Hans Imhoff war der „Schokoladenkönig“ Kölns. Die Marke Stollwerck rettete er vor der Pleite und formte aus dem Kölner Unternehmen einen europäsichen Schokoladenkonzern. Sein Vermächtnis an die Stadt: das Schokoladenmuseum und eine gemeinnützige Stiftung. Zum 100. Geburtstag des im Jahr 2007 verstorbenen Kölner Ehrenbürgers lud die Stadt zu eine Feierstunde ein, drei Start-ups wurden mit Preisen ausgezeichnet – und seine Enkelin Leonie Hagemann beeindruckte die mehreren hundert Gäste mit einer Laudatio. Die Rede dokumentieren wir hier:
„Ein alter Mann. Mit sehr großen Augen. Er schaut mich an. Er sagt etwas. Aber ich verstehe ihn nicht. Er spricht undeutlich. Und ich finde es unheimlich, dass er in einem Stuhl mit Rädern sitzt.
Das, meine Damen und Herren, lieber Opi, ist das erste Bild von Dir, an das ich mich wirklich erinnern kann.
Ich war damals noch nicht mal in der Schule. Du warst schon 81. Und hattest nur noch wenige Jahre zu leben.
Später habe ich auf Fotos und auf Filmen gesehen, wie Du warst, bevor Du in dem Stuhl mit den Rädern sitzen musstest. Meine Mutter und meine Tante haben mir von Dir erzählt. Aber gar nicht so oft und so viel, wie man vielleicht meinen könnte.
Wer war der kleine Mann mit den großen Augen? Das wollte ich wissen.Deshalb habe ich schon früh Deine Spur gesucht.
Als ich alt genug war, um im Internet eine Suchmaschine zu bedienen, da war unter den ersten Worten, die ich eingetippt habe, Dein Name: Hans Imhoff.
Wenn Sie das heute tun, liebe Gäste, dann finden Sie ganz oben unter den Suchergebnissen den Link zu einem Youtube-Video. Sie finden eine Dokumentation des WDR aus dem Jahr 2018. Ein ganzes Leben – erzählt in 45 Minuten.
Vor ein paar Tagen habe ich mir die Sendung noch einmal angesehen. Aber jetzt mit ganz anderen Augen als zuletzt vor einigen Jahren. Denn inzwischen frage ich mich: Kann das sein? Dass wir uns ein bisschen ähnlich sind? Drei Mal habe ich dieses Gefühl beim Anschauen der Doku besonders deutlich gehabt.
Das erste Mal, als Du erzählst, wie alles angefangen hat: Ein Junge auf seinem Fahrrad – viel jünger, als ich heute bin. Ganz bei ihm in der Nähe gibt es eine Schokoladenfabrik. Da fährt er immer wieder hin. Weil es so gut riecht. So fängt es an: Mit einem Duft. Mit etwas, das unwiderstehlich ist.
Ganz tief prägt sich das ein. Denn was da duftet, das ist wohl viel mehr als Schokolade. Und so wird aus der Faszination eine Sehnsucht, die bleibt und die Dich antreibt.
Es ist fast wie bei „Charlie and the Chocolate Factory“ – einem meiner absoluten Lieblingsfilme. Charly hat kein Geld für Schokolade. Umso mehr liebt er die Fabrik. Und auch er verfällt dem Duft. Am Ende gehört Charly die Fabrik. Du siehst also: Selbst in Hollywood bist Du schon angekommen!
Im richtigen Leben aber - spielst Du selbst den Helden: 1945. Da bist Du ziemlich genauso alt wie ich heute. Mit dem Unterschied: Deine Welt damals liegt in Trümmern. Den Menschen fehlt das Nötigste. Trotzdem folgst Du weiter dem, was Dich bei Deinen Radtouren infiziert hat.
Aber brauchten die Menschen nach dem Krieg nicht etwas anderes als ausgerechnet Schokolade? Das fragt Dich der Journalist im Film. Nein, sagst Du und lachst, als wäre es das Selbstverständlichste: Gerade Schokolade brauchten sie!
Genauer gesagt: Pralinen. Die Du selbst herstellst – aus der Schokolade in den Care-Paketen. Mitten in Chaos und Not veranstaltest Du also ein Fest für die Sinne. Etwas, von dem man kaum zu träumen wagt und das wie eine Verheißung wirkt: Wer zwischen Hungerwinter und Dosenfleisch ein Stück Schokolade im Mund schmilzen spürt, der ist auf einmal sicher: „Alles wird wieder gut.“
Ich muss dabei an den Satz von Oscar Wilde denken: „Das Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand, das Außergewöhnliche ihren Wert“. Das hast Du erkannt – als es schwierig war, das zu erkennen. Und das hast Du befolgt – als es mutig war, allein einem Duft in der Nase zu vertrauen.
Es würde Dir deshalb sicher gefallen, dass wir heute zu Deinem 100sten Geburtstag drei) Kölner Start-ups auszeichnen. Denn die Erinnerung an Deinen Start zeigt uns Jüngeren, worauf es ankommt.
