„Laufen macht mich glücklich“Manfred Claaßen startet mit 77 bei seinem 100. Marathon
Köln – Manni (77) ist ein Laufmonster. So heißt sein Lauftreff. Und dies ist keine Heldengeschichte. Weil Manni keine Heldengeschichten mag. Manni steht nämlich äußerst ungern im Mittelpunkt. Da würde er am liebsten davonlaufen. Doch diesen Gefallen können wir ihm nicht tun. Das ist Manni selber schuld. Weil er am Sonntag seinen 100. Marathon läuft. In Köln. Wo sonst?
Jetzt könnten wir all seine Heldengeschichten erzählen. Dass er immer noch unter vier Stunden läuft. Dass er 2011 mal Deutscher Vizemeister seiner Altersklasse war. Dass er wöchentlich mehr als 70 Kilometer abreißt, seine Bestmarke bei 2:47 Stunden steht und dass er niemals aufgibt, sich in Hamburg selbst mit einem Muskelfaserriss und Höllenschmerzen ins Ziel schleppte.
Tun wir aber nicht. Manfred Claaßen sitzt im blauen Trainingsanzug mit seiner Frau Hildegard (75) am Küchentisch in ihrer gemütlichen Wohnung in Dünnwald. Die beiden sind mehr als 50 Jahre verheiratet. Da kann man offen reden. Über die Lust am Laufen – und über den schmalen Grat, der zwischen Laufbegeisterung und Fanatismus liegt. Und was das für eine Beziehung bedeutet. Übrigens: Unter Läufern duzt man sich.
Manni, wie hat alles angefangen?
Manfred: Das war 1977. Also vor genau 40 Jahren. Ich habe in einer Lackfabrik in Zollstock gearbeitet und bin mit drei Kollegen an einem Mittwoch um den Adenauerweiher gerannt. Nach einer Runde habe ich gedacht: Mein Gott, was bist Du für eine schlappe Sau. Die Kollegen haben im Winter aufgehört. Es war ihnen zu kalt und zu nass. Ich habe mir beim Kaufhof für neun Mark ein paar Schuhe gekauft, bin durch den Dünnwald gerannt und so zum Lauftreff des Dünnwalder TV gekommen.
Hildegard: Bis dahin warst Du eigentlich gegen Sport.
Manfred: Nein. Nicht gegen Sport. Wir haben gekegelt, sind Rad gefahren. Wir haben die Feste gefeiert, wie sie kamen. Skat spielen, mal an der Theke, Ich hab’ auch gerne mal ein Glas Bier getrunken.
Und heute?
Manfred: Ich feiere immer noch gern. Aber heute fahre mit dem Auto zu irgendwelchen Feiern, wenn das im Rahmen bleibt, trinke eben mein alkoholfreies Bier. Vor einem Marathon bin ich natürlich nicht morgens bis vier Uhr unterwegs.
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Hildegard: Na ja. Das Laufen hat damals schon viel verändert. Auch für das Familienleben. Wenn es sonntags hieß, lass uns mal irgendwo hinfahren, ging das nicht. Oder bei einer Familienfeier am Samstag. Da war immer um zehn Uhr Schluss. Ich habe sonntags einen Lauf, hieß es dann.
Was ist so faszinierend daran, dass Du Dein ganzes Leben dafür umgekrempelt hast?
Manfred: Ich habe einfach die Lust am Laufen entdeckt. Und dann kamen die ersten Wettkämpfe. Die Zeiten wurden auch immer besser. Ich habe gespürt. Du hast Talent. Heute kann ich mir einen Tag ohne Laufen gar nicht mehr vorstellen.
Hildegard: Ich mir auch nicht.
Das klingt nicht gerade begeistert.
Hildegard: Sind wir mal ehrlich. Die ersten Jahre waren sehr schwierig. Dem Laufen wurde alles untergeordnet. Auch die Familie. Ich musste mir meinen eigenen Freizeitplan machen. Wir haben uns geeinigt. Er macht seine Sporttouren. Ich bin dann lieber mit meiner Freundin unterwegs. Auch im Urlaub.
Manfred: Schiffsreisen mag ich nicht. Den ganzen Tag auf einem Schiff rumlungern – das ist nichts für mich. Da fahre ich lieber nach Garmisch-Partenkirchen oder nach Österreich zum Bergwandern – von Hütte zu Hütte. Im Urlaub mache ich auch keine Wettkämpfe.
