Leben nur mit dem NotwendigstenWie Kölner der Krise mit Minimalismus trotzen
Köln – Plötzlich ist von Wesentlichem zu wenig da. Die Bertelsmann Stiftung hat in ihrer aktuellen Studie für diese Dekade gar den Megatrend „Rückkehr der Knappheit“ ausgerufen. Verbunden mit einer „Abkehr von der Maßlosigkeit“. Nachdem über Jahrzehnte alles zu jeder Zeit verfügbar war, herrscht nun Mangel – an Gas, an Wasser, an bestimmten Lebensmitteln, an Mikrochips.
Menschen wie Michael Klumb blicken allerdings sehr gelassen auf das, was sich da am Horizont im Zuge der von Kanzler Olaf Scholz angekündigten „Zeitenwende“ als neuer Zeitgeist ankündigt. Der 40-Jährige gelernte Augenoptiker und IT-Techniker ist der Vorreiter der Minimalismus-Bewegung hier im Rheinland. Menschen, die sich dem Minimalismus anschließen, versuchen, ihr Leben freiwillig auf das Notwendige zu beschränken. Schon vor zehn Jahren hat er damit angefangen als die Bewegung noch in den Kinderschuhen steckte.
Minimalismus: Zwei Bilder und eine Vase
Wer in seine Wohnung schaut, der hat blickt auf übersichtliche 42 Quadratmeter zum Leben. Ein einziger Raum, kleines Bad, Küchennische. Und trotzdem entsteht der Eindruck von heller Luftigkeit. Weder volle Regale noch Deko oder Klamotten trüben die aufgeräumte Ruhe. „Bei mir fällt einem nix entgegen“, meint er lachend.
Zwei Bilder, die ihm besonders wichtig sind, gibt es an den Wänden. Eine Vase. Ansonsten zwei Stühle an einem eckigen Tisch und ein Bett aus Industriepappe ohne Lattenrost. Wenn mehr Besuch kommt, leiht er sich bei Freunden oder Nachbarn Equipment wie Stühle oder zusätzliche Teller aus.
Kühlschrank ohne Gefrierfach
Die Küche, in den meisten Wohnungen ein Hort der vollen Schränke, ist schnell erzählt: Einen Topf und einen Wok, den er auch als Pfanne nutzt, besitzt er. „Damit kann man 95 Prozent aller Gerichte kochen. Mehr braucht es nicht“, erzählt er. Dazu noch zwei Teller, und zwei Müslischalen. Tasse und Gläser gibt es ein paar mehr. „Weil ja doch öfter mal jemand auf einen Kaffee oder ein Glas vorbeikommt. Auf elektrische Küchengeräte verzichtet er fast gänzlich. Einziger Luxus: ein Kühlschrank ohne Gefrierfach und zwei Induktionsplatten. Der Rest ist Handarbeit. Die Energierechnung ist entsprechend niedrig.
Da Klumb so etwas wie der Minimalismus-Pionier in Deutschland ist, versucht er, Gleichgesinnte zusammenzubringen. Er veranstaltete in Köln seit vielen Jahren monatliche Minimalismus-Stammtische und betreibt einen Minimalismus Blog.
Nicht nur aus Köln, sondern aus der ganzen Region hat Klumb Menschen in Kontakt gebracht, die wie er in der Abkehr vom Konsum mehr innere Freiheit suchen und finden. Zwischen 21 und 70 Jahren sind die alt. Seit der Pandemie trifft man sich der Stammtisch per Zoom, was den Kreis geografisch auf ganz Deutschland ausgeweitet hat.
Leben mit dem Notwendigen: 400 Gegenstände im Besitz
10.000 Gegenstände besitzt jeder Deutsche durchschnittlich. Bei Klumb sind es schätzungsweise 400. „Aber gezählt habe ich das nicht.“ Es gibt im Kreis der Minimalisten sogar solche, die sich auf 200 Gegenstände beschränken. „Eine mit mir befreundete Familie schafft es sogar, mit kleinem Kind mit 300 bis 400 Gegenständen auszukommen.“ Aber von dem ganzen Wettbewerb um die besessene Zahl der Gegenstände hält Klumb nichts.
„Das kann auch zum inneren Zwang werden und das ist dann ungesund.“ Ihm geht es vielmehr um das Wesentliche, was dahinter liegt: „Es geht um das Maßhalten statt um dogmatische Zahlen.“ Er selbst habe zu Beginn beim Ausmisten erst mal festgestellt, dass es gutgetan habe, Dinge loszuwerden und damit auch mehr Übersichtlichkeit zu schaffen. Es sei ein Aha-Erlebnis, dass man das Loslassen all der Dinge gar nicht als Verlust empfinde.
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„Aber in einem zweiten Schritt habe ich dann gespürt, dass mehr dahinter steckt als der Loslassen von Dingen. Nämlich ein Wertewandel: Weg vom kaufen und haben wollen hin zu der Frage, was macht mich wirklich glücklich.“ Wenn man physisch Platz in seinem Leben geschafft habe, stelle sich dann auch automatisch die Frage, „wie will ich die Zeit sinnvoll verbringen?“ Dabei betont Klumb, dass er keineswegs ein Asket sei und sich auch mal etwas gönne - gerade erst am Wochenende mit Freunden ein leckeres Frühstück im Restaurant im 25-hours Hotel mit Blick auf die Stadt.Es gehe vielmehr um die Haltung, die den Blick verändert.
Zufriedener und bewusster sei er geworden. Und irgendwie sei er durch den Minimalismus auch äußerlich und innerlich freier und flexibler geworden: So was wie Zukunftsängste angesichts der Krisen in Dauerschleife, hat er nicht: „Ich habe das Gefühl, ich könnte jederzeit irgendwo neu anfangen. Ich hänge einfach nicht so an den Dingen. Meine Wohnung ist nicht meine Burg, sondern einfach ein schöner Platz.“
Aus der Not eine Tugend machen
Den Minimalismus nun aber allgemein als Weg zu empfohlen, der ausgerufenen „Dekade der Knappheit“ zu begegnen, hält er aber für keine gute Idee. „Natürlich kann der Lebensstil dem einzelnen helfen, etwa mit dem jetzt plötzlich angezeigten Verzicht klarzukommen. Aber Minimalismus dürfe eigentlich nicht mit Druck oder Zwang einhergehen.
„Es ist ein positiver Lebensstil. Und es ist schwierig, wenn das von außen qua Umständen aufgezwungen bekommt, um aus der Not eine Tugend zu machen.“ Trotzdem: Natürlich wollen sie eine Art Beispiel geben, eine Anfrage sein. Gerade auch angesichts von Klimawandel und Ressourcenknappheit. „Da hilft es sich zu fragen, was Wohlstand für das eigene Leben heute bedeuten kann.“www.minimalismus-leben.de