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Kokain-Kuriere in KölnWie Körperschmuggler ihr Leben riskieren

Lesezeit 5 Minuten
Sichergestellte Bodypacks mit Kokain

In Köln sichergestellte Bodypacks mit Kokain

David Rodríguez (Name geändert) hat mehrere Tage harter Ausbildung hinter sich, als er im venezolanischen Caracas ins Flugzeug steigt. Sein Ziel ist Frankfurt, seine Auftraggeber warten in einem Hotel am Flughafen. Rodríguez wird sich als Tourist ausgeben, sollten ihn die Zöllner bei der Passkontrolle aufhalten.

Er wolle ein paar Tage durch Europa reisen, wird er sagen, sich vielleicht den Eiffelturm ansehen und den Kölner Dom. Um glaubhaft zu wirken, hat Rodríguez ein paar Reiseführer und einen Fotoapparat eingesteckt. Im Flugzeug darf er weder essen noch trinken. Die nächsten 36 Stunden muss er seinen Stuhlgang unterdrücken – sonst könnte seine Tarnung auffliegen.

80 Päckchen mit insgesamt einem Kilo Kokain geschluckt

Der Familienvater ist das, was die Zöllner einen „Körperschmuggler“ oder „Schlucker“ nennen. In seinem Magen transportiert Rodríguez fast ein Kilo Kokain, verpackt in mehreren Kondomen mit jeweils 20 Gramm reinsten Rauschgifts, die er vor dem Flug heruntergeschluckt hat. Vor allem südamerikanische Banden haben diese Methode des Drogenschmuggels professionalisiert.

Unserer Erfahrung nach ist es in den vergangenen Jahren immer mehr geworden
Jens Ahland, Hauptzollamt Köln

Die Mengen an Rauschgift, die die illegalen Kuriere in Körperöffnungen oder im Magen versteckt über die Grenzen schaffen, nehmen weltweit zu. Das bekommt auch der Zoll in Köln zu spüren. „Unserer Erfahrung nach ist es in den vergangenen Jahren immer mehr geworden“, sagt Jens Ahland vom Hauptzollamt Köln. „Das betrifft auch die Mengen, die ein Einzelner transportiert.“ 80 Päckchen mit insgesamt mehr als einem Kilo Kokain seien inzwischen keine Seltenheit mehr.

„Der komplette Magen-Darm-Trakt war voll mit Drogenpäckchen“

Ende November vorigen Jahres gelang den Kölner Fahndern ein „trauriger Rekord“, wie Ahland es nennt: Genau ein Kilo und acht Gramm Kokain fanden sie im Körper eines 39-jährigen Nigerianers, zusammengepresst in 72 Bodypacks – eine größere Menge Drogen haben die Kölner Ermittler bislang noch nie bei einem Körperschmuggler sichergestellt. „Die Röntgenaufnahme in einem Krankenhaus bestätigte letztendlich den Verdacht“, berichtet Ahland. „Der komplette Magen-Darm-Trakt des Mannes war voll mit Drogenpäckchen.“

Kurier verstrickt sich bei Befragung in Widersprüche

Aufgeflogen war der Mann bei der Kontrolle eines Reisebusses auf einem Rastplatz an der A3 bei Bad Honnef. Der Bus war auf dem Weg aus Brüssel über Köln und München nach Kroatien. Der 39-Jährige habe sich auffällig nervös verhalten, habe kaum Gepäck dabei gehabt und habe sich widersprochen, als er den Zöllnern von seiner angeblich mehrtägigen Reise erzählte, sagt Ahland. Ein Drogenwischtest an seinen Händen erhärtete den Verdacht, die Röntgenaufnahme bestätigte ihn.

Damit die Kondome im Magen nicht aufplatzen, sind sie meist mit einer Wachsschicht überzogen und versiegelt. Sollte sich auch nur ein Gramm des hochgiftigen Stoffs im Magen ausbreiten, wären die Schmuggler innerhalb von fünf Minuten tot. Kein Arzt der Welt könnte sie retten.