Hat Ihr Mann Sie mit seiner Begeisterung nicht anstecken können?
Hildegard: Ein Zeit lang schon. Wir sind immer zum Training beim ESV Gremberghoven gefahren. Ich bin im Königsforst sogar mal einen Halbmarathon gelaufen, in 2:06 Stunden. 500 Meter vor dem Ziel wollte ich aufgeben. Da kam er mir entgegen. „Und Du schon mal gar nicht“, habe ich gesagt. Er hat es einfach übertrieben, andere Dinge vernachlässigt. Ich habe mich dann darauf beschränkt, beim Marathon zu helfen. Wasser, Bananen und Medaillen verteilen.
Macht Laufen einsam?
Manfred: Nein. Man kennt sich ja, wird überall angesprochen. Aber ein gewisser Grad von Fanatismus muss schon sein. Oder sagen wir besser Ehrgeiz. Laufen macht mich glücklich. Wenn ich eine Leistung erbracht habe, wenn ich ins Ziel komme. Dann denke ich mir: „Mein Gott, was hast Du da wieder geschafft? Manni, super hast Du das gemacht.“
Hildegard: Ich kann das nicht teilen. Ich muss immer daran denken, was Du alles aufgegeben hast. Deine Lauffreunde sind alle deutlich jünger als Du. Was ist, wenn Du mal älter wirst und nicht mehr kannst? Werden die dann auch noch kommen? Mir wäre lieber, Du hättest auch ein paar Freunde in Deinem Alter. Auch wenn Du mal an der Theke stehst.
Manfred: Ich bin lieber mit Jüngeren zusammen. Allein die ganzen Reisen. Nach New York, nach Kapstadt. Zum Zugspitzlauf, zum Jungfrau-Marathon, ich laufe sehr gerne Berge. Wenn ich die Älteren sehe, die eine dicke Plauze mit sich rumschleppen müssen – die könnten doch auch ein bisschen was tun, denke ich dann immer. Aber die erzählen immer nur von ihren Krankheiten.
Du bist topfit. Macht Dich das stolz?
Manfred: Ein wenig schon. Ich möchte möglichst lange noch mobil bleiben. Beim Stadtlauf in Bergisch Gladbach bin ich die zehn Kilometer noch unter 50 Minuten gelaufen. Innerlich freut mich das.
Hildegard: Du solltest das viel mehr zeigen. Du hast ja auch schon einiges hinter Dir.
Was denn?
Manfred: Eine schwere Operation. Und ich habe Osteoporose, da sind mir zwei Knochen zusammengeklappt. Ich war überall im roten Bereich. Aber ich habe das im Griff. Zweimal ist die Achillessehne gerissen. Einmal unter der Ferse. Da mussten sie was vom Knochen wegnehmen. Noch mal darf das nicht passieren, hat der Arzt mir gesagt. Aber ich möchte den anderen zeigen, dass man trotzdem noch Sport machen kann.
Und wenn Du mit dem Laufen aufhören müsstest?
Manfred: Eine Katastrophe wäre das. Obwohl: Dann ich würde walken. Und mehr Fahrrad fahren.
Was wird am Sonntag passieren, bei Deinem 100. Marathon?
Manfred: Ich weiß es nicht. Ich laufe am liebsten allein. Aber das wird diesmal wohl nichts werden. Ein paar Laufmonster wollen mich begleiten, ein paar Triathleten. Wenn ich im Ziel bin, trinke ein paar Kölsch, gehe duschen und dann die paar Meter zum Weißen Holunder. Da treffen sich die Laufmonster einmal im Monat zum Stammtisch. Der ist bei Kilometer 28 an der Gladbacher Straße. Ich weiß nicht, was sie vorhaben. Ich weiß nur, dass ich das alles gar nicht möchte. So groß feiern.
Und danach?
Manfred: Ende Oktober laufe ich dann noch den Marathon in Frankfurt. Das ist dann der letzte für dieses Jahr. Nach Bonn, Düsseldorf, Monschau und Köln.
Immer weiter, immer weiter. Hildegard, was sagen Sie dazu?
Hildegard: Ich habe mich daran gewöhnt. Es wäre schlimm, wenn es jetzt wieder anders würde.