In einigen Schulen sind bauchfreie Oberteile per Kleiderordnung untersagt. Warum das fatal ist, kommentiert Annika Müller.
Kleidervorschriften an SchulenBauchfrei-Debatte fördert Sexismus und Victim Blaming
Die alljährliche Debatte um Kleidervorschriften in Schulen ist nichts anderes als Sexismus. Klar, er kommt verkleidet daher. Tut so, als ginge es nur um das Einhalten von Regeln, die einem respektvollen Miteinander zugrunde lägen. Und so diskutieren wir jetzt pünktlich zum Sommerbeginn wieder: Dürfen Schülerinnen mit bauchfreien Oberteilen in die Schule gehen?
Offiziell ist natürlich die Rede davon, welche Kleidung für Schülerinnen wie Schüler angemessen ist. Letztendlich geht es aber doch immer und hauptsächlich um die Kleidung von Mädchen. Und die hätten sich doch bitte zu bedecken, um allen ein konzentriertes Lernen zu ermöglichen.
Die wohl häufigste Begründung für das Verbot von bauchfreien T-Shirts oder Tops ist die vermeintliche Beeinträchtigung der Konzentration von männlichen Mitschülern – oder gar Lehrern. Vereinfacht ausgedrückt: Tom hat von Mathe keinen Plan, weil er Paula die ganze Stunde auf den Bauchnabel starren musste. Und Lehrer Schmidt konnte den Ablativ nur unzureichend erklären, weil Svenja ihre nackte Schulter zeigte. Ernsthaft jetzt?
An dieser Stelle offenbart sich das viel größere Problem, das hinter der Debatte um strengere Kleidervorschriften steckt. Die Diskussion selbst führt nämlich erst dazu, dass Mädchen im schulischen Alltag sexualisiert werden, sie befördert das sogenannte Victim Blaming, denn natürlich sind die Frauen immer Schuld. Und als wäre das noch nicht genug, diskriminiert sie auch die männlichen Mitschüler und die Lehrer, die demnach scheinbar über keinerlei Selbstbeherrschung verfügen und dazu über einen fast schon unmenschlich engen Interessenshorizont.
Strengere Kleidervorschriften vermitteln ein falsches Bild
Welchen Eindruck erweckt es bei Mitschülerinnen und Mitschülern, wird ein Mädchen wegen ein paar Zentimetern nackter Haut am Bauch aus dem Unterricht gezogen? Der Ansatz, Schülerinnen beizubringen, dass sie sich bedecken müssen, um bei anderen Menschen nicht die falschen Reaktionen hervorzurufen, hat fatale Auswirkungen. Er erzieht eine weitere Generation Frauen dazu, sich nicht gegen Täter sexueller Übergriffe zu wehren, sondern die Schuld bei sich selbst zu suchen.
Kleidung ruft Reaktionen hervor. Darüber müssen Schülerinnen und Schüler gleichermaßen aufgeklärt werden. Aber männlichen Schülern sollte nicht pauschal vorgeworfen werden, sich nicht benehmen zu können, wenn ihre Mitschülerinnen ein kurzes T-Shirt anhaben. Und Lehrern schon gar nicht, das grenzt an den Vorwurf von pädophilen Fantasien.
Schulen müssen sichere Räume für Kinder sein. Hier entwickeln sie ihre Persönlichkeit. Es geht hier auch um Selbstbestimmung, freie Entfaltung für junge Menschen, bevor es in die stärker regulierte Arbeitswelt geht. Teil dieser Persönlichkeitsentwicklung ist auch die Entwicklung eines eigenen Stils. Beeinflusst wird der dabei auch von aktuellen Modetrends. Und Influencer, Modemagazine, Stars, Film und Fernsehen zeigen derzeit: Bauchfrei liegt absolut im Trend.
Dass gewisse Regeln bei der Kleidung sinnvoll sind und Schülerinnen und Schüler nicht in Unterwäsche zum Unterricht erscheinen sollten, steht außer Frage. Es gibt aber wohl auch kaum Schülerinnen oder Schüler, die das gerne machen würden. Die Forderung, im Unterricht mit bauchfreien Oberteilen sitzen zu dürfen, bedeutet keineswegs, dass Mädchen in Cluboutfits zur Schule gehen wollen.
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