religiosität haben, nicht abzuwerten, sondern es als Schatz zu sehen, für den man Räume schafft. Wenn das Kirchengebäude nur dazu da ist, um die Messe zu feiern, könnten wir viele Kirchen abreißen, weil immer weniger kommen. Wenn man aber denkt, die Kirche ist ein Raum, der kann genutzt werden für ganz viel Gemeinschaftliches und Gutes, dann braucht es alle Kirchen in Köln.

Was nicht weniger bedeuten würde als einen kompletten Haltungswechsel von Seiten der Institution…

Es gibt da den Gedanken von Erich Fromms „Haben oder Sein“: Religiosität unter der Kategorie des Habens heißt, ich habe einen Glaubensschatz, den muss ich hüten, weil den andere beschädigen wollen. Religiosität unter dem Begriff des Seins heißt: Da ist ein Gott, der Entwicklung ermöglicht und Menschen groß werden lässt. Vielleicht geht es im Kern darum, von einer Religiosität des Habens zur Religiosität des Seins zu kommen.

Wo wir schon ins Philosophieren kommen. Eine der Grundfragen der Philosophie lautet „Was darf ich hoffen?“ Was dürfen wir denn hoffen für das Jahr 2022?

Dass wir möglichst viele Tage erleben, an denen wir sagen können, heute war es gut. In aller Bescheidenheit. Und zwar ohne große oder falsche Hoffnungen: Vor uns liegt noch viel, was wir bewältigen müssen: Corona, die Klimakrise und die Krise des Erzbistums. Aber wenn man Tag für Tag bewusst die zwei oder drei Dinge sieht, die gut waren. Dann wäre schon viel gewonnen.