Mareike Marx, die neue Intendantin des Hänneschen in Köln, spricht im Interview unter anderem über die Zukunft ihres Theaters und mögliche Modernisierungen der Stücke im Bezug auf Diversität und Gleichberechtigung.
„Vielleicht ist das blauäugig“So will neue Hänneschen-Intendantin schwierige Aufgabe meistern
Frau Marx, Sie sind seit Anfang November Intendantin des Hänneschen-Theaters. Wie ist der erste Eindruck?
Mareike Marx: Sehr gut. Ich habe das Gefühl, alle sind sehr ehrgeizig und möchten einen guten Job machen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.
Haben Sie einen persönlichen Bezug zum Hänneschen?
Ich war als Kind oft im Hänneschen-Theater. Unsere Nachbarn Heinz und Lissy, ein älteres, kinderloses Ehepaar, haben meine Brüder und mich öfter mitgenommen, zu Weihnachtsmärchen oder zur Puppensitzung. Diese Eindrücke waren sehr prägend. Als ich jetzt im Zuge der Bewerbung wieder hier war, war das wie nach Hause kommen. Es brauchte zwei Bewerbungsverfahren, bis die Stadt fündig wurde bei der Stellenbesetzung. In der ersten Bewerbungsphase war ich damit beschäftigt, das Metropol-Theater durch die Corona-Zeit zu manövrieren. Als die Stelle dann erneut ausgeschrieben wurde, habe ich das aufmerksam gelesen und sofort gedacht: Ach, die suchen ja dich! Jetzt habe ich die große Ehre, dieses altehrwürdige Haus in die Zukunft zu führen.
In den letzten Jahren gab es Querelen unter den Mitarbeitern und hohe Krankenstände. Ihre Vorgängerin verlängerte ihren Vertrag nicht. Keine leichte Ausgangssituation.
Das habe ich den Zeitungen entnommen. Aber ich war nicht dabei und kann deshalb nichts dazu sagen. Mir ist gute Teamarbeit wichtig. Ich habe das Gefühl, alle machen ihren Job mit sehr viel Leidenschaft. Sollten Probleme auftreten, müssen wir miteinander sprechen und die ausräumen. Eine gute Kommunikation untereinander ist die Basis. Ich versuche erst einmal zu verstehen, wie das abläuft hinger d’r Britz. Mein Kölsches Herz wird mir dabei helfen, alles zu verstehen. Man sagt mir einen gewissen Mut und Pack an nach. Vielleicht ist das blauäugig, aber Angst habe ich keine vor der Aufgabe. Neu für mich ist die Größe des Theaters und die Tatsache, dass es ein städtisches Unternehmen ist. Ansonsten ist vieles ähnlich wie beim Metropol, etwa die Probenprozesse.
Noch haben sie eher eine Außensicht. Was sind die Pfunde, mit denen das Theater wuchern kann?
Der Humor, der ruhig auch mal derb sein darf. Die Kölsche Seele. Das Zauberhafte. Zerbrechliche Momente, dieses ständige zwischen laache un kriesche sein. Das ist ganz viel von dem, was gutes Theater braucht. Und natürlich die Tradition. 2024 wird das Theater 222 Jahre alt. Da müssen wir Kölner stolz drauf sein.
Die Faszination Hänneschen wurde beim Mini-Rosenmontagszug besonders deutlich, der bundesweite positive Resonanz hatte. Im Gegensatz dazu steht die Besucherstruktur, die etwas zugespitzt nur zwei Altersgruppen hat: U10 und Ü60. Ihnen fehlen drei Generationen dazwischen. Wie wollen Sie das auffangen?
Ich gebe Ihnen Recht, wir müssen uns gerade dem jüngeren Publikum öffnen. Das steht ganz oben auf meiner Agenda und wird ein Schwerpunkt meiner Arbeit sein. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen: Die Knollendorfer sollen die Knollendorfer bleiben, das soll nicht verwässert werden. Aber es gibt doch den einen oder anderen theatralen Weg, um das Kindern zugänglicher zu machen. Der Zauber, der dem Hänneschen innewohnt, ist ungebrochen, aber man muss eine Brücke schlagen, um die Jungen abzuholen.
