Eklatanter Lehrermangel in KölnWenn der Steuerfachgehilfe Mathe unterrichtet
Köln – Nicole aus dem Nagelstudio übernimmt bald den Kunstunterricht.“ Die zugespitzte Zustandsbeschreibung einer Kölner Grundschullehrerin macht mittlerweile unter Personalräten und Gewerkschaftern die Runde. Der Lehrermangel an Grundschulen führt offenbar zu ganz neuen Aufstiegsmöglichkeiten: Ein Steuerfachgehilfe wird Mathelehrer, eine Musikerin bringt Kindern das Lesen bei, ein Türkischlehrer ist plötzlich auch für Deutsch und Englisch der Experte – nichts scheint mehr ausgeschlossen.
Das „Nein“ fällt schwer
In der Kölner Geschäftsstelle der Bildungsgewerkschaft GEW wurde vor kurzem über die Beschwerde einer Heilpädagogin verhandelt, die ohne zusätzliche Ausbildungen als Grundschullehrerin arbeiten wollte. Der Personalrat hatte zuvor sein Veto gegen die Einstellung eingelegt, was mittlerweile nur selten vorkommt. „Die Personalräte trauen sich kaum abzulehnen“, so Isabell Gödde von der GEW-Fachgruppe Grundschule. Sie berichtet von einer Bewerberin, die ein Schulleiter mit den Worten empfahl, dass sie Mutter von vier Kindern sei und Erfahrung in ehrenamtlicher Jugendarbeit aufweise. Jede unbesetzte Stelle an einer Schule verstärkt die ohnehin große Belastung für die Lehrer, die dort arbeiten.
Da kann man schlecht „Nein“ sagen, wenn der Schulleiter einen neuen Kollegen zur Entlastung vorschlägt – auch wenn er nichts studiert und wenig gelernt hat, was ihn für die neue Aufgabe qualifiziert.
Vorgeschmack auf die Zukunft in Köln
Es ist nicht leicht, einen Überblick über die Lage an den Kölner Grundschulen zu bekommen. Klar ist, dass andere Städte und vor allem ländliche Regionen mehr unter dem Mangel leiden als Köln.
Klar ist aber auch: Die aktuellen Zahlen sind nur ein Vorgeschmack auf das, was in den kommenden Jahren passiert, wenn es dem Land nicht schnell gelingt, mehr Menschen für ein Lehramtsstudium zu begeistern.
Zu Beginn des laufenden Schuljahrs konnte die Bezirksregierung nur die Hälfte der freien Lehrerstellen an Kölner Grundschulen neu besetzten. Personal fehlt auch für die Leitungsjobs: Zurzeit sind 13 Schulleiterstellen – vier mehr als im Vorjahr – und 27 Stellvertreterstellen unbesetzt. Alle Schulen dürfen nur noch die im Gesetz festgelegte Minimalwochenstundenzahl unterrichten – auch die, die in sozialen Brennpunkten eigentlich mehr für die Kinder tun müssten. Anträge von Lehrern auf Teilzeit werden nur bewilligt, wenn man Mutter oder Vater geworden ist oder Angehörige pflegt.
Lehrer für Kunst, Musik, Englisch und Sport gesucht
Die NRW-Landesregierung und ihre Behörden vor Ort – Bezirksregierung und das Schulamt für die Stadt – setzen darauf, dass mehr Quereinsteiger gewonnen werden können, um die Lücken zu füllen. Gesucht werden sogenannte Seiteneinsteiger, die dauerhaft den Beruf wechseln wollen, aber auch „Vertretungslehrer“, die befristete Verträge bekommen. Die Werbung um Seiteneinsteiger ist schwierig. Nach Angaben der Bezirksregierung sind seit Anfang 2017 gerade einmal 22 Menschen für einen Berufswechsel gewonnen worden. Gesucht werden Kunst-, Musik-, Englisch- und vor allem Sportlehrer. Sie sollen für den neuen Job geschult werden: Im ersten Jahr läuft eine praxisbegleitende Qualifikation. Die Seiteneinsteiger sollten langsam in die neue Aufgabe hineinwachsen.
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In der Praxis sieht das nach Angaben der Kölner GEW jedoch bereits ganz anders aus.
