Leiter des Kölner Gesundheitsamts„Inzidenzwerte steuern auf dunkelroten Bereich zu“
- Dr. Johannes Nießen ist Leiter des Kölner Gesundheitsamtes – dem größten Deutschlands.
- Im Interview spricht er über die Hauptquellen für Neuinfektionen und weitere drohende Schritte bei steigenden Inzidenzwerten.
- Denn von diesen Zahlen, die auf einen dunkelroten Bereich zusteuern, hängt jetzt alles ab. Und das hat Folgen.
Sind Sie zufrieden mit den neuen Regelungen zu Sperrstunde, Feier und Gastronomie-Bereich?Dr. Johannes Nießen: Ich bin zufrieden, denn bei einem Flickenteppich sowohl in NRW als auch bundesweit ist es schwierig, Dinge zu erklären, geschweige denn umzusetzen. Ich finde es richtig, dass man eine einheitliche Sperrstunde hat und jeder weiß, wann Schluss ist. Auch die erweiterte Maskenpflicht ist gut. Dass das Beherbergungsverbot noch nicht finalisiert ist, ist bedauerlich, aber das ist nun mal so im Föderalismus. Wir sind auf einem guten Weg, aber er ist noch nicht zu Ende gegangen. Wir müssen jetzt in zwei Wochen schauen, ob die Maßnahmen wirken. Ich war eben auf der Schildergasse und bin positiv überrascht, wie viele Menschen die Masken tragen.
Wo liegen in Köln die großen Infektionsherde?
Vor allem bei Familienfeiern und Partys. Eine Problemgruppe sind die 20- bis 40-Jährigen. Aus dieser Gruppe kommt aktuell jeder zweite Fall. Die Leute kennen die Regeln, doch vergessen sie dann in lockerer Runde unter Alkoholeinfluss. Wir hatten letztes Wochenende einen typischen Fall: Eine 18-Jährige hat ihren Geburtstag gefeiert und von 40 Gästen haben sich mehr als 20 angesteckt. Insofern ist die Reduzierung der Teilnehmerzahl bei solchen Feiern richtig. Wir können nicht alles kontrollieren, aber wir haben eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung bei der Umsetzung der Regeln.
Warum gibt es aber dann auch Einschränkungen für Gastronomie, Kultur und Hotellerie? Die haben Hygienekonzepte und sind keine Hotspots.
Es war unsere Strategie in Köln, die Gastronomen zu unterstützen, die sich sehr engagiert haben mit Hygienekonzepten. Deshalb war unser Vorschlag ja auch eine Sperrstunde erst um 1 Uhr. Davon wären Restaurants weitgehend nicht betroffen gewesen. Aber die Bundeskanzlerin hat es jetzt auf 23 Uhr umgeswitcht. Letztlich dient das alles dazu, gut durch die zweite Welle zu kommen. Dazu müssen die Partys eingedämmt werden.
Aber warum müssen Theater jetzt auf 20 Prozent der Zuschauer reduzieren?
Wir sind nicht einverstanden mit der 20-Prozent-Regel, das haben wir auch nach Düsseldorf ins Gesundheitsministerium signalisiert. Und ich hoffe, dass das auch an diesem Freitag in der neuen Corona-Schutzverordnung seinen Niederschlag findet. Aber wir sind nicht die Entscheider.
Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga Nordrhein hat wegen der Sperrstunde gegen die Stadt geklagt. Und auch gegen das Beherbergungsverbot gibt es Klagen.
Was die Sperrstunde angeht, hat die Kanzlerin jetzt entschieden. Vom Beherbergungsverbot halte ich nicht allzu viel. Wenn man sich die Corona-Deutschlandkarte ansieht, dann ist das Berchtesgadener Land genauso rot wie das Emsland, wo wir als Kölner gerne hinfahren. Es geht darum, überall die AHA-Hygieneregeln einzuhalten. Ob man sich auf Sylt die Hände desinfiziert oder in Köln, hat die gleiche Wirkung.
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Verwirrung gab es in Köln um die Maskenpflicht auf ausgewählten Einkaufsstraßen. Warum hat man die nicht der Einfachheit halber flächendeckend eingeführt?
Das war ein rechtliches Problem, wir haben das prüfen lassen und es wäre wohl unter den jetzigen Umständen eine zu große Einschränkung der Freiheit des Einzelnen gewesen. Klagen dagegen hätten möglicherweise Erfolg gehabt. Bei einer bundesweiten Regelung wäre das möglich, aber Köln kann nicht allein vorpreschen. Als Kriterium haben wir stattdessen gewählt, dass sich der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht einhalten lässt.
Könnte es denn zur bundesweit flächendeckenden Maskenpflicht kommen?
Wenn die Zahlen weiter steigen, mag die nicht in allzu weiter Ferne liegen. Die Zahlen bei uns steigen und wir sind keine kleine Stadt wie Herne oder Hamm, sondern wir sind die viertgrößte Stadt in der Republik – und dieser Tanker ist nicht so leicht zu bewegen.
Wer hat eigentlich wann und warum die Inzidenzzahlen, von denen jetzt alles abhängt, festgelegt?
Das waren die Bundeskanzlerin und die Ministerpräsidenten auf Anraten von Experten im Frühjahr. Bis 35 ist gelber Bereich, über 50 roter, jetzt steuern wir schon auf den dunkelroten Bereich zu. Das hat Folgen für die Kapazitäten im Gesundheitsamt, die Möglichkeiten der Nachverfolgung von Infektionsketten und schließlich die Belastung der Krankenhäuser. Wir brauchen Personal dafür, da hilft uns das Personalamt ganz viel. Die Bundeswehr hilft uns seit acht Wochen hervorragend. Angefangen von der Auswertung der Aussteigekarten am Flughafen bis zum Kontaktpersonenmanagement.
Gibt es auch schon ein Szenario für eine Inzidenzzahl von 100 oder darüber? Und steht schon fest, was dann passiert?
Bisher gibt es dazu von Bund und Land keine Vorgaben.
Das Gespräch führte Christiane Vielhaber