Auf dem Röntgenbild ganz links sind kleine, ovale Bodypacks mit Rauschgift zu erkennen

Auf dem Röntgenbild sind links kleine, ovale Bodypacks mit Rauschgift zu erkennen

Ihre Kuriere werben Hintermänner der Drogenkartelle häufig in Bars auf den karibischen Inseln oder in ärmsten Gegenden Kolumbiens und Venezuelas an. Zwischen 3000 und 5000 US-Dollar verdienen die Männer und Frauen für eine erfolgreiche Lieferung nach Europa – Summen, mit denen sie in ihrer Heimat monatelang überleben können. In professionellen „Schluckerschulen“ werden die Schmuggler auf ihre Reisen vorbereitet. „Das sind regelrechte Trainingscamps“, sagt ein Zollermittler.

„Schlucker“ bereiten sich in Trainingscamps vor

Dort lernen die „Schlucker“, ihren Darm an die bevorstehenden Belastungen zu gewöhnen. Sie schlucken Weintrauben und Karotten unzerkaut herunter, im fortgeschrittenen Stadium ganze Tomaten. Verdauungshemmende Medikamente sorgen dafür, dass die Früchte im Darm nicht weitertransportiert werden und der Stuhlgang fast zwei Tage ausbleibt. Die Schmuggler lernen, wie sie sich bei Passkontrollen zu verhalten haben und welche Legenden sie den europäischen Zollfahndern auftischen können. Das oberste Gebot lautet: unauffällig sein.

Hintermänner statten die Schmuggler mit Legenden aus

Viele Organisationen statten ihre Kuriere mit raffinierten Legenden aus. Die Zöllner können sich häufig nur auf ihre Erfahrung und ihren Instinkt verlassen. Bestimmte Flugverbindungen haben sie besonders im Visier. Wer ihnen verdächtig erscheint, den befragen die Ermittler nach seinem Reisegrund.

Er muss Tickets und sein Gepäck zeigen. Haben die Beamten den Verdacht, dass sie es mit einem „Schlucker“ zu tun haben, dürfen sie keine Zeit verlieren. Immer wieder kommen Körperschmuggler qualvoll zu Tode, weil sich eines der Pakete im Magen öffnet. Bei oraler Einnahme von Kokain variiert die tödliche Dosis zwischen einem und zwei Gramm. „Wir haben auch immer wieder Fälle, wo die Schmuggler einen Teil der Ware im Körper transportieren und den Rest im Gepäck, weil sie sagen, sie hätten es einfach nicht geschafft, alles herunterzuschlucken“, berichtet Zollsprecher Ahland.

Manchmal fallen die Lügengebäude auch schon bei der ersten Frage in sich zusammen. So etwa bei einem Körperschmuggler aus Osteuropa, der Kölner Zöllnern bei der Einreise aus Kolumbien einmal weismachen wollte, er habe dort drei Wochen Urlaub im Strandhotel verbracht. „Eine glatte Lüge. Der Mann war weiß wie eine Wand“, erinnert sich der Fahnder.

Zollfahnder bekommen 11,10 Euro Erschwerniszulage

Unter ärztlicher Aufsicht bekommen die Verdächtigen Abführmittel verabreicht. Für die Polizisten heißt es dann: warten. Denn oft dauert es stundenlang, bis alle Päckchen ausgeschieden sind. Die Beamten müssen die Bodypacks aufsammeln, waschen, wiegen und als Beweismittel sicherstellen. Kein angenehmer Job, den Zollfahndern steht daher eine gesetzlich vorgeschriebene „Erschwerniszulage für Tätigkeiten mit kontaminierten Gegenständen“ zu: 11,10 Euro täglich, höchstens 111 Euro pro Monat.

Auch David Rodríguez aus dem venezolanischen Caracas hatte sich nicht optimal vorbereitet. Die Reiseführer und der Fotoapparat in seinem Rucksack beeindruckten die Zöllner wenig. Sie wurden misstrauisch, weil der Südamerikaner für seine angebliche Europarundreise nichts außer Handgepäck bei sich hatte.

Tim Stinauer

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Nach kurzer Befragung brachten sie Rodríguez ins Krankenhaus. In seiner Vernehmung gab er zu, das Risiko auf sich genommen zu haben, um seiner Familie zu helfen. „Von 5000 Dollar hätten wir ein halbes Jahr leben können.“ Stattdessen mussten seine Frau und die Kinder erst mal ohne den Vater auskommen. Er landete im Gefängnis.

Dieser Artikel ist erstmals am 25. März 2022 erschienen.