Nachbarn hörten TierlauteSchlachthof in Neuehrenfeld sah einst wie ein Schloss aus
Köln-Ehrenfeld – Das Muhen der Rinder war überall in der Nachbarschaft zu hören. Wer das Fenster öffnete, bekam die letzten Lebenszeichen von Tieren zu Ohren, die darauf warteten, in Hälften und Viertel geschnitten zu werden. Es war ein schauriges Geschäft, das an der Neuehrenfelder Liebigstraße abgewickelt wurde.
Noch heute steht in großen Lettern „Fleisch Versorgung Köln“ an der Fassade eines schmucklosen Industriebaus auf dem Gewerbegebiet zwischen Herkulesstraße, Liebigstraße und Hornstraße. Doch die Fleischverarbeitung ist längst eingestellt. Der zentrale Schlachthof Kölns, der 1895 hier eröffnet wurde, weil der alte Standort in der Innenstadt zu klein, die Einwohnerzahlen Kölns nach diversen Eingemeindungen aber immer größer wurden, ist seit einigen Jahren Geschichte.
Der Kölner Schlachthof belieferte nicht nur die Kölner, sondern die ganze Region mit Fleisch. Dafür waren an der Liebigstraße Schlachter, Fleischgroßhändler, Darmhändler, Fettschmelzer und Transporteure im Einsatz. „1980 stellten die 600 Mitarbeiter die Fleischversorgung von drei Millionen Menschen in der Region sicher“, sagt Ulrich S. Soénius, Direktor des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs zu Köln.
242.000 Tiere in einem Jahr in Kölner Schlachthof getötet
Die Zahl der verarbeiteten Schweine, Kälber, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde spiegelten immer auch die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland wider. Wurden 1907 genau 163.619 Schweine im Kölner Schlachthof zerlegt, waren es 1919, ein Jahr nach dem Ersten Weltkrieg, keine 2500. Zwei Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Zahl mit 3714 Schweinen nur unwesentlich darüber. 1957 allerdings fanden rund 242.000 Tiere an der Liebigstraße ihr Ende. Das so genannte Wirtschaftswunder machte sich auch auf dem Teller der Deutschen bemerkbar.
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Das Verwaltungsgebäude des städtischen Betriebs lenkte vom rustikalen Handwerk, das sich auf dem Gelände dahinter abspielte, mit allerlei Zierrat und Türmchen ab. „Es zeigt nicht, was es ist, sondern es tut so, als wäre es ein Schloss“, sagt der ehemalige Kölner Stadtkonservator Ulrich Krings. Architekt Rudolf Schultze schuf ein reich verziertes Gebäude im Stil der Neorenaissance, das laut Krings damals schon ein wenig aus der Zeit gefallen war. Technisch handelte es sich zwar um den modernsten Schlacht- und Viehhof Deutschlands, der hervorragend an das Eisenbahnnetz angebunden war: „Nur architektonisch war es ein altmodisches Ding“, sagt der Kunsthistoriker. Der Zeitgeschmack verlangte damals nach floralen Jugendstil-Elementen, doch Schultze sei mit seinem historisierenden Entwurf wohl eher ein konservativer Architekt gewesen.
Größter Festsaal Kölns
Baubeginn für den neuen Schlachthof war 1892, fertig wurde er drei Jahre später. „Neben den Markthallen für Großvieh, Schweinen und Kleinvieh entstand ein Börsengebäude, das auch einen Restaurations- und Festsaal beherbergte, der nach dem Gürzenich damals der größte Kölns war“, so Dieter Brühl, Vorsitzender der Bürgervereinigung Köln-Ehrenfeld. Zwölf Millionen Mark habe die Stadt investiert.Die Ehrenfelder Karnevalsgesellschaft wusste den Großbetrieb im Rosenmontagszug von 1896 humoristisch mit einer Persiflage zu verwursten: „Im neuen Schlacht- und Viehhof freut sich wohl so manches Thierchen, Ochs, Schaaf und Schwein, die haben heut beim Tanzen ihr Pläsierchen.“
Zukunft des Schlachthof-Areals
Wie es weiter geht mit dem Gewerbegebiet rund um den ehemaligen Schlachthof, ist unklar. Das Potenzial der Fläche zwischen Innerer Kanalstraße, Herkulesstraße, Parkgürtel und S-Bahntrasse Nippes gilt als groß, die Nutzung als teils minderwertig. Die Bezirksvertretungen Ehrenfeld und Nippes wollen die künftige Entwicklung des Geländes von einem Gremium aus Politik, Verwaltung, Unternehmen und lokalen Akteuren steuern lassen. Es gehe auch darum, Ideen für die künftige Entwicklung zu erarbeiten, so Ehrenfelds Bezirksbürgermeister Volker Spelthann. Die Ehrenfelder SPD-Fraktion fordert in einem Antrag unter anderem bezahlbaren Wohnraum und Grünflächen. Das Areal müsse städtebaulich sinnvoll an Bilderstöckchen, Nippes und Neuehrenfeld angeknüpft werden. (cht)
Am Ende des Zweiten Weltkrieges war der Schlachthof zu 87 Prozent zerstört. Die Ruine des Verwaltungsgebäudes stand laut Dieter Brühl noch bis in die 1960er-Jahre, bis sie schließlich durch einen Neubau ersetzt wurde. Der Schlachthofbetrieb war zu dieser Zeit bereits in eine Krise geraten. Denn die Kunden übernahmen das Fleisch zunehmend nicht mehr in Hälften oder Vierteln, sondern lieber als Koteletts oder Schinken. Dazu fielen in den 1970er-Jahren Subventionen weg. Es musste kräftig rationalisiert werden. 1973 wurde der kommunale Betrieb als erster Schlachthof Deutschlands privatisiert, neuer Träger wurde die „Fleischversorgung Köln“ (FVK), ein Zusammenschluss von 107 Gesellschaftern aus den Reihen der ehemaligen Schlachthofnutzer.
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Das Schlachthofareal wurde um die Hälfte auf 72 000 Quadratmeter verkleinert und modernisiert, weitere historische Gebäude aus der Jahrhundertwende wurden beseitigt. 2010 stellte dann auch die FVK ihren Betrieb ein, die Konkurrenz durch Großschlachtereien war zu groß geworden. Heute erinnern an der Liebigstraße nur noch verwitterte Reste der Zaunanlage an die stolze Ursprungsbebauung aus der Kaiserzeit. Das Muhen der Rinder ist längst verstummt.