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Kölner StadtgeschichteLegenden à la 4711 kölnisch Wasser

Lesezeit 5 Minuten

Französische Soldaten marschieren in luftiger Höhe durch die Glockengasse: das Glockenspiel am 4711-Haus.

Köln – Im Oktober 1794, vor 220 Jahren, besetzten Truppen des revolutionären Frankreich die „freie Reichsstadt“ Köln. Köln war damals eine der rückständigsten deutschen Städte – das sollte sich aber in den folgenden 20 Jahren ändern: Es war die französische Administration, die zwischen 1794 und 1814 aus der mittelalterlichen Stadt eine unter damaligen Verhältnissen „moderne“ Großstadt formte. Die Abschaffung des Zunftzwanges, die Einführung der Religionsfreiheit, die Umstellung des Münzsystems auf Francs und Centimes, die das rheinische Münzgewirr von Stübber, Blaffert, Kreuzer und Albus ablösten – durch all diese Maßnahmen wurden der Kölner Wirtschaft starke Impulse gegeben, endlich floss wieder Kapital in großgewerbliche Betriebe.

Zum wirtschaftlichen Aufschwung hatte auch die Säkularisation beigetragen – im „hilligen Coellen“, das über elf Stiftskirchen, 19 Pfarrkirchen, 68 Klöster, 158 Beginen-Konvente und ungezählte Kapellen verfügte, waren umfangreiche geistliche Liegenschaften in Staatsbesitz überführt worden. Grundstücke und Gebäude der Kongregationen wurden im Sommer 1802 beschlagnahmt und anschließend „umgenutzt“, verkauft oder einfach abgebrochen. Charakter und Gesicht Kölns wurden dadurch erheblich verändert.

Die „Franzusezick“ gehört aber auch zu den Abschnitten der Stadtgeschichte, um die sich besonders viele Legenden ranken. Eine besagt, nur Juden und Protestanten, seit 1797 im Besitz des Bürgerrechts, hätten ehemaliges Kirchengut erworben – das Gegenteil war der Fall: Kölner Bankiers und Unternehmer hatten gute Geschäfte beim Kauf geistlicher Immobilien gemacht, in der Regel waren es aber biedere mittelständische Bürger, die die angebotenen Objekte zu günstigen Preisen aufkauften – auch unter den Katholiken (und das war ja die übergroße Mehrheit) war die Säkularisation auf Zustimmung gestoßen.

Viele Kölner glauben noch heute, dass der kölsche Sprachschatz in diesen 20 Jahren durch zahlreiche französische Worte vergrößert wurde; als herausragendes Beispiel wird gewöhnlich der Begriff „Fisimatenten“ angeführt – „mach’ keine Fisimatenten“ bedeutet so viel wie: „Mach keinen Unsinn!“ Das Wort soll vom französischem Satz „visitez ma tente“ (besuchen Sie mein Zelt) abgeleitet sein, mit dem französische Soldaten junge Mädchen ansprachen. Für Köln kann das schon nicht zutreffen, denn die Besatzungssoldaten hatten gar keine Zelte, sie waren in Bürgerhäusern einquartiert (zudem geben alle etymologischen Wörterbücher andere Herleitungen an). Der Sprachforscher Adam Wrede hat darüber hinaus herausgefunden, dass von französischen Begriffen, die ins Kölsche eingingen, weniger als ein Viertel aus der „Franzusezick“ stammen.

Geradezu dreist nutzte die Kölner Unternehmerfamilie Mülhens die französischen Jahre zur Legendenbildung. Die Herkunft ihres Firmen- und Produktnamens „4711“ wurde in der Werbung (auch in einem Werbespot) so erklärt, dass im Oktober 1794 – nachdem die Besatzer eine Häusernummerierung angeordnet hätten – ein französischer Colonel zu Pferde in der Glockengasse erschien und über das Portal des Hauses, das der Firmengründer Wilhelm Mülhens besaß, in schwungvoller Schrift die Zahl 4711 anbrachte.