Das richtige Näschen haben. Klar.
An sich selbst glauben und nur das tun, was einen wirklich fasziniert. Auch klar.
Aber doch vor allem: Verstehen, was das heißt – dass die Menschen etwas „brauchen“;
dass es nämlich um mehr geht, als das, was der „homo oeconomicus“ seinen persönlichen „Nutzen“ nennt; sondern darum, was wirklich Wert hat.
Ich schaue die Doku über Dein Leben und frage mich: Woher hattest du deine unermüdliche Kraft? Warst du wirklich immer so selbstbewußt? Wie bist du mit deiner Angst umgegangen, Fehler zu machen?
Und wenn ich mir vorstelle, dass wir heute tatsächlich miteinander sprechen könnten, dann würde ich dir gut zuhören und versuchen, zu begreifen. Und ich würde mehr Fragen stellen: Warum zum Beispiel hast Du Uhren gesammelt? Warum hast Du Dich damit umgeben?
Im Film sagst Du: „Die Uhr kommentiert konsequent und gnadenlos den Ablauf der Zeit.“ Dieser Satz trifft mich an einer empfindlichen Stelle. Denn ich muss Dir gestehen: Es gibt nur zwei Dinge, vor denen ich mich richtig fürchte. Das eine sind Haifische. Das andere ist die Zeit.
Immer mache ich mir Sorgen, ob ich schnell genug bin; ob ich meine Aufgaben rechtzeitig erledige, ja: und auch, ob die Zeit meines Lebens wohl ausreichen wird, um all das zu tun und zu erleben, was ich mir wünsche.
Wenn es Dir ähnlich ging: Hast Du die Uhren dann gerade deshalb immer um Dich gehabt? Weil Du dieser Sorge nicht ausweichen wolltest? Weil es Dir auf diese Weise gelang, die Sorge in etwas zu verwandeln, was Dich nicht lähmt, sondern im Gegenteil antreibt?
Aber wie genau macht man das: Angst in Antrieb verwandeln? Und hat es bei Dir wirklich immer funktioniert?
Im Film erzählst Du ja auch von Deinen Alpträumen: Da wirst Du von jemandem angegriffen, der viel stärker ist als Du. Und gegen den Du Dich nicht wehren kannst. Wer oder was ist das? Leider fragt der Reporter in der Doku nicht danach. Wahrscheinlich war es ihm zu persönlich und er hat sich nicht getraut.
Würde ich mich trauen, wenn Du heute hier wärest? Vielleicht schon. Denn offenbar konntest Du ganz offenherzig über das reden, was Dich bewegt. Zum Beispiel in der dritten Szene, die mich besonders berührt hat.
Da sagst Du mit einfachen, klaren Worten: „Bestätigung und Anerkennung. Das habe ich immer gesucht.“ So einfach ist das!
Der Junge, der früher mit seinem Rad zur Schokoladenfabrik gefahren ist – der wollte nicht einfach Schlosser werden wie sein Vater. Der wollte auch nicht in der Fabrik eines Anderen arbeiten. Der wollte etwas Eigenes machen. Etwas Größeres.
Das, lieber Opi, ist Dir gelungen. Und Deshalb feiern wir Deinen 100. Geburtstag. Deshalb feiern wir ihn genau hier – im Rathaus Deiner Heimatstadt. Weil das, was Du gemacht hast, am Ende groß genug war, um nicht nur Dir und Deiner Familie zu nutzen. Denn bei allem Ehrgeiz und allem Selbstbewusstsein: Ich glaube, Du konntest auch tiefe Dankbarkeit empfinden. Für Köln zum Beispiel.
Nur ein paar Schritte von hier entfernt, In der Altstadt, wurdest Du vor 100 Jahren geboren. Dir jedenfalls wurde sie in die Wiege gelegt - diese unerschütterliche Kölner Zuversicht, die ja sehr hilfreich ist, für jeden, der sich Großes vornimmt. Ohne Köln wäre Imhoff undenkbar. Und dafür hast Du Köln mit der Stiftung und natürlich mit Deinem Museum etwas zurückgegeben. Auch das, lieber Opi, – das Talent zur Dankbarkeit und Zuversicht – hoffe ich von Dir geerbt zu haben.
„Wozu sind Sie auf der Welt?“ Das ist die letzte Frage, die Dir der Journalist in der Doku stellt. Und Du sagst: „Oh je. Das ist eine schwierige Frage…Ich weiß es nicht.“ Eines aber weiß ich: Ganz bestimmt warst Du für auch mich auf der Welt. Ich denke so häufig an Dich und frage mich noch immer: Wer genau war dieser kleine Mann mit den großen Augen?
Als Unternehmer – ein mutiger Pionier. Als Kölner – ein typisches Original. Als Großvater – eine Art Sphinx. Rätselhaft, aber bedeutsam. stumm, aber spannend.
Liebe Gäste, lieber Opi, ich verspreche: Ich bleibe Dir auf der Spur. Was könnte lehrreicher sein?“