Kölnerin fertigt besondere TaschenWenn der Kunde Espresso für ein Jahr spendiert
Köln – Seit Anbeginn dieser Rubrik achte ich sehr darauf, wie sich Menschen bewegen. Bei hastig wirkenden Personen, das weiß ich, habe ich keine Chance. Aber diese Frau wirkt weder hastig noch gehetzt, sondern auf schöne Weise beschwingt, deshalb spreche ich sie an. Dass ich ihr später fast mit Tränen in den Augen gegenübersitze, liegt an einer Begebenheit, die sie mir zum Schluss erzählt und die ich mir deshalb ebenfalls fürs Ende aufheben werde.
Zunächst einmal erfahre ich, dass mich mein Eindruck nicht getäuscht hat. Das Energetische oder Beseelte, das ich bei Maren Dessel wahrnehme, rührt daher, dass sie gerade getanzt hat. Das tut sie, wie sie erzählt, „seit meinem ersten Hexenschuss vor zwei Jahren“.
Tanz als Leidenschaft
Sie, die den eigenen Worten nach „so gar nicht fürs Fitness-Studio gemacht“ ist, kam durch einen Film über den israelischen Choreografen Oha Naharin zu „Gaga“, einer neuen Bewegungssprache. Zu ihrem Glück fand sie in Deutz eine Schülerin Naharins, die „sowohl Profitänzer unterrichtet, die das fürs Ballet nutzen als auch totale Laien, die Körpererfahrung machen möchten“. Naharin werde vielfach mit Pina Bausch verglichen, erzählt Dessel, die wegen des Corona-bedingten Unterrichtsausfalls mit Online-Induktionen weitertanzt.
„Der Tanz ist sehr sinnlich, genauso sinnlich wie mein Handwerk!“ Ich erfahre, dass die 40-Jährige nahe der Eigelsteintorburg eine Ledermanufaktur betreibt und Taschen aus Rinds- und Pferdeleder entwirft und fertigt. Gerade experimentiere sie mit einem neuen Muster – dem Geflecht der Wiener Kaffeehaus-Stühle. Dieses habe sie in Leder lasern lassen, um daraus Taschen zu fertigen.
Eine außergewöhnliche Geste
„Aber ist das nicht eher ein Kraftakt?“, frage ich mit Gedanken an Hammer und Lederahle zum Vorstechen von Löchern. „Das kann es auch sein“, bestätigt Dessel, die aber offenbar ein Talent dafür hat, selbst das Anstrengende mit Genuss zu paaren. Sie höre bei der Arbeit gerne klassische Musik. Das könne der „Elias“ von Mendelssohn sein oder Pergolesi, erzählt die gelernte Raumaustatterin. Kunden, die zur ihr reinkämen, stellten zunächst fest, wie gut es nach Leder dufte und sagten dann: „Lassen Sie die Musik ruhig laut!“
Bei ihr müsse auch „immer Schokolade auf dem Tisch stehen“. „Und ich muss morgens und nachmittags Kaffee trinken gehen.“ Das „Dreiviertel“ am Eigelstein sei längst zu ihrem zweiten Wohnzimmer geworden. Und jetzt könne sie auch gar nicht mehr wechseln.
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„Weshalb nicht?“, will ich wissen. Vor der Corona-Krise habe sie einen Kunden aus Magdeburg gehabt, der sich für 5000 Euro eine große Tasche aus Pferdeleder habe anfertigen lassen, sagt Dessel. Kurz nachdem er diese augenscheinlich überglücklich bei ihr im Geschäft in Empfang genommen hätte, sei sie in ihr Stammcafé. Sie müsse ihren Espresso nicht bezahlen, erfuhr sie dort. „Und alle weiteren bis zum Ende des Jahres auch nicht mehr.“ Das hatte ihr letzter Kunde gerade erledigt.
„Das ist ja unglaublich“, sage ich mit fast feuchten Augen. Dessel nickt und versichert: „Ich könnte Ihnen noch mehr derartige Geschichten erzählen und Sie dabei unter den Tisch heulen!“
Wie reagieren Menschen – was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zu einem Kaffee einlädt? Dieser Frage geht Susanne Hengesbach in ihrer Serie „Zwei Kaffee, bitte“ nach.