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Kölner Stadtarchiv-ProzessWie es nun weitergeht – die wichtigen Fragen und Antworten

Lesezeit 6 Minuten

Blick in die Baugrube an der Einsturzstelle des Archivgebäudes. Die Aufarbeitung der Katastrophe vor den Gerichten wird noch einige Jahre andauern.

Köln – Mit dem Urteil im ersten Strafprozess um den Einsturz des Stadtarchivs ist die juristische Aufarbeitung der Katastrophe vom 3. März 2009 längst nicht beendet. Schon allein deshalb nicht, weil sowohl die Staatsanwaltschaft, die mit den Freisprüchen für zwei Bauleiter nicht einverstanden ist, als auch der zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilte KVB-Bauüberwacher Manfred A. Revision eingelegt haben und nun der Bundesgerichtshof das Urteil überprüfen muss. Außerdem läuft vor dem Landgericht seit Anfang August ein zweiter Strafprozess. Und ein Zivilverfahren steht an, in dem Stadt und KVB Schadenersatz von der Arbeitsgemeinschaft der am U-Bahn-Bau beteiligten Firmen erstreiten wollen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Gerichtsverfahren zur Aufarbeitung der Stadtarchiv-Katastrophe.

Warum sind im Strafprozess Verfahren abgetrennt worden?

Aus einem Kreis von annähernd 100 Personen, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt hatte, klagte sie im vergangenen Jahr sechs Männer und eine Frau an. Einer der Männer, ein Polier, starb vor dem Prozessbeginn im Januar 2018. Zwei weitere Angeklagte, ein Baggerfahrer und ein Polier, erkrankten schwer und waren somit verhandlungsunfähig. Deswegen trennte die 10. Große Strafkammer des Landgerichts das Verfahren gegen sie ab. Ob sich der Gesundheitszustand der Männer vor Ablauf der absoluten Verjährungsfrist so weit verbessert, dass die Hauptverhandlung gegen sie noch durchgeführt werden kann, ist ungewiss. Die Frist endet am 2. März 2019.

Worum geht es im zweiten Strafprozess?

Vor der 20. Großen Strafkammer des Landgerichts muss sich der 64-jährige Bauingenieur Stefan H. verantworten, ein Oberbauleiter der Baufirmen. Ihm werden fahrlässige Tötung und Baugefährdung zur Last gelegt. Die Staatsanwaltschaft hat ihn zusätzlich angeklagt, nachdem er im ersten Prozess von einem Bauleiter, den er während eines Urlaubs vertreten hatte, belastet worden war. Der Bauingenieur soll – ohne angemessen darauf zu reagieren – von Mitarbeitern über Probleme bei der Herstellung einer Wand der Baugrubeneinfassung unterrichtet worden sein: Beim Erdaushub sei ein Hindernis im Weg gewesen, aber nicht beseitigt worden, so dass die Wand nicht vollständig betoniert worden sei.

Durch die so entstandene Fehlstelle sollen dann Erdmassen und Wasser in die Baugrube eingedrungen sein mit der Folge, das dem benachbarten Archivgebäude der Boden entzogen wurde. 62 Verhandlungstage sind für den Prozess angesetzt, der bis März 2019 terminiert ist. Die Angeklagten des ersten Verfahrens haben im Zeugenstand von ihrem Recht auf Verweigerung der Aussage Gebrauch gemacht. Die Kammer werden Richterkollegen aus dem ersten Verfahren als Zeugen zu hören. Am Montag, 22. Oktober, hat der 15. Verhandlungstag stattgefunden.

Wann beginnt der Zivilprozess?

Wann der Zivilprozess um die Schadenersatzforderung beginnt, die Stadt und KVB gegenüber den am U-Bahn-Bau beteiligte Firmen geltend machen wollen, ist ungewiss. Zurzeit läuft ein selbstständiges, nicht öffentliches Beweisverfahren, das Stadt und KVB gegen 21 am Bau beteiligte Personen und Firmen beantragt haben und mit dem die 5. Zivilkammer des Kölner Landgerichts befasst ist. Veranlasst von den gegnerischen Parteien erteilt sie Untersuchungsaufträge, soweit sie sich auf tatsächliche Verhältnisse beziehen, die zum Archiveinsturz geführt haben können. Die Untersuchungen im „Besichtigungsbauwerk“, in dem Spezialtaucher eingesetzt werden, leitet Professor Hans-Georg Kempfert, der im ersten Strafprozess als Gerichtsgutachter eine herausragende Rolle spielte. Seinen Erkenntnissen folgend ging die 10. Große Strafkammer bei ihrem Urteil davon aus, dass der Einsturz „eindeutig und zweifelsfrei“ auf einen Fehler bei der Herstellung der Baugrubenumschließung für das Gleiswechselbauwerk zurückzuführen sei.