Die Kölner Historikerin Julia Kaun hat schon vor geraumer Zeit (in einem Beitrag des Buches „Frankreich am Rhein“, Greven Verlag) festgestellt, dass an dieser Geschichte so gut wie nichts stimmt. Es gab weder den Reiter, noch hat die französische Besatzung die Häuserzählung angeordnet – „wenige Tage vor der Besetzung der Stadt beschloss der Kölner Rat eine Nummerierung der Häuser“. Aufgrund der zeitlichen Nähe habe man beide Ereignisse durcheinandergebracht. „Ein französischer Reiter, der die Straßen Kölns auf dem Rücken seines Pferdes durchquerte, um die Häuser zu nummerieren, trat 1794 nicht in Erscheinung.“ Zudem belegt Kaun, dass Wilhelm Mülhens das Gebäude mit der Nummer 4711, das bei einer späteren Änderung der Nummerierung zum Haus Glockengasse 12 wurde, erst 1796 erworben hat; und zu allem Überfluss ist das heutige 4711-Haus, dessen Glockenspiel zu jeder vollen Stunde die „Marseillaise“ erklingen lässt, nicht das „Original“: denn die Firma Mülhens verlegte ihren Hauptsitz nach 1850 in die Glockengasse 22–28, noch heute offizielle Anschrift.

Auf einer Legende gegründet

„Das Beispiel des Reiters in der Glockengasse“, so Kauns Fazit, „ist ein Indiz dafür, dass eine Untersuchung der 4711-Unternehmensgeschichte sowie der Kölnisch-Wasser-Geschichte vor allem als Marketinggeschichte lohnend wäre.“ Das sollten sich vor allem die Werbestrategen des Unternehmens, das in diesem Jahr sein 222-jähriges Bestehen feiert, zu Herzen nehmen; denn schon die Gründungsgeschichte baut auf einer Legende auf: 1792, so liest man in einer früheren 4711-Festschrift, habe ein Kartäusermönch dem jungen Wilhelm Mülhens zur Hochzeit ein „Geheimrezept zur Herstellung von Echt Kölnisch Wasser“ geschenkt. Nach diesem Rezept würden „noch heute die Essenzen zusammengestellt für das in allen Ländern berühmte 4711 Echt Kölnisch Wasser aus der Glockengasse zu Köln“.

Mülhens, der das Haus – wie erwähnt – erst 1796 gekauft hat, wird im Adressbuch von 1797 nicht als Produzent von Kölnisch Wasser bezeichnet, er trägt die Berufsbezeichnung „in Speculations-Geschäften“. Der erste Beleg, der ihn als „destillateur d’eau de Cologne“ ausweist, stammt aus dem Jahre 1800 – insofern hat die 222-Jahre-Feier einen süßlich-faden Beigeschmack. Mülhens kaufte im Übrigen 1803 einem in Bonn lebenden „Eau de Cologne“-Produzenten, Carl Franz Maria Farina, den Namen ab; seine Firma hieß nun – bis 1881– „Franz Maria Farina“ (siehe Kasten „Der Name Farina“).

In ihrer Werbung leistete sich die Firma 4711 übrigens einen schönen Fauxpas: 1949, als erstmals der „Reiter in der Glockengasse“ bemüht wurde, hat man eine Anzeige gefertigt, auf der im Hintergrund der bereits vollendete Dom zu sehen ist – „die Fertigstellung der Kathedrale wurde um knapp 90 Jahre vorverlegt“, bemerkt die Historikerin Kaun süffisant.

Für den Stadtführer Günter Schwanenberg, zu dessen Spezialgebiet die „Franzusezick“ gehört, ist das allerdings nur ein Schönheitsfehler: „Man kann sich doch mal vertun, die Kölner lieben Geschichten wie die mit dem Reiter; und wenn sie nicht stimmen? Mäht nix – Hauptsache, es ist 'ne schöne Geschichte.“