Seiteneinsteiger, die sich für eines der ausgeschrieben Fächer beworben haben, müssen direkt alles Mögliche unterrichten, sagt GEW-Geschäftsführerin Angela Bankert. Schon im Einstiegsjahr würde man einigen eine Klassenleitung übertragen.
Die Aufsichtsbehörden des Landes empfehlen etwas anderes, verweisen aber auf die „Eigenverantwortung“ der Schulleiter. Sie sind zuständig. Doch die Kritik blieb nicht folgenlos: Die Bezirksregierung hat die Schulleiter nun aufgefordert, Seiteneinsteiger in ihren ersten Monaten „aktiv zu begleiten“, wie ein Behördensprecher sagt.
Vertretungslehrer werden zu Dauergästen
Mehr Sorgen als die Beschäftigung von Seiteneinsteigern macht den Kritikern die Arbeit der sogenannten „Vertretungslehrer“, von denen es bereits rund 230 in Kölner Grundschulen gibt. Der Name täuscht: Es handelt sich nicht um „Lehrer“ die als „Vertretung“ einspringen, wenn irgendwo einer krank wird. Sie sind vielmehr dauerhaft an den Schulen im Einsatz.
Das Problem: Die meisten von ihnen haben keine Befähigung für das Lehramt, also keine akademische Ausbildung für den Beruf an Grund-, Haupt-, Real- oder Gesamtschulen. Nach Angaben der Bezirksregierung machen sie bereits heute fünf Prozent der Kölner Grundschullehrerschaft aus.Was diese „Lehrkräfte“ in den Schulen tun, weiß die Aufsichtsbehörde nicht genau. Sie empfiehlt den Einsatz der Vertretungslehrer „zum Beispiel in der Hausaufgabenbetreuung, für die Förderung der Kinder mit Deutsch als Zweitsprache oder für den Schwimmunterricht“. Nach Einschätzung der Gewerkschaft tun einige vor Ort offenbar deutlich mehr. „Das ist so, als wenn die Putzkraft im Krakenhaus operieren dürfte, weil sie vorher zweimal zugeschaut hat“, so Bankert.
Eltern wissen oftmals nichts über Qualifikationen
Eine Pflicht, die Eltern über die Qualifikation der „Lehrer“ zu informieren, gibt es nicht. Marina Schütte aus dem erweiterten GEW-Vorstand empfiehlt Eltern, „doch mal zu fragen, wie die Lehrer ihrer Kinder ausgebildet sind“. Möglicherweise empfängt sie einer der „Vertretungslehrer“ sogar als Klassenleiter beim Elternabend. Ausgeschlossen ist das nicht, räumt das Schulamt ein, und verweist auch hier auf das „Organisationsermessen“ der Schulleitung.
Besonders betroffen vom Lehrermangel sind Schulen in schwierigeren Vierteln, wo ein gutes Unterrichtsangebot eigentlich unerlässlich ist. Anders als bei der Verteilung von Sozialarbeitern gibt es keine Quoten bei der Stellenvergabe an Lehrer. Weil so viele Stellen frei sind, haben die Bewerber sehr viel Auswahl. Nur wenn irgendwo der Mangel allzu groß ist, drohen Lehrern Zwangsabordnungen ins unterversorgte Viertel. So etwas ist in anderen Region in Deutschland gang und gäbe. In Köln sind Abordnungen bislang nur innerhalb der fünf Schulamtsbezirke der Stadt erfolgt. Für Lehrer sind sie ein Schreckensszenario. Ihre Motivation dürfte so nicht befördert werden.
GEW fordert mehr Geld für Lehrer
Die GEW fordert, die Rahmenbedingungen für Lehrer an Grundschulen und die Qualifizierung der Seiteneinsteiger zu verbessern. Die Belastung von Grundschullehrern müsste angesichts vieler Herausforderungen sinken, nicht steigen. Wenn man den Beruf attraktiver machen wolle, müsse man auch über Geld reden. Es ist kein Zufall, dass die Statistik für die Gymnasien keinen Lehrermangel ausweist. Nach Angaben des NRW-Schulministeriums fehlen im Land in den kommenden zehn Jahren an allen anderen Schulformen rund 15 000, während es für die Gymnasien sogar einen Überhang in ähnlich hoher Zahl geben werde.