Kundgebung auf der KeupstraßeHunderte gedenken Opfern des Nagelbombenanschlags
Köln – Rund 300 Menschen haben am Donnerstagabend in Mülheim Opfern rassistischer Gewalt in Deutschland generell sowie dem Anschlag in Köln am 9. Juni 2004 gedacht, bei dem in der Keupstraße eine Nagelbombe explodierte und zahlreiche Menschen verletzte.
„Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit, Konsequenzen.“ – unter diesem Motto versammelten sich die Menschen einem Aufruf der Initiative „Herkesin Meydanı — Platz für Alle“ folgend an der Kreuzung der Keup- mit der Schanzenstraße.
Dieser Ort ist seit Jahren Gegenstand einer Debatte darüber, wo genau und in welcher Ausgestaltung ein Mahnmal errichtet werden soll, um den Betroffenen und Angehörigen der Opfer einen Gedenkort in Tatortnähe zu geben sowie ein Zeichen der Stadt Köln gegen Rassismus zu installieren.
Witwe kommt nach Köln, um an die Opfer zu erinnern
„Jedes Jahr komme ich mit meinen beiden Kindern einmal aus Hamburg nach Köln, um den Friedhof zu besuchen und um hier mit Euch an meinen toten Ehemann und Vater sowie alle weiteren Opfer zu erinnern“, sagte Candan Özer, Witwe des im September 2017 den Spätfolgen des Nagelbombenanschlags des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) in der Keupstraße erlegenen Attila Özer, auf der für die Kundgebung aufgebauten Bühne.
Betroffene fordern Zivilcourage und Mut
„Es macht mich fassungslos, dass man heute in Deutschland noch auf Menschen trifft, die die Namen Beate Zschäpe oder Uwe Mundlos nicht kennen oder zuordnen können“, so die 42-Jährige weiter. Auch Abdulla Özkan war am Donnerstag an den Ort zurückgekehrt, an dem er vor 18 Jahren so schwer verletzt worden war, dass er „bis heute täglich unter körperlichen Schmerzen und Einschränkungen leidet“, wie er sagt.
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„Dazu kommt der Schmerz darüber, dass die Politik und die Regierung in Deutschland uns Opfer spätestens seit dem Ende des NSU-Prozesses wieder vergessen und allein gelassen hat“, führt der heute 48 Jahre alte Mann aus. Noch bis zur Selbstenttarnung der Mitglieder NSU im Jahr 2011 war Özkan von den Ermittlungsbehörden verdächtigt worden, für den Anschlag verantwortlich zu sein. Direkt nach Ende des Prozesses gegen die drei bekannten NSU-Terroristen sei ihm außerdem die Opferentschädigung gekürzt worden, berichtet Özkan.
Die Menschen vor Ort folgten den Redebeiträgen zum Gedenken der Opfer, unter ihnen auch dem von Serpil Temiz Unvar, Mutter von Ferhat Unvar, eines der Opfer des Anschlags von Hanau 2020, bei dem neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet wurden, sowie von weiteren direkt Betroffenen und Vertretern von Gruppen, die sich solidarisieren und an die Anschläge an der Keupstraße und überall in Deutschland erinnern wollen.
„Ich weine, aber ich will auch kämpfen“
Gleichzeitig standen aber auch die Aufforderung nach Zivilcourage und Mut im Fokus der Veranstaltung, sich als Gesellschaft mehr und nachdrücklich gegen jede Form von Rassismus und den sich verbreitenden Rechtspopulismus in Deutschland zu stemmen. „Ich weine, aber ich will auch kämpfen“, sagte die über ein Telefon zugeschaltete Unvar aus Hanau.
Alle Rednerinnen und Redner dankten den Menschen vor Ort und machten deutlich, wie wichtig für sie das Gefühl sei, nicht allein zu sein mit Trauer und Wut. „Das Tätermotiv Fremdenhass, rassistische Polizeiermittlungen und diskriminierende Berichterstattung müssen neben der Erinnerung an die Opfer und ihre Angehörigen am Jahrestag des Nagelbombenanschlags von antirassistischen Gedenkinitiativen und solidarischen Menschen gleichzeitig benannt werden“, hieß es in einem Beitrag der Initiative Herkesin Meydanı. „Jedes Jahr aufs Neue, klar und laut.“