Hätten Sie ein Beispiel?
Ich würde gerne ausprobieren, andere Puppen dazu zu holen. Unsere Geschichten sind manchmal sehr gerade heraus. Ich will Platz schaffen für Mystisches, Zauberhaftes, …
…so fantasymäßig?...
… ja, Märchenhaftes. Andere Bühnen wie Cipolla aus Bremen oder die Duda Paiva Company aus Amsterdam, die haben so ganz fantastische Puppenwesen. Man könnte die Knollendorfer in die Linie 5 einsteigen lassen, die verfährt sich und dann begegnen sie ganz anderen Wesen. Sowas könnte ich mir gut vorstellen.
Für den Rosenmontagszug hat man das Theater verlassen. Auch ein Weg für die Zukunft?
Absolut. Ich wünsche mir eigentlich eine Wanderbühne zusätzlich. Die soll bestenfalls so aussehen wie 1802. Man sieht auf den ersten Blick: Das ist etwas völlig anderes. Die Tradition betonen und damit in die Veedel gehen. Guckt, ihr Leute, so hat das angefangen, und das gibt es immer noch. So könnte man auf Straßenfesten spielen oder in Schulen. Die Menschen überraschen, auf sie zugehen. Vielleicht besuchen sie uns dann auch am Eisenmarkt. Eine andere Idee wäre ein Puppenumzug durch die Stadt – mit Kranpuppen. Hännschen und Bärbelchen als Großpuppen treffen sich bei Kölscher Musik auf einer der Rheinbrücken. Wir müssen Menschen berühren.
Wie wollen Sie an die Stücke rangehen? Die Qualität in den letzten Jahren war sehr unterschiedlich, manches wirkte aus der Zeit gefallen.
Ich bin ein Fan von guten, nachvollziehbaren Geschichten mit starken Typen. Vielleicht müssen wir manches vorsichtig entstauben, ohne das Tradierte zu beschädigen. Die Stücke müssen weltoffener, diverser, gleichberechtigter werden. Das ist der Zeitgeist, dem müssen wir uns anpassen. Ein kritischer Blick auf die Stadt gehört dazu. Wat morjens passeet, kütt ovends op et Tapeet.
Beinhaltet das Entstauben auch technische Modernisierungen?
Ich würde gerne probieren, Puppenspiel mit moderner Videotechnik zu kombinieren. Die Puppenköpfe sind ja in sich unbeweglich. Auf der Bühne schafft der Puppenspieler durch Bewegung und Haltung verschiedene Ausdrücke, die der Besucher erkennen kann. Das funktioniert vor der Kamera allerdings nur sehr begrenzt. Da gelten andere Gesetze. Die muss man berücksichtigen, das will ich ausprobieren. Augenzwinkern oder die Mundwinkel verändern, mal sehen. Erst gilt es aber, andere Dinge zu ordnen.
Es gibt einige unbesetzte Stellen. Wie gehen Sie das Problem an?
Ich muss erstmal schauen, wo am dringendsten jemand gebraucht wird. Dann wird es Castings geben.
Werden Sie selber spielen?
Also erstmal nicht, mein Fokus liegt auf anderen Dingen. 2024 wird das Theater 222 Jahre alt. Für den Rosenmontagszug habe ich schon angefragt, erste Gespräche hat es bereits gegeben. Wir wollen im Jubiläumsjahr mit vielen Aktionen das Hänneschen in den Alltag der Kölnerinnen und Kölner bringen.
Dürfen wir uns denn in der kommenden Puppensitzung auf den ersten weiblichen Prinz im großen Kölner Karneval freuen?
Das wäre schön, oder? Ich fänd’s toll. Lassen Sie sich überraschen.