Kutterfrisch und derzeit heiß begehrtTorsten Neukirchen ist der Kölner Muschelmann
Köln – Sie haben ein unspektakuläres Aussehen, eine schwer zu beschreibende Konsistenz und eine unscheinbare Form. Aber sie sind zur Zeit an vielen Stellen Kölns heiß begehrt. Nicht weniger als zehn verschiedene Muschel-Zubereitungsarten listet allein die Speisekarte im „Bieresel“ auf, einer Institution in Sachen „Bivalia“, so der biologische Name für die durch eine zweiklappige Schale geschützten Weichtiere.
Obwohl Muschelspezialist Phil sich immer wieder neue Variationen einfallen lässt, etwa mit Dill und Peperoni oder mit Dijonsenf und Malzbier, entscheiden sich die meisten Gäste für den Klassiker „Rheinische Art“, wie auch Anita Jeschke. Die 81-jährige Kölnerin sitzt im Regenmantel draußen vorm Restaurant, vor ihr dampft der charakteristische schwarze Topf mit Weißweinsud, aus dem sie mit sichtbarer Freude das Meeresgetier fischt, derweil in der Küche des Traditionslokals ein halbes Dutzend Gasflammen den Nachschub der Sorte „Imperial“ erhitzen – etwa für Linda und Paul, ein junges verliebtes Paar, das die belgische Zubereitungsart mit Pommes bestellt hat.
An guten Wochenend-Tagen gehen laut Restaurantleiter Sandro Helm 170 Kilo Muscheln weg, was bedeutet, dass am Ende des Tages vier große Speiserestetonnen nichts anderes als Schalen enthalten. Ab und zu kann es – wie vorletzten Samstag – zu Wartezeiten kommen, weil alle verfügbaren Töpfe im Umlauf und sämtliche Herdflammen belegt sind.
Um zwei Uhr klingelt der Wecker
Damit auch andere altbekannte Muschelgaststätten, darunter Bauhäuser wie Päffgen, Sion oder die Malzmühle den Muscheln liebenden Kölnern die kleine Delikatesse aus dem Meer bieten können, verlässt ein Mann in dieser Stadt sein Bett bereits zu einer Zeit, wenn andere noch durchs Nachtleben schwärmen. „Der Wecker klingelt um zwei“, sagt Torsten Neukirchen. Wenig später heißt es für ihn bereits: laden und liefern. Wenn der 51-Jährige nicht gerade Zehn-Kilo-Säcke in den Transporter hievt, sitzt er am alten Holzschreibtisch seines Vaters, den Telefonhörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, und notiert Aufträge. Das kleine Büro mit den Steinfliesen und den vergilbten Zeitungsausschnitten an den Wänden ist gewissermaßen das Standbild der inzwischen über 50-jährigen Firmengeschichte.
Das könnte Sie auch interessieren:
Walter Neukirchen hatte das Unternehmen 1967 in Weidenpesch gegründet – gemeinsam mit seiner Frau Eda, die aus Friesland stammte und deshalb eine besondere Beziehung zur Nordsee und deren Bewohnern mitbrachte. Weil der inzwischen verstorbene Chef schon vor etwa einem halben Jahrhundert die Idee hatte, die damals unauffällig-schlichte Werbung für Muschelrestaurants etwas aufzupeppen, kennt heute in Köln praktisch jedes Kind die roten Hinweisschilder auf die „Kutterfrischen Seemuscheln“ der Firma Neukirchen.
Morgens um fünf nach Zeeland
Kutterfrisch, diese Behauptung ist übrigens nicht übertrieben. Wenn Christiane Neukirchen montags um fünf in der Früh den Firmentransporter in Richtung Zeeland lenkt und drei Stunden später im niederländischen Muschel- und Austerndorf Yerseke die Ware einlädt, haben die Muscheln „noch nicht mal eine Stunde“ das Meerwasser verlassen. Christiane Neukirchen mutet sich das frühe Aufstehen zu, weil das Kölner Unternehmen in der Nacht auf Sonntag und Montag nicht beliefert wird. Für Ehemann Torsten ist das Versprechen „täglich frisch“ nicht nur ein Slogan, sondern Geschäftsgrundlage.
Allerdings ist das Geschäft heute ein ganz anderes als etwa noch vor 25 Jahren. Damals hat das inzwischen in Bickendorf ansässige, kaum 150 Quadratmeter messende Unternehmen täglich bis zu acht Tonnen Muscheln verkauft. „Wenn es heute eine oder anderthalb Tonnen sind, bin ich zufrieden.“
24 Stunden in Meerwasser entsandet
Obwohl Muscheln – vielleicht ähnlich wie Reibekuchen – zu den wenigen Gerichten gehören, die nach wie vor hauptsächlich im Restaurant verzehrt werden, sind die Zeiten für Anbieter wie Neukirchen schwieriger geworden. Das allmähliche Sterben der Eckkneipen hat sich auch im Muschelgeschäft bemerkbar gemacht, und die Hauptkonkurrenz für das Familienunternehmen heißt inzwischen Metro, Handelshof und Rewe.
„Heute ist es fast wichtiger, saubere Muscheln als viele Muscheln zu haben“, betont der Kölner Muschelmann und berichtet von den inzwischen mit Reinigungsanlagen ausgestatteten Schiffen und davon, dass die Schalentiere vor dem Verkauf „24 Stunden in Meerwasser entsandet“ werden. Auch wenn die Kölner wahrscheinlich gerne hören würden, dass die Muscheln in dieser Stadt erfunden wurden, erfreuen sie sich in Bonn, Neuss oder im gesamten Rhein-Erft-Kreis ebenso großer Beliebtheit, weshalb Neukirchens vier Transporter auch ständig im Umland unterwegs sind.
Muschel-Gäste sind jünger geworden
Zurück zum Restaurant Bieresel, wo ebenfalls Menschen aus dem Kölner Umland vor ihren schwarzen Pötten sitzen. Die Muschel-Gäste seien deutlich jünger geworden, freut sich Restaurantleiter Helm. Die 29-jährige Linda und der gleichaltrige Paul sind inzwischen nicht mehr beim Händchenhalten, sondern damit beschäftigt, Muschelfleisch von der Schale zu zupfen. Zwischen den beiden dampft der Muscheltopf mit der extra großen Jumbo-Portion. „Super lecker“, befinden beide. „Auch die Pommes!“