Dagegen hatte ein von der Verteidigung benannter Sachverständiger, Professor Mattias Pulsfort, die Möglichkeit einer anderen Einsturzursache als einer Fehlstelle in der Wand geltend gemacht: Ohne menschliches Zutun könnten sich im Untergrund Erosionskanäle gebildet haben. Daran hält die Arbeitsgemeinschaft der Baufirmen weiter fest. Die Erkundungen sollen nun weiter in die Tiefe gehen als zuvor, bis zu der unter der Baugrube liegenden Braunkohleschicht, und genaueren Aufschluss über die Bodenbeschaffenheit geben. Wenn das Beweisverfahren abgeschlossen ist, entscheidet sich, ob es zum Hauptsacheverfahren kommt. Das ist sehr wahrscheinlich, frühestens aber im kommenden Jahr. Anders als bei den Strafverfahren besteht bei der Schadenersatzklage kein Grund zur Eile, weil die Verjährung möglicher Ansprüche viel später eintritt.

Um welche Summen geht es?

Die Stadt geht von einer ungefähren Schadenssumme von 1,2 bis 1,3 Milliarden Euro aus. Wesentliche Positionen sind die Bergung und Restaurierung der Archivalien, von denen rund 95 Prozent gesichert werden konnten, der Neubau des Archivs, die Beweissicherung (Bau des Besichtigungsbauwerks und Honorare von Beratern), Zinsansprüche gegen den mutmaßlichen Schadensverursacher und die verspätete Inbetriebnahme der Nord-Süd-Stadtbahn. Der Stadt zufolge handelt es sich nicht um eine Schätzung, sondern um eine „Schadensermittlung, die im Wesentlichen auf Sachverständigengutachten sowie Kostenbelegen beruht“. Die im Rahmen des Beweisverfahrens erstellten Gutachten zur Ermittlung des Schadens seien „gerichtsfest“. Bei einer Vielzahl von Dokumenten des Archivs besteht nach Auffassung der „Arge Los-Süd“, der Arbeitsgemeinschaft der Baufirmen, allerdings die „Möglichkeit der Ersatzbeschaffung“. So stelle sich „berechtigterweise“ die Frage, warum das Archiv „beispielsweise Tausende Seiten von Telefonbüchern aufwendig restaurieren möchte, obwohl die gleichen Exemplare anderweitig ohne Mehraufwand beschafft werden könnten“. Aus Sicht der Arge „ist ein solcher Ansatz nicht nachvollziehbar und somit unverhältnismäßig“.

Die Stadt hatte eine Kunstversicherung in Höhe von 60 Millionen Euro, die sie nach dem Archiveinsturz in Anspruch genommen hat. Die Versicherung hat den Betrag gezahlt; damit sind die Schadenersatzansprüche der Stadt in diesem Umfang rechtlich auf die Versicherung übergegangen. Nach Auskunft der Stadt hat die KVB für die Nord-Süd-Stadtbahn eine Projekthaftpflichtversicherung in Höhe von 30 Millionen Euro abgeschlossen; diese Summe stehe „für jeden Schadensfall zur Verfügung, der einem Anlieger aus der Nord-Süd-Stadtbahn entstanden ist“. „Losgelöst“ von den beiden genannten Beträgen bestünden „natürlich die Schadenersatzansprüche der Stadt (und der KVB) gegen den Schädiger, nach jetzigem Erkenntnisstand also die Arge Los-Süd“. Damit ist der entscheidende Punkt berührt: Sind die Firmen für den Einsturz verantwortlich zu machen? Es dürfte ins Gewicht fallen, dass bisher nur ein KVB-Beschäftigter, nicht aber ein Mitarbeiter der Bauunternehmen verurteilt worden ist. „Zudem stellt sich die Frage, weshalb die Stadt Köln trotz angeblicher Klärung der Einsturzursache eine zeit- und kostenintensive Fortsetzung der Untersuchungen beantragt hat, statt bereits heute mit der Sanierung zu beginnen“, merkt ein Arge-Sprecher an.

Wann wird die Lücke der Nord-Süd-Stadtbahn-Strecke geschlossen?

Bevor auf der Baustelle am Waidmarkt weitergebaut werden kann, muss das Verfahren zur Beweissicherung durch das Landgericht abgeschlossen sein. Erst dann kann die „Besichtigungsgrube“ verfüllt und das Gleiswechselbauwerk saniert und fertiggestellt werden. Die Arbeiten werden nach Angaben der KVB vier, eher fünf Jahre dauern. Bis dahin ist auf der Strecke, deren unterirdische Stationen von 2011 bis 2015 sukzessive eröffnet wurden, nur ein Teilbetrieb möglich. Im nördlichen Abschnitt verkehrt die Linie 5 bis zum Heumarkt, im südlichen die Linie 17 bis zur Haltestelle Severinstraße.